Aktuell Kultur 04. Dezember 2017

Interview mit Jella Haase: "Menschenrechte sind das A und O"

Die Schauspielerin ist Patin des Briefmarathons 2017
Schwarz-Weiß-Bild von dem Gesicht einer freundlich blickenden, jungen Frau

Schauspielerin und Amnesty-Unterstützerin Jella Haase

Die schrille Chantal im erfolgreichen Kino-Mehrteiler "Fack Ju Göhte" ist nur eine der großen Rollen von Jella Haase, der diesjährigen Briefmarathon-Patin. Der 25-jährigen Schauspielerin ist die eigene Haltung wichtig – ebenso wie Engagement und Aktivismus.

Interview: Andreas Koob

Seit Ende Oktober sind Sie wieder als Chantal in "Fack Ju Göhte 3" im Kino zu sehen. Was würde Chantal wohl über Amnesty sagen?
Ich denke, dass Chantal Amnesty gut fände. Aber es ist schwierig, in meiner Rolle zu sprechen und da eine Formulierung zu finden. Mit der Crew von "Fack Ju Göhte" haben wir im Vorfeld der Bundestagswahl mit einem Video dazu aufgerufen, Stellung zu beziehen und die Gesellschaft mitzugestalten. Wir haben uns klar ausgesprochen fürs Wählengehen und uns gleichzeitig gegen rechte Parteien und ihre Ideologie positioniert. In dem Clip sagt Chantal, dass sie keine Parteien unterstützt, die gegen "süße kleine Minderheiten" sind. Also auf Diskriminierung und Hetze hat sie keine Lust und deshalb wäre sie wahrscheinlich auch eine Befürworterin von Amnesty.

Oft werden Schauspielerinnen und Schauspieler nach einem derartigen Erfolg auf eine Rolle festgelegt – wie ist es Ihnen gelungen, dass es nicht so kam?
Ich war nie der Typ, der sich Rollen nach einem Muster ausgewählt hat. Nach den "Fack Ju Göhte"-Dreharbeiten hätte mich eine ähnliche Rolle nicht interessiert. Auch wenn ich damit vielleicht sicher gefahren wäre. Das wollte ich aber nicht. Es war eine bewusste Entscheidung, nicht in ein Schema reinzurutschen. Ich achte immer darauf, was die Story mit mir macht. Und gleichzeitig geht es natürlich auch darum, was man ausstrahlt oder was einen interessiert. Ich hatte zudem großes Glück, dass ich sehr unterschiedliche Projekte mit vielfältigen Rollen angeboten bekam. Ich konnte also ein breiteres Spektrum bedienen.

Noch vor Ihrer Rolle als Chantal haben Sie im Film "Kriegerin" eine junge Frau gespielt, die sich in die Neonazi-Szene begibt. Beide Rollen haben es mit sehr dominanten Männern zu tun und auch mit Sexismus – ist das für Sie selbst ein wichtiges Thema? 
Als ich darüber nachgedacht habe, ob ich eine Feministin bin, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass sich mir die Frage eigentlich nicht gestellt hat, weil ich glücklicherweise derart emanzipiert aufgewachsen bin, dass es für mich ganz normal ist, die gleichen Rechte zu haben wie Männer. Wenn ich für mich spreche, kann ich sagen, dass ich mit Sexismus in einem gravierenden Maße noch kein Problem hatte. Aber gleichzeitig ist mir bewusst, dass das nicht alles selbstverständlich ist und hart erkämpft werden musste. Ich finde es enorm wichtig, dass man sich als Frau nicht unterkriegen lässt und sein Ding macht.

Hat Sie die Rolle der jungen Neonazi-Frau über die Produktion hinaus geprägt?
Das war eine sehr intensive Produktion, zumal es eine meiner ersten größeren war. In die Zeit fiel die Selbstenttarnung des "NSU" und damit das Bekanntwerden der rassistischen Mordserie. Regisseur David Wnendt hat mit dem Film den Nerv der Zeit getroffen. Mir selbst war das Problem mit Rechtsextremen vor dem Dreh in dem Ausmaß und in der Ausprägung nicht bewusst. Ich komme aus Berlin, fühle mich als Europäerin und bin in Kreuzberg aufgewachsen, sodass ich selbst damit nie direkt konfrontiert war. Wir haben beim Dreh sehr intensiv über die Vorab-Recherchen gesprochen und auch an echten Brennpunkten gedreht. Ich war noch jung, 17, 18. Das Wissen über die Größe der Szene und den breiten Zulauf – das hat mein Bewusstsein geschärft. Und es beschäftigt mich weiterhin, gerade jetzt, wenn eine rechtsorientierte Partei in den Bundestag einzieht. Es ist Wahnsinn, aber das findet statt.

