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Alles Banane?
Seit Ende 2023 hat Ecuador mit Daniel Noboa einen neuen Präsidenten. Sein Hauptziel ist die Bekämpfung der Drogenkartelle. Gleichzeitig versucht er, das Arbeitsrecht zu liberalisieren – vorerst erfolglos.
Aus Quito von Knut Henkel
Noch vor wenigen Jahren gehörte Ecuador zu den sicheren Ländern Lateinamerikas. Doch seit 2019 ist die Gewalt rapide angestiegen, sodass Ecuador heute zu den zehn gefährlichsten Ländern der Welt zählt. Die jährliche Mordrate liegt inzwischen bei 45 Getöteten pro 100.000 Einwohner*innen. Diese bittere Realität will der Ende November 2023 vereidigte Präsident Daniel Noboa zum Besseren verändern.
Im Januar 2024 erklärte er deshalb den rund 25 in Ecuador aktiven Drogenkartellen den Krieg. Um breite Unterstützung für seine Handhabung des "internen bewaffneten Konflikts" zu erhalten, fand am 21. April 2024 ein Referendum statt. Im Kern ging es dabei um die Frage, ob das Militär auch dann gegen die Kartelle eingesetzt werden darf, wenn kein Ausnahmezustand herrscht. Die gut bewaffneten Organisationen kontrollieren nicht nur den Kokain-Schmuggel aus Ecuadors Nachbarländern Kolumbien und Peru nach Europa und die USA, sondern üben auch in vielen Gefängnissen heimlich die Macht aus.
Militäreinsatz für mehr Sicherheit
Das will der mit 36 Jahren jüngste Präsident des Landes ändern, und die Wähler*innen folgten Daniel Noboa beim Referendum auch weitgehend, sagt Mario Melo, Dekan der juristischen Fakultät der katholischen Universität von Quito: "Die Regierung hat grünes Licht erhalten für den Einsatz des Militärs, um für mehr Sicherheit zu sorgen und um wieder die Kontrolle über die Justizvollzugsanstalten zu übernehmen. Auch die Abschiebung von bekannten Drogenkapos in Richtung USA erhielt Zustimmung."
In den vergangenen Jahren war die Anzahl der Morde und Gräueltaten in den Gefängnissen immer weiter angestiegen, und mehreren Drogenkapos gelang die Flucht. Die Kartelle fühlten sich zuletzt so sicher, dass sie Anfang Januar in der Hafenstadt Guayaquil sogar ein TV-Studio stürmten, um ihre Macht zu beweisen. Die Regierung musste reagieren, und befahl einen Militäreinsatz, bei dem landesweit zahlreiche Menschen zu Tode kamen. Tausende Personen wurden seit Ende Januar unter Terrorismusverdacht festgenommen, genaue Zahlen gibt es nicht. Das Referendum sichert diese Einsätze nun dauerhaft ab.
Unter den insgesamt elf Fragen des Referendums waren auch zwei, die nichts mit der Sicherheitslage, sondern viel mit der wirtschaftspolitischen Ausrichtung der Regierung zu tun hatten. Gefragt wurde, ob bei Streitfällen mit internationalen Investoren künftig internationale Schiedsgerichte entscheiden sollen und ob Arbeitsverträge auf Stundenbasis legalisiert werden sollen. "In beiden Fällen lehnten die Wähler*innen ab und bremsten so die Klagemöglichkeiten internationaler Konzerne gegen den Staat, aber auch die weitere Flexibilisierung des Arbeitsmarkts", erläutert Melo.
