Amnesty Journal 16. Juni 2020

"Was hat Kavala getan?"

Ein mittelalter Mann mit schwarzen Haaren und grauem Bart, es ist Osman Kavala, blickt konzentriert.

Mit einer Social-Media-Kampagne machen sich Kulturschaffende und Intellektuelle für Osman Kavala stark. Der Kulturmäzen aus Istanbul soll endlich aus dem türkischen Gefängnis freikommen.

Von Sabine Küper

"Ich hoffe inständig, dass Osman bald wieder bei uns ist". Der kanadisch-armenische Regisseur Atom Egoyan ist einer der Künstler, die sich seit Anfang Juni unter dem Motto "Was hat Kavala getan?" mit kurzen Videobotschaften die Freilassung des Istanbuler Kulturförderers fordern. Die Community nennt sich "Artists United for Osman Kavala".

Initiiert wurde die Kampagne von Regisseur Fatih Akın und der Intendantin des Berliner Maxim-Gorki-Theaters, Shermin Langhoff. Egoyan reflektiert in seinem Beitrag, wie er Kavala vor zehn Jahren beim Filmfestival in Cannes kennenlernte, als dieser den Kurzfilm eines befreundeten armenischen Regisseurs produziert hatte.

Komplexe und facettenreiche Kulturarbeit

Die Videos zeigen, wie komplex und facettenreich die Kulturarbeit ist, die der Geschäftsmann Kavala seit Jahren unterstützt. Im Mittelpunkt stehen der Schutz von Minderheiten und die Stärkung von Menschenrechten und Zivilgesellschaft als Basis einer demokratischen Gesellschaft. Gleichzeitig gehen die Videos der Unterstützerinnen und Unterstützer auf die vielen politischen Skandale ein, die für internationale Kritik an der Türkei sorgen. Dazu gehört auch die seit dem 18. Oktober 2017 anhaltende Untersuchungshaft von Osman Kavala.

Am 18. Februar 2020 waren er und acht weitere Angeklagte von einem Gericht bei Istanbul zunächst freigesprochen worden. Man hatte ihnen unter anderem unterstellt, im Jahr 2013 die Gezi-Proteste geplant und damit den Sturz der türkischen Regierung angestrebt zu haben. Doch trotz richterlicher Anordnung wurde Kavala nicht aus der Haft entlassen, sondern musste im Hochsicherheitstrakt von Silivri bleiben, weil die Staatsanwaltschaft neue Vorwürfe gegen ihn auffuhr. Nun hieß es, er sei an der Vorbereitung des Putschversuchs 2016 beteiligt gewesen.

Scheinbare Freilassungen als Prinzip

Die Istanbuler Architektin Mücella Yapıcı spricht von einem abgekarteten Spiel:
"Erst ein Freispruch, um sofort wieder ein Szenario für Kavala zu entwerfen. Und der Präsident greift mit Äußerungen direkt ins Verfahren ein. Eine Farce." Ein reicher Sozialist zu sein reiche nicht aus, um der gerechten Strafe zu entkommen, hatte Präsident Recep Tayyip Erdoğan nach der Nicht-Entlassung Kavalas höhnisch geäußert. Yapıcı war neben Kavala eine der Angeklagten im Gezi-Prozess und wurde im Februar vom Vorwurf des Landesverrats freigesprochen. 

Scheinbare Freilassungen seien Teil eines beliebten Spiels, an dem der türkische Staat oft und gerne Gefallen finde, betont Yapıcı. In den 90er Jahren habe man politischen Häftlingen nach dem Verbüßen der Untersuchungshaft die Freilassung angekündigt, um sie beim Verlassen des Gefängnisses erneut festzunehmen. Damit begann dann die Untersuchungshaft von Neuem.

Keine Beweise für eine Anklage

Im November 2019 wurde der Schriftsteller Ahmet Altan zunächst aus der Haft entlassen, um knapp eine Woche später aufgrund einer neuen Anklage wieder inhaftiert zu werden. Mit der Freilassung der Angeklagten im Gezi-Prozess erfüllte die Türkei formell auch die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Der hatte am 10. Dezember 2019 die Freilassung Kavalas im Gezi-Prozess gefordert, da die Anklageschrift keine Beweise für die Anklage enthalte. Zu diesem Zeitpunkt war der Kulturmäzen bereits seit zwei Jahren und zwei Monaten in Untersuchungshaft.

Nach der neuen Anklage müssen seine Anwälte nun erneut den Rechtsweg beschreiten und wieder vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen. Es bleibt zu hoffen, dass die Entscheidung dort diesmal zügiger getroffen wird.

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