Was sagen Sie zum allgegenwärtigen Erstarken nationalistischer und rassistischer Einstellungen?
Das erschreckt mich bis ins Mark. Ich habe dafür keinerlei Verständnis. Es ist eine wichtige Frage, was man dem entgegensetzen kann. Haltung zu zeigen und Position zu beziehen ist wichtig. Ich glaube nicht, dass die meisten Menschen rechts sind. Teils sind es ja irrationale Ängste, die die Menschen antreiben, und die muss man ihnen nehmen, sodass populistische Hymnen auch nicht mehr greifen können, weil die Leute wieder anfangen, nachzudenken und Dinge zu hinterfragen.

Haltung zeigen, ist das auch als Schauspielerin wichtig?
Als junge Schauspielerin schaue ich mich manchmal um und denke, dass es so viele andere tolle Schauspieler gibt, die alle tolle Sachen drehen. Da kann schnell das Gefühl aufkommen, dass man untergeht. Dann muss man sich immer wieder fragen: Warum mache ich den Beruf? Welche Geschichten will ich erzählen und um welche Form von Kunst geht es mir? Wie definiere ich mich und meine Filme? Damit man nicht dahin abrutscht, sich ständig zu vergleichen. Dafür braucht es Haltung – das muss nicht unbedingt eine politische sein, sondern erst einmal eine Haltung zu sich selbst und zur Frage, wie man zu sich und seiner Arbeit steht.

Sie sind Patin des Briefmarathons 2017. Warum unterstützen Sie Amnesty?
Ich frage mich immer wieder: Wie viel Haltung und ­Positionierung muss man als Mensch zeigen, der in der ­Öffentlichkeit agiert? Eine Aktion wie den Briefmarathon finde ich toll. Es ist wichtig, dass es Organisationen wie ­Amnesty gibt, die genau hingucken und die gewisse Dinge nicht durchgehen lassen. Das ist essenziell, um Missstände aufzuzeigen und Leuten zu helfen. Dadurch, dass es Amnesty und andere Organisationen gibt, hat man eine Sicherheit, dass auf die Menschenrechte geachtet wird.

Warum sind Menschenrechte für Sie ein zentrales Thema?
Die Menschenrechte und auch die Kinderrechte sind das A und O: Eine Gesellschaft kann nur funktionieren, wenn die Menschenrechte gewahrt werden. Sie sind ein Garant und ein echter Fortschritt. Und ich empfinde es als einen großen Rückschritt, dass gewisse Länder die Menschenrechte mit Füßen treten. Wir leben im 21. Jahrhundert, sind aufgeklärt, die Forschung ist enorm weit vorangeschritten, aber wir schaffen es nicht, uns als Menschen fair gegenüberzutreten. Das ist erschreckend und deshalb ist es absolut wichtig, für die Wahrung der Menschenrechte einzutreten.

Sind Aktivismus und ehrenamtliches Engagement wichtig?
Da muss jeder für sich persönlich ein gutes Maß finden. Ich mache viele Sachen, aber das mache ich auch einfach für mich, das ist mir schlicht ein Bedürfnis, und ich möchte gar nicht, dass das groß an die Öffentlichkeit kommt. Aber klar, für die Gesellschaft ist Engagement wichtig. 

Welche Erfahrungen machen Sie dabei?
Meist sind es sehr positive: Bei der Berliner Initiative "Über den Tellerrand" habe ich mit einem Flüchtling aus ­Nigeria gekocht. Er hat uns ein Gericht aus seiner Heimat beigebracht. Das fand ich faszinierend – in einem Austausch etwas über diese Kultur zu erfahren; und gar nicht das Gefühl zu haben, ich helfe irgendjemandem, sondern ich selbst lerne etwas. Das ist wichtig, dass man Menschen ihre Selbstbestimmung lässt und gemeinsam versucht, Gesellschaft zu gestalten.

Beim Briefmarathon schreiben weltweit Hunderttausende Menschen Briefe. Schreiben Sie privat Briefe per Hand?
Ja, da bin ich altmodisch: Ich schreibe gern handschriftlich Tagebuch und auf jedem Fall auch Briefe. Einen handschriftlichen Brief kann nichts ersetzen. Das zeigt, dass man sich Zeit nimmt, sich hinsetzt. Man sucht sich schönes Briefpapier aus und schreibt. Mir ist es ganz wichtig, dass die Schreibkultur nicht verloren geht. Ich hatte als Kind viele Brieffreundinnen und schreibe gern Postkarten und freue mich natürlich auch, welche zu bekommen.

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