Aktuell Ukraine 21. Dezember 2022

Ukraine: Zivilbevölkerung leidet nach russischen Angriffen unter verheerenden Stromausfällen

Das Foto zeigt die Umrisse mehrerer Häuser, die in kompletter Dunkelheit eingehüllt sind. Kein Licht und keine Lampe brennt.

Durch russische Angriffe verursachter Stromausfall in einem Wohngebiet in der ukrainischen Stadt Lwiw (10. Oktober 2022)

Die Angriffe der russischen Streitkräfte auf die ukrainische Energie-Infrastruktur sind ein klarer Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht und führen zu großem Leid in der Zivilbevölkerung. Netzausfälle bedrohen die Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung, Gebäude können tagelang nicht geheizt werden und Kinder nicht die Schule besuchen. Die gegenwärtig niedrigen Temperaturen verschärfen die katastrophale Lage. Amnesty International fordert die russischen Truppen daher auf, ihre rechtswidrigen direkten Attacken auf die zivile Infrastruktur einzustellen.

"Auf der ganzen Welt bereiten sich zahlreiche Länder auf die Feiertage vor und schmücken ihre Straßen mit Weihnachtsbeleuchtung. Inmitten von alledem darf die Welt die Ukraine nicht vergessen, wo weiterhin gnadenlose Dunkelheit herrscht, da Russland dort weiterhin bewusst und unrechtmäßig die Energie-Infrastruktur ins Visier nimmt", so Denis Krivosheev, Experte für Europa und Zentralasien bei Amnesty International.

Die bereits seit Monaten andauernden Angriffe der russischen Truppen auf die ukrainische Energie-Infrastruktur blockieren den Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und Lebensmitteln für die Zivilbevölkerung. Auch können die Menschen ihre kalten Wohnungen nicht angemessen heizen.

Amnesty International hat mit Menschen im ganzen Land gesprochen, die von den Auswirkungen auf ihr tägliches Leben berichteten.

Stromausfälle verschärfen Gesundheitskrise

Eine der von Amnesty befragten Personen ist Olena (Name zum Schutz der Privatsphäre geändert, Anm. d. Red.). Sie sagte: "Es gibt ständig Luftangriffe, so wie gerade jetzt. Bei diesen Angriffen kommen alle Institutionen zum Stillstand, die Gesundheitsleistungen anbieten, also Kliniken, private Krankenhäuser; und auch andere Einrichtungen wie zum Beispiel Geschäfte und öffentliche Verkehrsmittel."

Einmal hatte Olena mit ihrem Sohn einen Termin zur Untersuchung und Impfung. Doch aufgrund eines russischen Luftangriffs musste die Klinik den Termin kurzfristig absagen. Erst mehr als 24 Stunden später konnte sie den Termin wahrnehmen, was wiederum den Rückstau für andere Menschen verschärfte, die medizinische Versorgung in Anspruch nehmen wollten.

Neben diesem eingeschränkten Zugang zu Routineuntersuchungen sind auch chirurgische Eingriffe stark betroffen. Sie müssen nun aufgrund der ständigen und unvorhersehbaren Stromausfälle unter lebensbedrohlichen Bedingungen durchgeführt werden.

Das Bild zeigt wie ein Gebäude brennt, Feuerwehrkräfte versuchen den Brand zu löschen

Löscharbeiten an einer Anlage für Energieversorgung in der ukrainischen Hauptstadt Kiew, die nach russischem Beschuss in Brand geraten war (18. Oktober 2022). Berichten zufolge wurden dabei mehrere Menschen getötet. 

Schulbesuche für Kinder stark eingeschränkt

Jeder verpasste Schultag kann langfristige Auswirkungen auf die Bildungschancen eines Kindes haben. Die anhaltenden Stromausfälle in der Ukraine bedeuten, dass viele Kinder ihre Unterrichtsstunden weder persönlich noch über Online-Plattformen besuchen können. Wer den Weg zur Schule auf sich nimmt, riskiert unter Umständen sein Leben und muss damit rechnen, in absoluter Dunkelheit unterwegs zu sein.

