Amnesty Journal Kolumbien 01. Juli 2024

Solidarität bedeutet Schutz und Hoffnung

Eine Frau mit schulterlangem Haar steht in der Natur und verschränkt ihre Arme vor dem Oberkörper.

Julia Duchrow, Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion

Weltweit nehmen Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger*innen zu, Kolumbien steht an der Spitze dieses Trends. Kolumne von Julia Duchrow, Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion.

Von Julia Duchrow

"Wir haben das Recht, in Frieden zu fischen, ohne von bewaffneten Gruppen angegriffen zu werden." Das sind die Worte von Yuly Velásquez, Präsidentin von FEDEPESAN, einem Zusammenschluss von Fischereifamilien im Norden Kolumbiens. Am 4. Juni erhielt die Organisation im Berliner Maxim Gorki Theater den Amnesty-Menschenrechtspreis. 

Die Fischer*innen kämpfen gegen die Verschmutzung ihrer lokalen Feuchtgebiete durch die Ölindustrie (siehe auch Amnesty Journal 03/24). Sie kämpfen für ihr Recht, in Frieden zu fischen und ihre Familien zu ernähren, aber auch dafür, dass die Bevölkerung Zugang zu sauberem Trinkwasser hat. Das gefällt nicht allen. In ihrer Region gilt nicht etwa die Ölindustrie, sondern FEDEPESAN als Nestbeschmutzer, der Wachstum und Arbeitsplätze gefährdet. Die Aktivist*innen erleben Anfeindungen und werden von bewaffneten Gruppen bedroht, diffamiert, angegriffen. Auf Yuly Velásquez wurde bereits zwei Mal geschossen. 

Kolumbien ist für Menschenrechtsverteidiger*innen eines der gefährlichsten Länder weltweit. Zwischen 2016 und 2023 wurden mehr als 1.100 Aktivist*innen getötet. Das Land steht damit an der Spitze eines Trends: Weltweit nehmen Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger*innen zu. Laut einer Analyse der Nichtregierungsorganisation Frontline Defenders wurden allein im Jahr 2022 in 26 verschiedenen Ländern 401 Menschenrechtsverteidiger*innen getötet. Im Jahr zuvor waren es in 35 Ländern 358. 

Viele Menschenrechtsverteidiger*innen sind mehrfach bedroht. Yuly Velásquez wird auch deshalb angegriffen, weil sie als Frau in führender Rolle politisch aktiv ist, was den gesellschaftlichen Erwartungen widerspricht. Besonders häufig werden Personen und Organisationen angegriffen, die sich mit mächtigen Unternehmen anlegen: Gewerkschafter*innen, Umwelt- und Klimaaktivist*innen oder indigene Gruppen. Die Klimakrise schreitet voran und raubt immer mehr Menschen die Existenzgrundlage, insbesondere im Globalen Süden. Ihr Widerstand bedroht die Interessen großer Konzerne und anderer mächtiger Akteure – und diese reagieren darauf allzu oft mit Gewalt.

Die Unteilbarkeit der Menschenrechte bedeutet, dass ein Menschenrecht das andere bedingt. An der Klimakrise zeigt sich besonders deutlich, dass dies auch im negativen Sinne gilt: Die Verletzung eines Menschenrechts zieht weitere Rechtsverletzungen nach sich. 

Was dagegen hilft, ist Solidarität. Solidarität mit allen, die angegriffen werden, weil sie sich für die Menschenrechte stark machen. Nicht nur, weil das moralisch richtig ist. Nicht nur, weil Aktivist*innen wie die Fischer*innen von FEDEPESAN unser aller Lebensgrundlage beschützen. Sondern auch, weil der Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen eine notwendige Bedingung für die Verwirklichung der Menschenrechte ist. 

Vor gut 25 Jahren, am 9. Dezember 1998, verabschiedeten die Vereinten ­Nationen die Erklärung zu Menschenrechtsverteidiger*innen, der zufolge jeder Mensch das Recht hat, die Menschenrechte zu verteidigen. Und sie forderten alle Staaten auf, Menschenrechtsverteidi­ger*in­nen zu schützen. Wie wichtig das ist, zeigt die Situation von Yuly Velásquez und ihrer Mitstreiter*innen von FEDEPESAN. 

Unser Menschenrechtspreis unterstützt die Aktivist*innen: Er ist mit 20.000 Euro dotiert, hilft also finanziell. Gleichzeitig bedeutet er Aufmerksamkeit und kann so dazu beitragen, das Leben der Fischer*innen zu schützen. Yuly Velásquez sagte bei der Preisverleihung: "Wir widmen den Preis den Fischer*innen, die getötet und in den Fluss geworfen wurden, während die Verantwortlichen straffrei geblieben sind. Wir widmen ihn den Witwen und Waisen, den Bewahrer*innen von Flüssen, Sümpfen und Kanälen. Der Preis bedeutet Hoffnung."

Julia Duchrow ist Generalsekretärin von ­Amnesty International in Deutschland.

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