Amnesty Report Ecuador 07. April 2021

Ecuador 2020

Eine Menschenmenge auf einem Platz, in der Mitte wird ein gelbes Spruchband hoch gehalten, auf dem "Amnistia" steht.

Demonstration der Organisation Mujeres Amazonicas in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito im März 2020

Es fehlte an angemessenen Maßnahmen, um das Leben und die körperliche Unversehrtheit von Menschenrechtsverteidiger_innen zu schützen. Die Behörden führten keine wirksamen Ermittlungen zu Drohungen und Angriffen gegen Menschenrechtsverteidiger_innen durch. Dies galt insbesondere, wenn sich diese für die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen, z. B. deren Landrechte, oder für die Umwelt einsetzten. Die anhaltende Ausgrenzung und Diskriminierung verstärkten die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen zusätzlich.

Hintergrund

Im Februar 2020 wurde der erste Corona-Fall in Ecuador gemeldet, woraufhin der Gesundheitsminister am 11. März den Notstand für das nationale Gesundheitssystem ausrief. Mithilfe von Dekreten und neuen Gesetzen wurden – neben anderen wirtschaftlichen und sozialen Einschränkungen – Quarantänemaßnahmen und obligatorische Ausgangssperren eingeführt, um die Pandemie zu bekämpfen. Am 7. April wiesen ecuadorianische Menschenrechtsorganisationen auf die alarmierende Menschenrechtssituation in der Stadt Guayaquil hin. Zuvor waren Bilder veröffentlicht worden, die Krankenhäuser zeigten, in denen die Gesundheitsversorgung zusammengebrochen war, sowie zahlreiche Leichen auf den Straßen und in völlig überfüllten Leichenhäusern. Bis zum 31. Dezember 2020 meldete das Gesundheitsministerium 212.512 bestätigte Corona-Fälle und 9.473 Todesfälle in Verbindung mit dem Virus sowie weitere 4.561 Todesfälle, die "möglicherweise" mit dem Virus in Zusammenhang standen.

Menschenrechtsverteidiger_innen

Die Behörden hatten noch keine nationale Strategie zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger_innen – einschließlich Vorgaben zur Untersuchung von Verstößen – entwickelt und umgesetzt. Bis Ende 2020 wurde niemand wegen der Drohungen und Angriffe gegen vier Mitglieder der Organisation Mujeres Amazónicas, Patricia Gualinga, Nema Grefa, Salomé Aranda und Margoth Escobar, zur Rechenschaft gezogen. Man befürchtete, dass die Ermittlungsakten zu diesen Angriffen in die Archive überführt werden könnten.
Im Mai 2020 ratifizierte Ecuador das Regionale Abkommen über den Zugang zu Informationen, Teilhabe und Gerechtigkeit in Umweltangelegenheiten in Lateinamerika und der Karibik (Abkommen von Escazú).

Am 16. Dezember 2020 entschied ein Richter, dass das Strafverfahren gegen den Netzaktivisten und Menschenrechtsverteidiger Ola Bini wegen "unbefugten Zugriffs auf ein Computersystem" in die Voruntersuchungsphase übergehen solle.

Rechte indigener Bevölkerungsgruppen

Die indigenen Bevölkerungsgruppen im ecuadorianischen Amazonasgebiet blieben weiterhin besonders bedroht. Die Corona-Pandemie verschärfte die Situation zusätzlich, da die Betroffenen keinen Zugang zu Trinkwasser, Nahrungsmitteln, medizinischen Gütern, Gesundheitsleistungen und Corona-Tests hatten. Diese Zustände waren nicht zuletzt das Ergebnis der langen Ausgrenzung und Diskriminierung indigener Bevölkerungsgruppen.

Am 7. Dezember 2020 meldeten Indigenen- und Menschenrechtsorganisationen 3.257 bestätigte Corona-Fälle, 50 bestätigte Todesfälle durch Covid-19 und 54 Todesfälle mit Covid-19-Symptomen unter den Angehörigen indigener Bevölkerungsgruppen im ecuadorianischen Amazonasgebiet.

Im August 2020 veröffentlichte die Regierung eine Richtlinie zur Corona-Prävention und zur Behandlung von Covid-19 bei indigenen, afro-ecuadorianischen und Montubio-Gemeinschaften. Menschenrechts- und Indigenenorganisationen aus dem Amazonasgebiet erklärten, dass die indigene Bevölkerung nicht angemessen zu der Richtlinie konsultiert worden sei und diese auch nicht ihren Forderungen entspreche. Sie berichteten zudem, dass die indigene Bevölkerung von dem für die Umsetzung der Richtlinie zuständigen Notfallkomitee (Comité de Operaciones de Emergencia – COE) ausgeschlossen war.

Am 7. April 2020 verseuchte eine Ölpest die Flüsse Coca und Napo. Dies hatte verheerende Auswirkungen auf die Umwelt, das Wasser, die Nahrungsmittel und die Lebensgrundlage von fast 120.000 Menschen, von denen 27.000 Indigene waren. Am 29. April reichte eine Gruppe von Indigenen- und Menschenrechtsorganisationen einen Antrag auf ein Verfassungsschutzverfahren ein und forderte Schutzmaßnahmen für die von der Ölkatastrophe betroffenen Menschen. Am 1. September wies ein Richter die Petition sowie die geforderten Schutzmaßnahmen mit der Begründung zurück, dass die Antragsteller_innen keine Rechtsverletzung nachgewiesen hätten. Diese berichteten, dass es in dem Fall Verfahrensfehler gegeben habe und sich das Gericht nicht an die Regeln rechtsstaatlicher Verfahren gehalten hätte.

Sexuelle und reproduktive Rechte

Im August 2020 verabschiedete die ecuadorianische Nationalversammlung ein neues Gesundheitsgesetz, das den Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheitsversorgung verbesserte. Im September legte der Präsident sein Veto gegen das Gesundheitsgesetz ein, das im September 2021 von der Nationalversammlung vollständig überarbeitet werden soll. Abtreibungen wurden in den meisten Fällen weiterhin kriminalisiert, wodurch der Zugang zur Gesundheitsversorgung erschwert wurde.

Unterdrückung abweichender Meinungen

Bis zum Jahresende 2020 waren die Ermittlungen zu Vorwürfen, die Menschenrechtsverletzungen und -verstöße während der Proteste im Oktober 2019 betrafen, noch nicht abgeschlossen. Im Juni 2020 verabschiedete das Verteidigungsministerium den Beschluss 179, der es der Armee erlaubt, gegen Protestierende tödliche Gewalt einzusetzen. Dieser Beschluss verletzt internationale Menschenrechtsnormen und -standards. Im Juli setzte das Verfassungsgericht die Umsetzung des Beschlusses bis zu seiner Entscheidung über dessen Verfassungsmäßigkeit aus.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Ungefähr 25 Prozent der ecuadorianischen Bevölkerung lebten 2020 unter der nationalen Armutsgrenze. Im Mai 2020 kündigte die Regierung eine Reihe von Maßnahmen an, um die öffentlichen Ausgaben zu reduzieren. Dies löste Bedenken über mögliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftlichen und sozialen Rechte aus, insbesondere für benachteiligte Menschen und Gruppen, die unverhältnismäßig stark betroffen sein könnten. Außerdem bestand die Sorge, dass diese Maßnahmen die bereits vorhandenen Ungleichheiten und den fehlenden Zugang zu Rechten zusätzlich verschärfen könnten.

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