Aktuell 28. April 2020

Coronavirus in Gefängnissen: Staaten in Subsahara-Afrika müssen Häftlinge schützen

Überfüllte Gefängniszelle, schmale Fenster an einer Wand, die die Zelle etwas erhellen. Dutzende Gefangene liegen auf dem Boden, einer stehend.

Eine überfüllte Gefängniszelle im Manakara-Gefängnis in Madagaskar am 15. September 2018

In den Staaten südlich der Sahara müssen dringend Maßnahmen ergriffen werden, um Häftlinge in Gefängnissen vor COVID-19 zu schützen. Amnesty International fordert unter anderem die Freilassung von gewaltlosen politischen Gefangenen, die Überprüfung von Fällen von Untersuchungshaft und eine angemessene Gesundheitsfürsorge und Versorgung mit Hygieneartikeln in allen Hafteinrichtungen.

In zahlreichen Staaten südlich der Sahara befinden sich sehr viele Inhaftierte lediglich deshalb im Gefängnis, weil sie friedlich von ihren Menschenrechten Gebrauch gemacht haben. Gewaltlose politische Gefangene sollten ohnehin freigelassen werden, und gerade jetzt würde ihre umgehende und bedingungslose Haftentlassung die Gefängnisse entlasten und dazu beitragen, andere Inhaftierte und das Gefängnispersonal vor COVID-19 zu schützen. 

"COVID-19 breitet sich in den Staaten südlich der Sahara immer weiter aus und bedeutet für viele der stark überbelegten Gefängnisse und Hafteinrichtungen eine potenzielle gesundheitliche Katastrophe, besonders angesichts niedriger Standards in den Bereichen Hygiene und Gesundheitsversorgung", warnt Samira Daoud, Regionaldirektorin für West- und Zentralafrika bei Amnesty International.

Amnesty International appelliert zudem an die Behörden, zu prüfen, ob ältere Gefangene, Inhaftierte mit Vorerkrankungen, schwangere Insassinnen sowie inhaftierte Frauen und Mädchen mit Kindern vorzeitig, vorübergehend oder unter Auflagen freigelassen werden können.

Selbst vor der COVID-19-Pandemie waren die Gefängnisse in der Demokratischen Republik Kongo tödliche Orte. Das Coronavirus offenbart die harte Realität der Inhaftierten und verschärft noch zusätzlich die Risiken, denen die Häftlinge ohnehin Tag für Tag ausgesetzt sind.

Deprose
Muchena
Regionaldirektor für das südliche Afrika bei Amnesty International 

In vielen Staaten Subsahara-Afrikas wird routinemäßig und in unverhältnismäßigem Maße auf Untersuchungshaft als Strafe zurückgegriffen. Im Juni 2019 befanden sich in Madagaskar 28.045 Menschen im Gefängnis, obwohl die offizielle Kapazität der Hafteinrichtungen des Landes lediglich bei 10.360 liegt. Mehr als 75 Prozent der 977 inhaftierten minderjährigen Jungen befanden sich in Untersuchungshaft. In Madagaskar werden Minderjährige und Erwachsene, denen Bagatelldelikte vorgeworfen werden, gleichermaßen in überbelegten und unhygienischen Gefängnissen festgehalten, häufig über die rechtlich vorgesehene Dauer der Untersuchungshaft hinaus.

Im Senegal waren vor der Ankündigung einiger Haftentlassungen im März 2020 11.547 Personen in 37 Gefängnissen inhaftiert, deren offizielle Kapazität bei 4.224 Häftlingen lag. Ähnlich sieht es in Burundi aus, dessen Gefängnisse für insgesamt 4.194 Personen ausgelegt sind, im Dezember 2019 jedoch 11.464 Inhaftierte verzeichneten, von denen sich 45,5% in Untersuchungshaft befanden.

