Amnesty Journal Katar 12. Oktober 2022

Schmutzige Energie

Eine Erdgasnalage in Katar: Stahlgerüste mit vielen Röhren, dazwischen Straßen, auf denen ein Auto und ein Bauarbeiter auf einem dreirädrigen Fahrrad unterwegs sind.

Die Bundesregierung will infolge des Ukraine-Kriegs Erdgas statt aus Russland künftig aus Katar beziehen. Doch der arabische Staat ist alles andere als ein Ort der Menschenrechte.

Von Annette Jensen

Das Bild ging durch die deutschen Medien: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck verbeugt sich vor dem Emir von Katar, von dem er kurzfristig Gaslieferungen erwartet. Vor dem Ukraine-Krieg kamen 55 Prozent der deutschen Gasimporte aus Russland, diese Abhängigkeit will die Bundesregierung nun so rasch wie möglich reduzieren. Doch bisher fehlen nicht nur die technischen Voraussetzungen, um deutsche Gasspeicher mit Erdgas aus Katar zu ­füllen. Der Emir hat auch wirtschafts­politisch völlig andere Prioritäten als Deutschland. Während die Ampelregierung erklärt hat, sich aus Klimaschutzgründen möglichst schnell von fossilen Energien verabschieden zu wollen, verlangt Katar eine 20-jährige Laufzeit des Liefervertrags sowie Preisgarantien.

"Klimagerechtigkeit ist eine wichtige Voraussetzung zur Wahrung der Menschenrechte weltweit", erklärt Annelen Micus, Amnesty-Fachreferentin für Klimagerechtigkeit, Wirtschaft und Menschenrechte. Schon heute haben Stürme, Überschwemmungen und Trockenheit die Lebensgrundlagen in manchen Teilen der Welt zerstört. Fällt die Erderhitzung höher als 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit aus, beraubt das weitere Millionen Menschen ihrer fundamentalen Rechte. Viele werden durch Hitzewellen oder Hunger sterben. Die Rechte auf Nahrung, Wasser und eine intakte Umwelt wären vielerorts nicht mehr durchsetzbar.

Geschäfte mit einem absoluten Monarchen

"Eine Beschleunigung der Energiewende ist deshalb dringend notwendig", sagt Micus. Statt sich auf lange Sicht auf Gas- und Ölimporte festzulegen, müsste die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft und Bevölkerung von fossilen Energiequellen so schnell wie möglich ­reduziert werden. Doch die Bundesregierung zögert. Auch die G7-Staaten bremsen und verabschiedeten auf ihrem Gipfel im Juni einen Prüfauftrag für neue Gasinvestitionen. "Das ist ein deutlicher Rückschritt", kritisiert Micus. "Deutschland muss endlich seine Verantwortung als ein Hauptverursacher der Klimakrise anerkennen, Emissionen schnellstmöglich reduzieren und die am meisten betroffene Länder bei der Bewältigung der Klimakrise unterstützen." Das wird ohne Änderungen des Lebensstils kaum möglich sein – und Umfragen belegen, dass viele Bürger*innen dazu bereit sind.

Weil Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, versucht die deutsche Regierung, die wirtschaftlichen Beziehungen zu Moskau so weit wie möglich zu kappen. Doch das sollte nicht den Blick dafür verstellen, wie die Lage bei möglichen Ersatzlieferanten aussehe, sagt ­Micus. Der Deal mit Katar jedenfalls steht auch aus menschenrechtlicher Sicht im Widerspruch zum Koalitionsvertrag. Dort heißt es: Der Einsatz für "Freiheit, Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Nachhaltigkeit ist für uns unverzichtbarer Teil einer erfolgreichen und glaubwürdigen Außenpolitik".

Von all diesen Voraussetzungen kann in Katar keine Rede sein. Das Land, das deutlich kleiner ist als Schleswig-Holstein, wird von einem absoluten Monarchen regiert, der sich mit Glaspalästen und Sportstätten schmückt. Zwar lässt er seine etwa 300.000 Staatsbürger*innen am Reichtum aus den Öl- und Gasvorkommen teilhaben – für sie gibt es auch ein gutes Gesundheits- und Sozialsystem. Die Arbeit in dem Wüstenstaat verrichten aber fast ausschließlich etwa 2,5 Millionen Menschen aus Nepal, Bangladesch, Indien und Pakistan sowie Kenia, Uganda und weiteren Ländern Nord- und Ostafrikas. Sie schuften zu Niedriglöhnen und bei bis zu 45 Grad im Schatten auf gigantischen Baustellen, halten die Öl- und Gasindustrie am Laufen, entladen Schiffe, putzen, servieren, fahren die Lastwagen und Taxis.

