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"Die Justiz ist alles andere als unabhängig"
Protestmarsch von Landarbeiter*innen für die Absetzung der Generalstaatsanwältin (Guatemala-Stadt, Juli 2024)
© Johan Ordonez / AFP / Getty Images
In Guatemala kann sich niemand sicher fühlen: Nicht nur Menschenrechtsverteidiger*innen, sondern auch Justizangestellte werden kriminalisiert. Unter ihnen ist Virginia Laparra, die ehemalige Leiterin der Sonderstaatsanwaltschaft gegen Korruption in Quetzaltenango. Im Januar wurde sie nach 20 Monaten Haft in den Hausarrest entlassen, im Juli erneut zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt. Deswegen geht sie vorerst ins Exil.
Interview: Knut Henkel
Sie wurden im Dezember 2022 wegen "Amtsmissbrauch" zu vier Jahren Haft verurteilt, weil sie ein Verfahren gegen einen korrupten Richter eingeleitet hatten. Welche Bedeutung hatte dieses Urteil?
Solche Urteile untergraben das gesunde Rechtsempfinden. Das, was ich und viele andere Justizangestellte in Guatemala erlebt haben, ist schockierend. Meine Inhaftierung hatte Symbolcharakter. An mir wurde ein Exempel statuiert, um allen Angestellten im Justizsystem zu signalisieren: Jeder und jede ist antastbar.
Sie wurden monatelang in einer kleinen Isolationszelle in Guatemala-Stadt festgehalten, rund 200 Kilometer von Ihrer Familie in Quetzaltenango entfernt…
Ziel war es, mich zu demütigen und zu brechen. Ich wurde aus meinem Leben herausgerissen, von meinen beiden Kindern getrennt. Ich habe Geburtstage, Zeugnisvergaben, die Hochzeit meiner Schwester und viele andere prägende Ereignisse in meiner Familie verpasst. Das war hart.
Virginia Laparra, ehemalige Leiterin der Sonderstaatsanwaltschaft gegen Korruptionin Quetzaltenango
© Verdad y Justicia Guatemala
Sie leiden unter Klaustrophobie, wie haben Sie die 20 Monate Haft überstanden?
Ich habe mehrfach keine Luft bekommen, musste raus vor die Zellentür, bin dort zusammengebrochen. Die Wärter*innen haben meist gut reagiert und mir geholfen, aber der Alltag in Isolation ist fürchterlich. Zum Glück hatte ich Bücher, die mir dabei halfen, zumindest geistig dem Ort zu entrinnen, an dem ich mich befand. Geholfen hat mir auch ein kleines Radio und ein klarer Tagesablauf in der Zelle: Putzen, Gymnastik, Kleidung waschen etc.
Ihre Anwältin war optimistisch. Und doch wurden sie im Juli wegen "Weitergabe vertraulicher Informationen" zu einer weiteren fünfjährigen Haftstrafe verurteilt.
Das zweite Urteil ist der Beweis dafür, dass Hass und Vergeltungssucht über den Gesetzen und der Justiz stehen. Die erneute Verurteilung zeigt, dass sich nichts geändert hat. Das ist bitter. Die Justiz in Guatemala ist alles andere als unabhängig. Ich weiß, dass die Wahrheit auf meiner Seite ist.
Ihr Bruder wurde in eine Kommission berufen, die über die Nominierung von Richter*innen an den höchsten Gerichten des Landes entscheidet. Ein positives Signal?
Ja. Mein Bruder ist Jurist und kann nun Einfluss nehmen. Die Nominierungskommissionen können die Strukturen innerhalb der Justiz ändern. Nicht nur mein Bruder, meine ganze Familie engagiert sich für den Wandel in Guatemala.
Der neue Präsident Bernardo Arévalo liefert sich derzeit eine Auseinandersetzung mit der Generalstaatsanwältin María Consuelo Porras, die an vielen willkürlichen Haftstrafen mitgewirkt hat (siehe gegenüberliegende Seite). Kann er diesen Machtkampf gewinnen?
Da treffen zwei Personen aufeinander, die mit sehr unterschiedlichen Ansprüchen antreten. Die eine agiert nach demokratischen und moralischen Prinzipien, die andere setzt alles skrupellos zu ihrem eigenen Vorteil ein und hat das Verfassungsgericht hinter sich. Der Ausgang ist offen, aber sicher ist, dass Arévalo Unterstützung gebrauchen kann.
Knut Henkel arbeitet als freier Korrespondent in Lateinamerika. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.
HINTERGRUND GUATEMALA
von Knut Henkel
Die Erwartungen an den neuen Präsidenten Bernardo Arévalo waren immens. Doch nur wenige Monate nach seiner Vereidigung im Januar macht sich Ernüchterung breit. Arévalo war angetreten, um einen politischen Wandel in Guatemala einzuleiten und die Korruption zu bekämpfen. Symbol dieser Korruption und der Instrumentalisierung der Justiz für politische Zwecke ist die Generalstaatsanwältin María Consuelo Porras. Doch findet Arévalo noch immer kein Mittel gegen sie. Die 70-Jährige nimmt seit Jahren eine Schlüsselposition in der Justiz ein und wollte sogar die Amtsübernahme Arévalos vereiteln.
Deshalb protestierten von Oktober 2023 bis Januar 2024 Tausende Menschen vor dem Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft in Guatemala-Stadt und forderten ihren Rücktritt.
Porras agiert so antidemokratisch und korrupt, dass die US-Behörden ihr die Einreise und jegliche unternehmerische Aktivität in den USA untersagten. Die internationale Ächtung hat in Guatemala jedoch wenig Gewicht: "Porras und ihre Handlanger schalten und walten nach Belieben", sagt Wendy López, Anwältin der Menschenrechtsorganisation UDEFEGUA. Als Beispiel nennt sie die massenhaften absurden Vorladungen von Regierungsmitgliedern: So erhielt Erziehungsministerin Anabella Giracca 136 Vorladungen der Generalstaatsanwaltschaft, 86 wurden Finanzminister Jonathan Menkos zugestellt. Porras und ihre Mitstreiter*innen instrumentalisieren die Justiz weiterhin zu ihrem Vorteil.
"Die Regierung Arévalo tut sich schwer, im Parlament Mehrheiten zu finden, um dem etwas entgegenzusetzen", sagt Héctor Reyes, Direktor der juristischen Hilfsorganisation CALDH. Eine im Mai vorgestellte Gesetzesnovelle der Regierung, die Optionen für die Absetzung der Generalstaatsanwältin enthält, hängt im parlamentarischen Verfahren fest. Und so wird die Kritik lauter, dass Arévalo zu zögerlich agiere. Dies wirkt sich nicht zuletzt auf Prozesse aus, wie zum Beispiel gegen José Rubén Zamora, den Gründer der Tageszeitung El Periódico, oder gegen die Juristin Virginia Laparra (siehe gegenüberliegende Seite). Auch die juristische Aufarbeitung des Bürgerkriegs in den Jahren 1960 bis 1996 stockt unter der Ägide von Porras. Ihr werden beste Kontakte zu den Militärs nachgesagt, die für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht werden.