Gewerkschaften machen mobil
Gegen die Arbeitsverträge auf Stundenbasis hatte vor allem die Gewerkschaftsbewegung des Landes mobil gemacht. Dabei war Jorge Acosta eine treibende Kraft. Der Koordinator der Branchengewerkschaft der Plantagenarbeiter (ASTAC) wirft dem Präsidenten vor, nicht zu seinen Aussagen zu stehen: "Im Wahlkampf nahm er öffentlich Abstand von Arbeitsverträgen auf Stundenbasis. Als Präsident aber packte er die Legalisierung solcher Verträge als Frage ins Referendum. Das ist unglaubwürdig", sagt Acosta. Er zählte 2014 zu den Gründer*innen der ASTAC, die möglichst viele der mehr als 200.000 Arbeiter*innen im Plantagensektor organisieren will. Bananen sind das wichtigste Anbauprodukt Ecuadors. Auch Kakao, Kaffee und Avocados werden en Gros angepflanzt.
Doch nur ein Bruchteil der Arbeiter*innen ist organisiert. Zwischen 4.000 und 5.000 Menschen, darunter auch einige Kleinbauern und -bäuerinnen, sind Mitglied der ASTAC. Landesweit sind kaum mehr als drei Prozent der in regulären Verhältnissen angestellten Arbeitnehmer*innen gewerkschaftlich organisiert, sagt der Politikwissenschaftler Stalin Herrera: "Ecuador hat gewerkschaftsfeindliche Strukturen. Zwar werden hier Arbeitervertreter*innen in der Regel nicht ermordet wie im benachbarten Kolumbien, aber vor allem im Bananensektor werden Mitglieder kleiner Gewerkschaften schnell entlassen."
Unsichere Lage in Guayaquil
Besonders negativ fiel dabei in der Vergangenheit eines der größten Bananenunternehmen des Landes auf: die Noboa-Gruppe. Deren Gründer Álvaro Noboa, der Vater des Präsidenten, wurde als Bananenhändler zum Milliardär und gilt als strikter Gegner jeglicher Gewerkschaften. Folgerichtig ist die Noboa-Gruppe eine gewerkschaftsfreie Zone. Álvaro Noboa kandidierte fünf Mal für das Präsidentenamt und konnte sowohl im Bananenexportverband als auch in einigen Ministerien treue Mitstreiter*innen für seinen gewerkschaftsfeindlichen Kurs gewinnen.
Nun sitzt sein Sohn Daniel, der rund acht Jahre lang im Familienunternehmen arbeitete, an den Schaltstellen der Macht. Nicht nur in Gewerkschaftskreisen wird vermutet, dass der in den USA ausgebildete Betriebswirt Politik im Interesse seiner Familie machen könnte. Dafür spricht auch, dass die Regierung am Ziel der Flexibilisierung der Arbeitsverträge festhalten will, wie Vizepräsidentin Verónica Abad bereits bekannt gab. Für den ASTAC-Koordinator Jorge Acosta ein klarer Verstoß gegen das deutliche Votum der Bevölkerung beim Referendum.
Acosta hat derzeit alle Hände voll zu tun, denn die prekäre Sicherheitslage in und um die Hafenstadt Guayaquil macht auch den Gewerkschaften zu schaffen: "Wir benötigen zusätzliche Mittel, um Einrichtungen wie unsere drei neuen Gesundheitsposten, aber auch die ASTAC-Zentrale in der Nähe von Guayaquil besser zu schützen", sagt Acosta. Händeringend ist er auf der Suche nach internationalen Spenden.
Dabei verweist er auf vier Morddrohungen gegen ASTAC-Mitarbeiter*innen im Herbst 2023, die von Kartellen stammten, die womöglich Verbindungen zu bananenexportierenden Unternehmen haben. Drei Monate später folgten zwei weitere Morddrohungen und ein Attentat auf eine ASTAC-Koordinatorin. "Auf ein ASTAC-Gebäude wurde geschossen, die Kollegin blieb unverletzt. Weil es an dem Tag in Strömen regnete, explodierte das Dynamit nicht, das auf unsere Einrichtung geworfen wurde", erinnert sich Acosta. Wie so oft bei Angriffen auf Gewerkschaftsaktivist*innen in Ecuador stocken die Ermittlungen.
Knut Henkel arbeitet als freier Korrespondent in Lateinamerika. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.