Die letzten verfügbaren Zahlen aus dem Makala-Zentralgefängnis in der Demokratischen Republik Kongo zeigen, dass dort im Jahr 2016 etwa 8.000 Personen inhaftiert waren, was die offizielle Kapazität von 1.500 um ein Fünffaches überstieg. Zwar wurden 2019 landesweit etwa 700 Häftlinge entlassen, doch im gleichen Zeitraum starben mindestens 120 Inhaftierte an Hunger, fehlendem Zugang zu sauberem Trinkwasser oder mangelhafter Gesundheitsversorgung.

"Selbst vor der COVID-19-Pandemie waren die Gefängnisse in der Demokratischen Republik Kongo tödliche Orte. Das Coronavirus offenbart die harte Realität der Inhaftierten und verschärft noch zusätzlich die Risiken, denen die Häftlinge ohnehin Tag für Tag ausgesetzt sind", sagt Deprose Muchena, Regionaldirektor für das südliche Afrika bei Amnesty International.

Medienschaffende, Menschenrechtler_innen, Studierende

Viele Länder in der Region sind seit Langem dafür bekannt, dass sie Personen willkürlich inhaftieren, weil sie entweder Gebrauch von den Rechten auf Meinungs-, Versammlungs- oder Vereinigungsfreiheit gemacht oder diese verteidigt haben. Dies trägt zur Überbelegung in den Hafteinrichtungen bei.

Amnesty International hat die Fälle einiger gewaltloser politischer Gefangener dokumentiert, die nun im Gefängnis stark durch COVID-19 gefährdet sind. Einige Beispiele: Der Investigativjournalist Ignace Sossou wurde in Benin am 24. Dezember 2019 von einem Gericht zu 18 Monaten Haft und einer Geldstrafe verurteilt. Das Gericht befand ihn der "Diffamierung in den Sozialen Medien" für schuldig, weil er auf Twitter Aussagen des Generalstaatsanwalts zitierte, die dieser auf einer Konferenz der französischen Medienentwicklungsagentur CFI gemacht hatte.

In Burundi wurde der Menschenrechtler Germain Rukuki aufgrund seiner Arbeit festgenommen und im April 2018 zu 32 Jahren Gefängnis verurteilt. Vier Medienschaffende, die für das unabhängige Nachrichtenportal Iwacu arbeiten, wurden am 30. Januar 2020 zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt, weil sie über tödliche Zusammenstöße in Burundi berichten wollten.

In Kamerun wurden die drei jungen Männer Fomusoh Ivo Feh, Afuh Nivelle Nfor und Azah Levis Gob zu zehn Jahren Haft verurteilt, weil sie "terrorismusbezogene Informationen nicht gemeldet" haben sollen. Grundlage für die Verurteilung war eine ironisch verfasste SMS, die Fomusoh Ivo Feh an Azah Levis Gob geschickt hatte, der sie wiederum mit Afuh Nivelle Nfor geteilt hatte. Auch viele Personen, die friedlich gegen die mutmaßlichen Unregelmäßigkeiten bei der Präsidentschaftswahl von 2018 protestiert oder sich für wirtschaftliche und soziale Rechte in englischsprachigen Regionen eingesetzt haben, sind in Kamerun nach wie vor inhaftiert. So zum Beispiel Mancho Bibixy Tse, der am 9. Januar 2017 festgenommen und am 25. Mai 2018 vor einem Militärgericht wegen "Terrorismus" zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Grundlage für die Verurteilung war ein friedlicher Protest gegen die Marginalisierung von englischsprechenden Kameruner_innen.

Amnesty International betrachtet alle diese Menschen als gewaltlose politische Gefangene, die lediglich deshalb inhaftiert wurden, weil sie ihre Menschenrechte wahrgenommen haben. Sie müssen umgehend und bedingungslos freigelassen werden.

