Frauenrechte und Widerstand nach Assad: Drei Frauen, drei Aufbrüche
Demonstration in der syrischen Stadt Qamischli nach Massakern an der alawitischen Minderheit (11. März 2025)
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Syrerinnen haben seit dem Beginn der Revolution 2011 eine entscheidende Rolle im Widerstand gegen die Herrschaft von Baschar al-Assad gespielt. Nach seinem Sturz fürchten sie, im neuen syrischen Staat abermals marginalisiert zu werden. Drei Frauen berichten über ihre Ängste und Hoffnungen.
Protokolle: Hannah El-Hitami | Zeichnungen: Arinda Craciun
Huda Khaity (46) ist Gründerin mehrerer Frauenzentren
© Zeichnung: Arinda Craciun
"Die Trümmerfrauen sind mein Vorbild"
Huda Khaity (46) ist Gründerin mehrerer Frauenzentren, zunächst in Ost-Ghouta, dann nach ihrer Vertreibung 2013 in Idlib. Dort leitet sie das Women Support & Empowerment Center, das Frauen juristisch, politisch und psychologisch unterstützt und ihnen eine Berufsausbildung ermöglicht. Seit dem Sturz Assads im Dezember 2024 pendelt Khaity zwischen Idlib und Ost-Ghouta, wo sie versucht, zerstörte Frauenzentren wieder aufzubauen.
14 Jahre lang haben Frauen in Syrien gegen Assad gekämpft, und sie haben viel erreicht. Sie haben das Recht, heute an allen Aspekten des Wiederaufbaus teilzuhaben. Derzeit ist es für Frauen herausfordernd, ihren Platz in den sich verändernden Verhältnissen zu finden. Sie sollten nicht nur für das Image da sein, sondern in Entscheidungspositionen sitzen. Teilweise gibt es schon Verbesserungen. Wir haben eine Ministerin. Die Regierung hat Frauen in Komitees berufen, zum Beispiel für Übergangsjustiz oder für die Verschwundenen. Doch sind es noch zu wenige. Der politische Islam wird von vielen dämonisiert. Für mich stand der Islam schon immer für die Unterstützung der Frau. Er hat ihr Rechte in Bereichen wie Erbe, Wirtschaft und Bildung gegeben. Der Islam war nie gegen Frauenrechte, auch wenn er von manchen so ausgelegt wird.
Ich komme aus einer konservativen Gesellschaft, doch in Idlib wohne ich allein, habe eine Führungsposition in meiner Organisation und kann mich frei ausdrücken. Dabei spielt die Zivilgesellschaft eine entscheidende Rolle. Wenn sie Frauen unterstützt, kann sich die Regierung dem nicht entgegenstellen. Leider ist das in vielen Regionen nicht der Fall. Das liegt auch an der Situation nach dem Krieg. Alles ist zerstört, teilweise auch die Wertvorstellungen. Ein wichtiger Teil unserer Arbeit ist es, das Bewusstsein für Frauenrechte in der Gesellschaft zu stärken. Ich habe die Chemiewaffenmassaker 2013 und 2018 sowie Luftangriffe und Vertreibung überlebt. Ich habe Familienmitglieder verloren. In einem Syrien ohne Assad zu sein, bedeutet mir alles. Wir haben einen hohen Preis für diese Freiheit gezahlt und müssen sie mit aller Kraft verteidigen. Wenn es um Frauenrechte geht, dürfen wir nicht aufhören, bis Frauen in Entscheidungspositionen kommen und die Rechte aller geachtet werden. Aufbau ist so viel schwieriger als Zerstörung. Wir werden viel Energie brauchen – nach 14 Jahren, die uns müde gemacht haben. Aber niemand sonst wird den Aufbau unseres Landes für uns übernehmen. Ich denke da oft an die deutschen Trümmerfrauen. Sie sind ein Vorbild für mich.
Roula Baghdadi (44) arbeitete bis 2017 als Anwältin in Damaskus.
© Zeichnung: Arinda Craciun
"Viele Frauen in Syrien haben Angst"
Roula Baghdadi (44) arbeitete bis 2017 als Anwältin in Damaskus. Sie unterstützte Frauen in Fällen von Diskriminierung und häuslicher Gewalt und verteidigte nach dem Beginn der Revolution 2011 politische Gefangene. 2017 verließ sie Syrien aus Angst vor Verfolgung und ging in den Libanon. Heute ist sie Direktorin der syrischen Organisation Dawlaty, die sich für Menschen- und Frauenrechte engagiert.
