Amnesty Journal Kolumbien 17. Juni 2024

Widerstand in Gefahr

Indigene Männer mit blauen Westen sitzen auf der Ladefläche eines Pick-up-Trucks, der durch einen Dschungel fährt.

Indigene Gemeinden und Menschen, die für die Umwelt und die Rechte ihrer Mitmenschen kämpfen, sind in Kolumbien seit Jahren Gewalt und Repression ausgesetzt.

Von Hannah Sophie Droste und Dominik Kotzur

Kolumbien blickt auf eine Geschichte voller Gewalt zurück, daran hat auch der Amtsantritt von Präsident Gustavo Petro im Jahr 2022 kaum etwas geändert. Obwohl er einen "totalen Frieden" anstrebt und Frieden zur obersten Priorität bei allen Staatsangelegenheiten erklärt hat, nehmen gewaltsame Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger*innen zu.

Die Zahl der Zwangsvertreibungen ist im Jahr 2022 auf mehr als 85.000 Fälle ­gestiegen, und auch die Zahl der ermordeten Menschenrechts- und Umwelt­aktivist*innen blieb 2023 auf hohem ­Niveau: Nach Angaben der zivilgesellschaftlichen Organisation INDEPAZ ­wurden 188 Personen wegen ihres Engagements getötet.

Die anhaltende Gewalt ist eng mit den politischen Problemen des Landes verwoben, die bislang nicht vollständig gelöst wurden: Kolumbien ist geprägt von jahrzehntelangen bewaffneten Konflikten zwischen der Regierung, linken Guerilla-Gruppen und paramilitärischen Vereinigungen. Die Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der kolumbianischen Regierung und der bis dahin größten Guerilla-Gruppe FARC im Jahr 2016 markierte zwar einen Wendepunkt, aber die Fortschritte sind nach wie vor begrenzt. Trotz weiteren Friedensverhandlungen und vereinbarten Waffen­ruhen leidet die Zivilbevölkerung weiterhin unter den Folgen des bewaffneten Konflikts, wobei soziale Ungleichheiten, Drogenhandel und fehlende staatliche Präsenz in weiten Teilen des Landes entscheidende Herausforderungen für die Friedensbemühungen darstellen.

70.000 indigene Selbstverteidigungsgruppen

Mitglieder von Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisationen wie ­FEDEPESAN oder Credhos erhalten vermehrt Todesdrohungen von verschiedenen bewaffneten Gruppen. Doch betrifft die Gewalt nicht nur Aktivist*innen, sondern auch diskriminierte Bevölkerungsgruppen wie Frauen und Mädchen, indigene, afrokolumbianische und kleinbäuerliche Gemeinden, LGBTI und in Armut lebende Menschen. Als Reaktion auf die Gewalt haben sich landesweit rund 70.000 indigene Selbstverteidigungsgruppen gebildet, sogenannte Guardias Indígenas. Sie versuchen mit friedlichen Mitteln, indigenes Leben und indigene Territorien gegen das Eindringen bewaffneter Gruppen zu schützen. 

Wegen der andauernden Gewalt verstärkte die Regierung von Gustavo Petro den kollektiven Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen, zumindest auf dem Papier. Praktisch wird das kaum umgesetzt. Obwohl die Regierung versucht, Menschenrechtsverletzungen zu verhindern und das Risiko für Basisorganisationen und Gemeinschaften zu minimieren, fehlen vor allem intersektionale Schutzmaßnahmen. Diese sollten verschiedene Dimensionen von Diskriminierung und Marginalisierung hinsichtlich Geschlechts, ethnischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung oder des sozioökonomischen Status berücksichtigen. Außerdem müssen die tieferliegenden, systemischen Ursachen von Diskriminierung und Ungerechtigkeit bekämpft werden, die zur Gefährdung von Menschenrechtsverteidiger*innen beitragen. 

Ein Grund für die Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger*innen ist auch die Politik der Straflosigkeit, die jahrzehntelang vorherrschte. Ein Großteil der Morde wurde nie aufgeklärt. Auch dagegen muss die kolumbianische Regierung vorgehen, um diejenigen zu schützen, die täglich ihr Leben aufs Spiel setzen, um die Menschenrechte zu verteidigen.

Die Autor*innen sind in der Amnesty-Kogruppe Kolumbien aktiv. Weitere Informationen: amnesty-kolumbien.de

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