Deprose
Muchena
Regionaldirektor für das südliche Afrika bei Amnesty International 

Im Tschad erhielt Martin Inoua, der Direktor der privatwirtschaftlichen Zeitung Salam Info, im September 2019 eine dreijährige Haftstrafe wegen Diffamierung, verleumderischer Bezichtigung und krimineller Verschwörung. Zuvor hatte er einen Artikel veröffentlicht, in dem ein ehemaliger Minister von einem Familienmitglied der sexuellen Nötigung beschuldigt wurde. Er wurde auf der Grundlage einer Anzeige des betroffenen Ministers festgenommen.

"Amnesty International betrachtet alle diese Menschen als gewaltlose politische Gefangene, die lediglich deshalb inhaftiert wurden, weil sie ihre Menschenrechte wahrgenommen haben. Sie müssen umgehend und bedingungslos freigelassen werden", sagt Muchena.

In Gabun wurde Bertrand Zibi Abeghe, ein Mitglied des oppositionellen Zusammenschlusses Coalition pour la Nouvelle République, am 31. August 2016 bei Protesten gegen die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl festgenommen und befindet sich seither in Untersuchungshaft. Seit September 2018 ist die rechtliche Maximaldauer seiner Untersuchungshaft überschritten. Er befindet sich daher rechtswidrig in Haft.

In Guinea sind Mitglieder des NGO-Zusammenschlusses FNDC (Front National pour la Défense de la Constitution) willkürlich inhaftiert, weil sie friedlich gegen das am 22. März 2020 abgehaltene Verfassungsreferendum und die damit einhergehende Verfassungsreform protestiert hatten, die es Präsident Alpha Condé erlauben würde, für eine dritte Amtszeit zu kandidieren.

Der mosambikanische Journalist Ibraimo Abú Mbaruco verschwand am 7. April 2020 spurlos. Kurz zuvor hatte er einem Kollegen eine Textnachricht gesendet, in der er sagte, er werde in der Nähe seines Zuhauses in Palma in der nördlichen Provinz Cabo Delgado von Armeeangehörigen drangsaliert. In Mosambik werden Medienschaffende häufig willkürlich inhaftiert und der Gefahr von Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt.

"Es ist äußerst besorgniserregend, dass so viele Menschen, die friedlich ihre Menschenrechte wahrgenommen haben, nun Gefahr laufen, sich in den Gefängnissen der Region mit dem potenziell tödlichen Coronavirus anzustecken. Sie alle müssen unverzüglich freigelassen werden", so Muchena.

In Somaliland begnadigte Präsident Muse Bihi Abdi am 1. April 2020 574 Gefangene, um angesichts der COVID-19-Pandemie die Gefängnisse zu entlasten. Der freiberufliche Journalist Abdimalik Muse Oldon wurde allerdings nicht freigelassen. Er war vor einem Jahr festgenommen und willkürlich inhaftiert worden, weil er den Präsidenten auf Facebook kritisiert haben soll.

Proträtbild von Tito Magoti

Seit dem 20. Dezember 2019 in polizeilichem Gewahrsam: Der Menschenrechtsanwalt Tito Magoti aus Tansania

 

Politische Gegner_innen und Regierungskritiker_innen

In der Republik Kongo werden vier Unterstützer der Oppositionsbewegung Incarner L’Espoir seit mehreren Monaten willkürlich festgehalten. Parfait Mabiala, Franck Donald Saboukoulou Loubaki, Guil Miangué Ossebi und Meldry Rolf Dissavoulou werden beschuldigt, die staatliche Sicherheit gefährdet zu haben. Zwei Oppositionspolitiker und Präsidentschaftskandidaten der Wahl 2016, Jean-Marie Michel Mokoko und André Okombi Salissa, wurden 2018 willkürlich inhaftiert, weil ihnen vorgeworfen wird, die innere Sicherheit des Staates gefährdet zu haben.

In Eritrea droht all denjenigen, die von der Regierungslinie abweichende Ansichten äußern, die Festnahme. Tausende Politiker_innen, Medienschaffende, Menschenrechtler_innen und sogar ihre Familienmitglieder werden seit Jahren festgehalten, ohne dass Freilassungen gemeldet wurden.