Die Frauen, die an der Revolution teilgenommen haben, haben sich verändert. Sie sind stark geworden. Und jetzt, wo das Regime weg ist, sollen sie unter der neuen Regierung zu Hause bleiben und schweigen. Wir haben es mit einer extremen Regierung zu tun, die Frauen und Frauenrechte nicht respektiert. Sie wollen vor der internationalen Gemeinschaft gut dastehen, doch in Syrien haben sehr viele Frauen Angst. Auch ich habe Angst. Angesichts der Massaker an der Küste und der Gewalt in Suweida ("Ohne Assad, aber nicht ohne Angst", Amnesty Journal 04/25) ist eine der Gefahren für Frauen, dass sie entführt werden könnten. Viele Frauen aus dem Küstengebiet sind verschwunden, und auch in Suweida wurden Dutzende Frauen und Mädchen entführt. Wir sehen keine ernsthaften Bemühungen der Regierung, das aufzuklären. Die Unterstützer*innen der Regierung leugnen sogar, dass das überhaupt passiert ist.
Der Sturz Assads ist erst ein Jahr her, und jeden Tag wird die syrische Gesellschaft weiter gespalten. Auch Frauenrechtsaktivist*innen sind gespalten: Manche unterstützen die Regierung oder wollen ihr eine Chance geben. Andere wollen nicht mit ihr zusammenarbeiten. Ich habe Frauen zunächst ermutigt, sich politisch einzubringen, doch inzwischen sehe ich das anders. Ist politische Partizipation gut, wenn das System schlecht ist? Laut Verfassungserklärung ist die Macht beim Interimspräsidenten Ahmed Al-Sharaa konzentriert. Wenn ich Frauen in ein System schicke, in dem sie nichts bewirken können, ist das nur Show. Der Schwerpunkt unserer Organisation ist es, Frauen in der Zivilgesellschaft zu stärken. Wir bringen ihnen bei, wie sie öffentlich sprechen oder politische Arbeit auf lokaler Ebene machen können. Es wäre wichtig, Räte zu etablieren, in die sich Frauen einbringen können und Gehör finden. Ich habe kein Vertrauen in die Regierung, aber in die syrische Gesellschaft – auch wenn es viel Hass gibt. Wir müssen alle zusammenbringen. Darum organisieren wir Workshops mit Frauen von der Küste, aus Idlib, Raqqa, Qamishli und anderen Regionen. Unser Ansatz ist es, lokale Gemeinschaften zu stärken und landesweit zu vernetzen.
Sawsan Reshid (37), Anwältin aus Afrin
© Zeichnung: Arinda Craciun
"Als Frauen arbeiten wir an einer gemeinsamen Sache"
Sawsan Reshid (37) ist Anwältin aus Afrin und wohnt seit 2018 in Qamishli im Nordosten. Sie beschäftigt sich vor allem mit den Wohn-, Land- und Eigentumsrechten vertriebener Menschen aus Afrin und Ras al-Ain. Zuletzt arbeitete sie an einem Bericht über die spezifischen Auswirkungen der Vertreibung auf Frauen, die in Flüchtlingslagern oft zusätzlichen Belastungen ausgesetzt sind.
Ich bin Anwältin geworden, weil ich Juristinnen schon immer als starke Persönlichkeiten wahrgenommen habe, die Frauen unterstützen können. Zudem waren viele meiner Rechte als Kurdin in Syrien eingeschränkt. Das hat mich daran arbeiten lassen, dass alle dieselben Rechte haben. In den ersten Monaten nach dem Sturz Assads waren wir voller Hoffnung, dass alles besser wird. Die Angst vor den Geheimdiensten war weg. Die Menschen fingen an, wieder offen zu reden. Aber die Gewalt an der Küste und in Suweida hat viele Ängste zurückgebracht – vor allem bei Frauen, da es viele Fälle von Verschwindenlassen gab. Die Angst ist groß, dass sich dies in anderen Orten wiederholt, in denen Minderheiten leben, zum Beispiel in den kurdischen Gebieten.
Als kurdische Frau traue ich mich derzeit nicht, nach Damaskus zu fahren. Vielleicht würde nichts passieren. Viele Leute fahren hin und kommen zurück. Aber weil ich Aktivistin bin, habe ich Angst, dass ich Probleme bekomme. An Checkpoints in Damaskus wurde ich erst kürzlich gefragt, ob ich Kurdin oder Araberin bin. Das liegt an meinem Erscheinungsbild. Würde ich ein Kopftuch tragen, wäre ich wohl nicht gefragt worden. Es gibt viele Anzeichen, dass religiöse und ethnische Gruppen zur Zielscheibe werden. Wenn wir über Zusammenhalt und Frieden sprechen, spielen Frauen die Hauptrolle. Es gibt viele Initiativen. Ich bin zum Beispiel Mitglied eines Zusammenschlusses von Aktivistinnen aus verschiedenen Teilen Syriens. Als die Gewalt in Suweida losbrach, war eine Gruppe aus Idlib sofort auf der Straße und protestierte. Es ist nicht wichtig, dass wir unterschiedliche Hintergründe haben. Als Frauen arbeiten wir an einer gemeinsamen Sache.
Hannah El-Hitami ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.
Weitere Infos zum Thema findest du hier: Länderbericht Syrien, Entführungen von alawitischen Frauen und Mädchen, Vermisste in Syrien.