DEINE SPENDE KANN LEBEN RETTEN!
Mit Amnesty kannst du dort helfen, wo es am dringendsten nötig ist.
DEINE SPENDE WIRKT!
MENSCHENRECHTE SCHÜTZEN!
Wir setzen uns für den Schutz von bedrohten Aktivist*innen ein, stellen klare Forderungen an die Politik.
UNTERSTÜTZE UNSERE ARBEIT MIT DEINER SPENDE.
Diskriminierung: "Es bedarf eines gesellschaftlichen Diskurses"

Die Philosophin Andrea Klonschinski beschäftigt sich mit den Themen Diskriminierung und Feminismus.
© Stefan Klatt
Warum ist es oftmals schwer, Diskriminierung zu erkennen? Und gilt eine Unschuldsvermutung wie vor Gericht? Das erklärt die Philosophin Andrea Klonschinski im Interview
Interview: Lea De Gregorio
In manchen Fällen ist es Menschen nicht bewusst, dass sie diskriminieren. Warum ist es schwierig, Diskriminierung zu erkennen?
Das hängt von der Frage ab, wie wir Diskriminierung definieren. Wenn wir Diskriminierung unabhängig von der Absicht der diskriminierenden Person definieren, gibt es solche Fälle. Die sozialpsychologische Forschung zeigt, dass auch Personen, die überzeugt sind, dass sie keine Vorurteile gegenüber Mitgliedern bestimmter Gruppen hegen, implizite Vorurteile haben und auf Basis dieser Vorurteile handeln. In solchen Fällen ist es für beide Beteiligte schwierig festzumachen, ob es sich um Diskriminierung handelt oder nicht.
Haben Sie hierfür ein Beispiel?
Es kann sein, dass ich der Überzeugung bin, dass ich eine Bewerberin eingestellt habe, weil ich sie für die beste Bewerberin halte. Tatsächlich aber haben beispielsweise meine Vorurteile gegenüber einer Person of Color meine Entscheidung mitgeprägt. Dessen bin ich mir nur nicht bewusst. Umgekehrt kann es sein, dass die abgelehnte Person nicht weiß, warum ich sie nicht eingestellt habe. Dementsprechend weiß sie nicht, ob sie diskriminiert worden ist oder eine andere Person tatsächlich besser für die Stelle geeignet war. Insofern ist es im Einzelfall immer sehr schwierig festzustellen, ob eine Diskriminierung vorliegt oder nicht.
Wie würden Sie Diskriminierung definieren?
Eine Arbeitsdefinition von Diskriminierung ist, dass es sich um die bewusste oder unbewusste ungerechtfertigte Benachteiligung von Individuen oder Gruppen auf Basis eines bestimmten Gruppenmerkmals handelt.
In einer Diskriminierungsdefinition von Amnesty International heißt es: Diskriminierte Menschen werden aufgrund individueller oder gruppenspezifischer Merkmale systematisch an der Ausübung ihrer Menschenrechte gehindert.
Meiner Meinung nach wird der Begriff zu weit, wenn wir individuelle Merkmale mit aufnehmen. Bei paradigmatischen Fällen von Diskriminierung wie etwa dem Ausschluss von Frauen vom Wahlrecht ist ganz klar ein Gruppenmerkmal im Spiel. Um Diskriminierung von anderen Formen ungerechter Behandlung zu unterscheiden, ist der Begriff des Gruppenmerkmals ausschlaggebend.
Wer hat überhaupt die Hoheit zu entscheiden, ob es sich in einem konkreten Fall um Diskriminierung handelt?
De facto tun das die Gerichte, weil es sich auch um einen juristischen Begriff handelt. Aber aus meiner Sicht bedarf es auch eines gesellschaftlichen Diskurses darüber, was Diskriminierung ist. Das zeigt zum Beispiel die Debatte darüber, ob Referendarinnen im Gerichtssaal ein Kopftuch tragen dürfen. Da sind verschiedene legitime Anliegen im Spiel. Entsprechend schwierig ist es, zu entscheiden, ob es sich um eine ungerechte Benachteiligung handelt oder um eine legitime Praxis, hinter der gute Gründe stehen. Ich glaube, da kann erst einmal niemand die Hoheit haben. Das muss ausgehandelt werden.
Sollte nicht die Sicht der diskriminierten Person die größte Rolle spielen?
Die Perspektive der potenziell Diskriminierten ist eine wichtige Informationsquelle und muss berücksichtigt werden. Aber wie mein Eingangsbeispiel zeigt, weiß eine benachteiligte Person vielleicht gar nicht, ob sie diskriminiert worden ist. Vielleicht wurde sie auch diskriminiert, ohne dass sie es bemerkt hat. Es spielen sehr viele Faktoren in die Beurteilung einer solchen Situation hinein, wie man auch an dem Kopftuchbeispiel sehen kann.
Gilt bei Diskriminierung die Unschuldsvermutung?
Wahrscheinlich sollte im Zwischenmenschlichen immer gelten, dass man dem Gegenüber nichts Böses unterstellt. Aber in Bezug auf die Diskriminierungsdebatte sollte man die Frage, was Diskriminierung ist, zunächst einmal von der Frage der Schuldzuweisung trennen.
Wie können wir Diskriminierung erkennen und ihr entgegenwirken?
Als Privatpersonen können wir Stereotypisierungen entgegenwirken. Stereotypisierungen stellen die Basis für diskriminierende Handlungen dar. Es ist zwar per se erstmal nicht schlimm, Stereotype zu haben. Aber wenn es sich um negative Vorstellungen im Hinblick auf bestimmte Gruppen handelt, können diese problematisch werden. Man kann sich aber selbst reflektieren und hinterfragen. Man kann auch gezielt Kontakt zu Mitgliedern marginalisierter Gruppen suchen und auf diese Weise Stereotype abbauen. Ansonsten kann ich verschiedene Mechanismen anwenden, um Diskriminierung zu verhindern. Wenn ich an meine Rolle als Dozentin denke, versuche ich zum Beispiel, Männer und Frauen abwechselnd aufzurufen oder korrigiere Klausuren anonym, damit ich nicht etwa Männer unbewusst bevorzuge.
Andrea Klonschinski arbeitet am Lehrstuhl für Praktische Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Sie beschäftigt sich vor allem mit den Themenfeldern Diskriminierung und Feminismus.
Lea De Gregorio ist Volontärin des Amnesty Journals. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder.