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„Ich dachte, das war es“
Die Türkei verwehrt aus Afghanistan geflüchteten Journalist*innen internationalen Schutz – teils unter Einsatz von Gewalt. Der afghanische Reporter Bashir Atayee und sein Anwalt Adnan Onur Acar berichten, wie die illegale Abschiebepraxis funktioniert.
Interview: Sabine Küper-Büsch
Sie sind im Juli festgenommen worden? Wie kam es dazu?
Bashir Atayee: Zivilpolizisten machten eine Ausweiskontrolle in dem Bus, in den ich gerade eingestiegen war, und stellten fest, dass ich keine gültige Aufenthaltserlaubnis mehr hatte. Ich habe den Polizisten erklärt, dass ich in Afghanistan gefährdet bin, weil ich es abgelehnt habe, mit den Taliban zusammenzuarbeiten. Bereits vor der Machtübernahme hatten sie einzelne Journalisten angesprochen. Ich war einer davon. Deshalb bin ich nach dem Regimewechsel im August 2021 von einem Verwandtenbesuch in Istanbul nicht zurückgekehrt. Die Polizisten versprachen daraufhin hoch und heilig, dass sie auf der Polizeistation nur meine Personalien kontrollieren und mich dann in mein Viertel zurückbringen würden. Ich sollte nur ein Formular ausfüllen.
Hatten Sie die Möglichkeit, jemanden zu verständigen?
Atayee: Ja, ich stand mit einer Hilfsorganisation in Kontakt. Deren Anwalt, Adnan Onur Acar, kam zu der Polizeistation, auf die ich gebracht worden war. Die Polizisten übten da jedoch bereits Druck auf mich aus, eine Erklärung zu unterzeichnen, dass ich mit meiner Rückführung einverstanden sei. Das bedeute erst einmal gar nichts, sagten sie, sondern signalisiere nur meinen guten Willen, mich den Entscheidungen der Migrationsbehörden unterzuordnen. Ich könne danach nach Hause gehen. Ansonsten müsse ich monatelang in einem Lager für illegale Flüchtlinge bleiben. Adnan sagte mir dann, dass dieses Papier ernste Konsequenzen habe und meine sofortige Abschiebung bedeuten würde. Zwar hatte ich nicht unterschrieben, trotzdem ging es direkt in das Abschiebelager nach Tuzla. Ich war total überrumpelt. In der ersten Nacht musste ich auf einem Fußballfeld im Freien übernachten. Die ersten drei Tage bekam ich nichts zu essen. Dann wurde mir eine Unterkunft in einem stickigen, stinkenden Raum zugewiesen. Dort teilten sich 13 Leute sechs Betten.
Ist das gängige Praxis?
Adnan Onur Acar: Leider ja. Und es funktioniert. Derzeit werden täglich Hunderte Afghan*innen abgeschoben – viel zu viele "freiwillig" mit quittierter Ausreiseeinwilligung der Geflüchteten, weil die Beamt*innen die Betroffenen falsch informieren oder massiv unter Druck setzen. International gelten afghanische Geflüchtete als gefährdet, Journalist*innen insbesondere, und es besteht die Möglichkeit, die Schutzwürdigkeit aufgrund besonderer Gefährdung vor türkischen Gerichten einzuklagen. Aber das wissen die meisten Betroffenen nicht. Ich hatte nach der Festnahme Bashir Atayees seine sofortige Freilassung beantragt. Das Verwaltungsgericht teilte mir mit, dass die Abschiebung rechtsgültig sei. Atayee sei illegal eingereist und missbrauche den türkischen Duldungsstatus. Das war falsch: Er ist legal mit einem Touristenvisum eingereist und hatte bei der Einwanderungsbehörde auf seine Gefährdung hingewiesen. Fälschlicherweise wurde ihm eine Aufenthaltsgenehmigung für sechs Monate bewilligt, eine neue dann abgelehnt, wie wir jetzt mit einer Verwaltungsklage zu beweisen versuchen. Während des laufenden Verfahrens kann er erst einmal nicht abgeschoben werden.
Wussten Sie das in der Abschiebehaft?
Atayee: Zunächst nicht. Im Auffanglager Tuzla haben mich Polizisten am dritten Tag nach der biometrischen Erfassung gezwungen, eine Ausreiseeinwilligung zu unterschreiben.
Womit haben die Sicherheitskräfte Druck auf Sie ausgeübt?