Wie in anderen arabischen Ländern waren Arbeitsmigrant*innen in Katar bis vor wenigen Jahren dem sogenannten Sponsorensystem (Kafala) unterworfen. Dabei sind sie in allen Belangen von den Arbeitgeber*innen abhängig: Diese behalten ihre Pässe ein und regeln ihren Aufenthaltsstatus, eine frei gewählte Ausreise oder ein Arbeitsplatzwechsel ist nicht erlaubt. Selbst wenn die Arbeitgeber*innen ihre Beschäftigten misshandeln, können sie so verhindern, dass diese sich andere Arbeitsplätze suchen oder ausreisen. Zwar hat Katar offiziell das System seit 2015 schrittweise abgeschafft, und seit zwei Jahren können Arbeitsmigrant*innen theoretisch ihre Arbeitgeber*innen wechseln. Zudem hat der Staat einen mageren Mindestlohn in Höhe von inzwischen 275 Dollar eingeführt sowie einen Fonds eingerichtet, der ausstehende Lohnzahlungen übernehmen soll, wenn ein Unternehmen pleitegeht.

Immer wieder sterben Arbeitsmigrant*innen

Die Liste der angestoßenen Reformen ist lang. An der Umsetzung hapert es jedoch, vor allem weil es kaum Kontrollen gibt. "Der Wandel steht auf dem Papier, aber in der Praxis hat sich nichts geändert", berichtet ein Wachmann, der ­ano­nym bleiben möchte. Und Vani Sara­s­wathi von Migrant-Rights.org stellt fest: "Halten die Arbeitgeber die Mindest­standards nicht ein, werden sie dafür kaum oder gar nicht zur Rechenschaft ­gezogen." Auch würden es viele Arbeitsmigrant*innen nicht wagen, eine Entlassungsbescheinigung zu beantragen, weil sie eine Abschiebung befürchteten. Ohne dieses Papier können sie jedoch keinen Anschlussjob finden.

Immer wieder sterben Arbeitsmigrant*innen, die bei ihrer Einreise nachweislich gesund waren. Während auf den international überwachten Stadionbaustellen Abkühlräume eingerichtet wurden und der Unfall- und Gesundheitsschutz vorbildlich ist, sind die Arbeits- und Wohnbedingungen der meisten ­Migrant*innen sehr schlecht. Recherchen dazu sind schwierig.

Es gibt in Katar keine organisierte Zivilgesellschaft, und Arbeitsmigrant*innen dürfen sich nicht in Gewerkschaften organisieren. So sind wir auf individuelle Kontakte und auf Informationen von Partnerorganisationen und Heimkehrer*innen nach Bangladesch oder in andere Herkunftsländer ­angewiesen.

Katja
Müller-Fahlbusch
Amnesty-Fachreferentin für den Nahen Osten und Nordafrika

"Wir können zwar mit den staatlichen Behörden sprechen", berichtet Katja Müller-Fahlbusch, Amnesty-Fachreferentin für den Nahen Osten und Nordafrika. "Doch gibt es in Katar keine organisierte Zivilgesellschaft, und Arbeitsmigrant*innen dürfen sich nicht in Gewerkschaften organisieren. So sind wir auf individuelle Kontakte und auf Informationen von Partnerorganisationen und Heimkehrer*innen nach Bangladesch oder in andere Herkunftsländer ­angewiesen." Weil man die toten Arbeits­migran­t*innen fast nie obduziere, würden die Arbeitgeber*innen jegliche Verantwortung für Todesfälle von sich weisen. Für die Hinterbliebenen bedeutet das nicht nur den Verlust eines geliebten Menschen, sondern sie bekommen auch keinen Schadenersatz.

Eingeschränkte Freiheiten

Doch auch für die etwa 300.000 Kataris, deren Durchschnittseinkommen weltweit fast an der Spitze liegt, sieht es in puncto Menschenrechte nicht gut aus. "Kritik am Emir ist verboten, und auch die mangelnde Pressefreiheit beobachten wir mit Sorge", erklärt Müller-Fahlbusch. So wurden im Mai zwei Rechtsanwälte zu lebenslanger Haft verurteilt, die das vom Emir erlassene Wahlgesetz kritisiert hatten. Ein kenianischer Wachmann, der sich als Blogger für die Rechte von Arbeitsmigrant*innen eingesetzt hatte, wurde willkürlich verhaftet und durfte das Land nur gegen Zahlung einer hohen Geldstrafe verlassen. Zwei norwegische Journalisten wurden mehr als 30 Stunden festgehalten und mussten ohne ihr Filmmaterial ausreisen, weil sie bei ihren Recherchen zu Arbeitsbedingungen angeblich unbefugt Privatgelände betreten hatten.

Homosexualität ist in Katar gesetzlich verboten, Frauen werden durch Gesetze und im Alltag diskriminiert. Zwar gelten die Mutter und die zweite Ehefrau des Emirs als einflussreich und haben die Bildungschancen von Mädchen zusehends verbessert. Doch Katars Familienrecht orientiert sich weiter an der Scharia. Aufgrund des Vormundschaftssystems müssen Frauen bei allen wichtigen Entscheidungen wie Eheschließung, Auslandsreisen oder in Finanzfragen eine Erlaubnis ihres Vormunds einholen. "Sicher ist die Lage besser als in Saudi-Arabien – und darauf weist Katar häufig hin. Aber das kann ja nicht der Maßstab sein", sagt Müller-Fahlbusch.

Annette Jensen ist Autorin und Journalistin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

Weitere Artikel