In Äthiopien sind angesichts der COVID-19-Pandemie mehr als 10.000 Inhaftierte freigelassen worden, die kurz vor Ableistung ihrer Haftstrafe stehen oder zu Gefängnisstrafen von weniger als drei Jahren verurteilt wurden. Dennoch werden nach wie vor Oppositionspolitiker_innen und Medienschaffende nur aufgrund ihrer Ansichten oder Tätigkeit inhaftiert.

In Madagaskar wurde Arphine Helisoa, die Verlagsleiterin der Zeitung Ny Valosoa, am 4. April 2020 im Antanimora-Gefängnis in Untersuchungshaft genommen. Ihr wird vorgeworfen, "falsche Nachrichten" verbreitet und "zum Hass gegen Präsident Andry Rajoelina angestiftet" zu haben, weil sie die Reaktion des Präsidenten auf die COVID-19-Pandemie kritisiert hatte.

Die Ausbreitung von COVID-19 gibt auch in Gefängnissen und anderen Hafteinrichtungen Anlass zur Sorge um die öffentliche Gesundheit. Alle Staaten sollten die Reduzierung der Gefängnispopulation als dringenden und wichtigen Teil ihrer Strategie zum Umgang mit COVID-19 begreifen.

Samira
Daoud
Regionaldirektorin für West- und Zentralafrika bei Amnesty International

Im Südsudan haben Angehörige des Geheimdienstes seit Ausbruch des Konflikts 2013 Hunderte, möglicherweise sogar Tausende, vermeintliche Regierungsgegner_innen, Medienschaffende und zivilgesellschaftlich engagierte Personen willkürlich und ohne Anklage inhaftiert. Die Inhaftierten sind von ihren Familien abhängig, die ihnen Lebensmittel bringen. In vielen Fällen ist dies nun aufgrund der Einschränkungen zur Eindämmung des Coronavirus nicht mehr möglich.

In Tansania befinden sich der Menschenrechtsanwalt Tito Magoti und der Mitangeklagte Theodory Giyani seit dem 20. Dezember 2019 in polizeilichem Gewahrsam. Ihr Gerichtsverfahren wurde am 15. April zum neunten Mal vertagt. In Uganda wurde am 13. April der Schriftsteller und Jurastudent Kakwenza Rukirabashaija von der Militärpolizei festgenommen. Er ist als Autor des Buches "The Greedy Barbarian" bekannt, in dem die Präsidentenfamilie kritisiert wird. Anklage ist noch keine erhoben worden.

In Togo befinden sich der Halbbruder des Präsidenten Faure Gnassingbé, Kpatcha Gnassingbé, sowie Kommandant Atti Abi und Hauptmann Dontéma Kokou Tchaa in Haft. Sie wurden 2011 in einem unfairen Verfahren wegen Verbrechen gegen den Staat und Rebellion schuldig gesprochen. Ihre Inhaftierung wurde 2014 von der Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen der Vereinten Nationen als willkürlich bezeichnet. Trotz der Zusicherungen der Behörden, umfassend mit den Sonderverfahren der Vereinten Nationen zusammenarbeiten zu wollen, befinden sich die Männer nach wie vor in Haft.

"Die Ausbreitung von COVID-19 gibt auch in Gefängnissen und anderen Hafteinrichtungen Anlass zur Sorge um die öffentliche Gesundheit. Alle Staaten sollten die Reduzierung der Gefängnispopulation als dringenden und wichtigen Teil ihrer Strategie zum Umgang mit COVID-19 begreifen. Als ersten Schritt sollten alle diejenigen umgehend und bedingungslos freigelassen werden, die niemals hätten inhaftiert werden dürfen", sagt Samira Daoud, Regionaldirektorin für West- und Zentralafrika bei Amnesty International.

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