Kateryna (Name zum Schutz der Privatsphäre geändert, Anm. d. Red.) berichtete Amnesty International: "Da die Ampeln und Straßenbeleuchtung während der Netzausfälle nicht funktionieren, herrscht oft Verkehrschaos. Wer sein Kind in die Schule bringt und abends wieder abholt, wenn es dunkel ist, muss sich Sorgen machen, weil beim Überqueren der Straßen Unfallgefahr besteht. Die Todesrate bei Fußgänger*innen hat sich erhöht."

Denis Krivosheev erklärt: "Bildung ist das Fundament einer gut funktionierenden Gesellschaft. Aber in der Ukraine nimmt Russland vorsätzlich die zivile Infrastruktur und auch Schulen ins Visier. Die Kinder können noch nicht einmal Fernunterricht nehmen, weil es keinen Strom und keine Heizung gibt. Russland ist nicht nur für die aktuelle katastrophale Lage in der Ukraine verantwortlich, sondern es zerstört auch die Zukunft des Landes."

Sorge um Gesundheit und psychische Belastungen

Neben dem eingeschränkten Zugang zu Bildung führen die russischen Angriffe in der Ukraine überdies dazu, dass Lebensmittel aufgrund der Stromausfälle schlecht werden. Kinder leiden daher nicht nur unter kalten Temperaturen, sondern auch unter Lebensmittelknappheit.

Olena berichtete gegenüber Amnesty: "Alles ist sehr stressig. Geräte aufladen, Zeit zum Kochen finden. Wenn die Lichter an sind, muss man alles auf einmal machen, keine Zeit zum Ausruhen – es gibt nie wirklich Zeit zum Ausruhen. Und deshalb ist man ständig angespannt. Es ist sehr belastend."

Eine ältere Frau mit Gehstock wird beim Verlassen ihres Grundstücks von einer Soldaten in Uniform und einem Mann in Zivilkleidung gestützt. Alle abgebildeten Personen tragen Winterkleidung.

Eine ältere Frau wird in der ukrainischen Region Charkiw evakuiert, um sie vor den Angriffen der russischen Armee in Sicherheit zu bringen (Oktober 2022).

Marginalisierte Gruppen besonders gefährdet

Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen sowie einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen sind ganz besonders von den Stromausfällen betroffen.

Das Verlassen ihrer Wohnungen ist für Menschen mit eingeschränkter Mobilität, die in Häusern mit mehreren Stockwerken leben, schwierig. Manche haben in den Aufzügen Notfallmaterialien wie zum Beispiel Stühle, Wasser und Lebensmittel deponiert, falls jemand aufgrund eines Stromausfalls darin festsitzt.

Abgesehen von den körperlichen Auswirkungen kann diese Situation auch schwere Folgen für die geistige Gesundheit haben.

Viele geringverdienende Menschen können es sich aufgrund der Kosten kaum leisten, ihre kalten Wohnungen mit zusätzlichen Generatoren, Gasbehältern oder Gasöfen zu heizen.

Hintergrund

Die ukrainischen Behörden versuchen zwar, die beschädigte Infrastruktur zu reparieren. Sie müssen aber gleichzeitig auch geplante Netzausfälle vornehmen, um dafür zu sorgen, dass die verbleibende Energie-Infrastruktur nicht überlastet wird. Im Oktober 2022 waren mindestens 40 Prozent der Energieeinrichtungen des Landes schwer beschädigt. Die Behörden gaben im Dezember 2022 an, dass mehr als die Hälfte aller Energieverbraucher*innen in der Ukraine von Stromausfällen betroffen war.

Amnesty International fordert die russischen Streitkräfte auf, ihre Angriffe auf die Ukraine einzustellen, und appelliert an die internationale Gemeinschaft, die ukrainische Zivilbevölkerung auch über den Winter hinweg zu unterstützen.

Tweet von Amnesty International:

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