Atayee: Sie haben mich in die Mangel genommen und mir noch schwerere Prügel angedroht. Nach sechs Tagen in Tuzla wurde ich in ein Lager in İğdir nahe der iranischen Grenze gebracht. Ich dachte, das war es, jetzt schieben sie mich ab. Dort blieb ich 50 Tage lang.
Wie sind die Bedingungen dort?
Atayee: Grauenhaft, wie in Tuzla: überfüllte Unterkünfte, 20 Personen in einem Raum, zu wenig Betten, kaum zu essen, unhygienische sanitäre Anlagen und viele verzweifelte Geflüchtete. Die Leute werden auch dort misshandelt, damit sie ihre Einverständniserklärungen unterschreiben und dann abgeschoben werden können. Irgendwann bekam ich ein Formular. Ich wurde aufgefordert, mich damit innerhalb von zehn Tagen in Trabzon zu melden. Dann wurde ich entlassen. Ich habe überhaupt nicht verstanden, was geschieht. Der Anwalt hat mir dann erklärt, dass dies eine Aufforderung sei, mich registrieren zu lassen, um einen Status als international anerkannter Flüchtling zu bekommen.
Ist das nicht ein Grund zum Feiern?
Acar: Die Nichtabschiebung durchaus. Aber diese Registrierungsformalitäten sind meist der Beginn einer Odyssee durch die Türkei auf der Suche nach einer Immigrationsbehörde, die den Antrag annimmt. Bashir wurde zunächst nach Trabzon an der Schwarzmeerküste geschickt – von dort aus nach Nevşehir in Zentralanatolien – dann hundert Kilometer weiter nach Niğde. Auf jeder amtlichen Stelle wird die Nichtzuständigkeit festgestellt und der Geflüchtete zur nächsten geschickt, jeweils mit einer Frist von zehn Tagen. So kommen die Betroffenen nicht zur Ruhe, ihnen geht das Geld aus, und die Behörden hoffen, dass sie irgendwann aufgeben und das Land freiwillig verlassen.
Wie gehen Sie damit um?
Atayee: Ich werde den Aufforderungen nachkommen und fahre jetzt erst einmal weiter nach Kocaeli, das ist die nächste mir zugewiesene Behörde. Zugleich fordere ich die internationale Gemeinschaft auf, einzugreifen. Mein Kollege Farhad Farokhzad ist seit Ende August in Kastamonu interniert. Er war in Afghanistan bei einem Radiosender, der sich für Frauenrechte einsetzte. Was mit uns geschieht, verstößt klar gegen internationales Recht.
Sabine Küper-Büsch ist freie Journalistin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.
HINTERGRUND
War Reporter des Online-Fernsehsenders Ariana, der von den Taliban nach deren Machtübernahme im August 2021 eingestellt wurde. Er reiste mit einem Touristenvisum in die Türkei ein und wurde bei einer Personenkontrolle am 23. Juli in Istanbul festgenommen. Erst am 7. September wurde er in der türkischen Provinz İğdir wieder auf freien Fuß gesetzt.
Anwalt des Istanbuler Hilfsprogramms "Kite Runner" zur Unterstützung afghanischer Journalist*innen im Exil. Acar konnte die Abschiebung Atayees mit einer Klage vorerst verhindern.
Geflüchtete Afghan*innen werden im Iran und in der Türkei willkürlich inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt, bevor sie rechtswidrig abgeschoben werden – das dokumentiert ein Amnesty-Bericht. Iranische und türkische Sicherheitskräfte haben zudem an ihren Grenzen wiederholt Afghan*innen rechtswidrig und gewaltsam zurückgeschoben, statt ihnen Schutz zu gewähren. Amnesty beschreibt zahlreiche Fälle, in denen Sicherheitskräfte direkt auf Menschen geschossen und mehrere dadurch getötet haben.
Allein von Januar bis September 2022 wurden dem türkischen Präsidialamt für Migrationsmanagement (PMM) zufolge 194.716 Geflüchtete festgenommen, 84.556 von ihnen waren afghanischer Herkunft. Das PMM ist seit 2019 für die Registrierung von Asylsuchenden und die Feststellung des Flüchtlingsstatus in der Türkei verantwortlich und ersetzt seither das UNHCR. Diese Änderung hat zu einer erheblichen Einschränkung des Zugangs zu internationalem Schutz geführt. 2018 gewährte das UNHCR 72.961 Personen internationalen Schutz. Im Jahr 2019 waren es nur noch 5.449.