Aktuell Belarus 17. September 2021

Belarus: Mitglieder der Organisation Viasna müssen freigelassen werden!

Das Bild zeigte viel Menschen in einem Protestzug, manche mit Blumen andere mit weiß-roten Flaggen und Schirmen

Regierungskritische Proteste in der belarussischen Hauptstadt Minsk im November 2020

Belarussische Behörden gehen seit den Präsidentschaftswahlen im vergangenen August massiv gegen die Zivilbevölkerung im Land vor. Im Fokus der Behörden steht dabei auch die Menschenrechtsorganisation Viasna, deren Mitarbeiter_innen und Mitglieder die regierungskritischen Proteste in den vergangenen Monaten beobachtet und Menschenrechtsverletzungen dokumentiert haben. Viele von ihnen wurden deshalb inhaftiert und strafrechtlich verfolgt. Amnesty und weitere Menschenrechtsorganisationen fordern ihre sofortige und bedingungslose Freilassung sowie ein Ende der staatlichen Repression.

Am ersten Jahrestag des beispiellosen Vorgehens gegen das Menschenrechtszentrum Viasna in Belarus fordern 20 internationale und belarussische Menschenrechtsorganisationen die Freilassung von sieben inhaftierten Viasna-Mitgliedern. Sie machen auf die Notlage Hunderter weiterer Menschen aufmerksam, die nur wegen der Ausübung ihres Rechts auf friedliche Versammlung und freie Meinungsäußerung verfolgt und inhaftiert wurden.  

 

"Heute ist es ein Jahr her, dass die belarussischen Behörden ihre schamlose Hexenjagd gegen die Organisation Viasna mit der willkürlichen Inhaftierung von Marfa Rabkova, der Freiwilligenkoordinatorin von Viasna, begonnen haben. In den darauffolgenden Monaten wurden sechs weitere Mitglieder dieser Menschenrechtsorganisation hinter Gitter gebracht und wegen unbegründeter Straftaten angeklagt, weil sie ihrer legitimen Menschenrechtsarbeit nachgegangen sind", so die Organisationen. 

Amnesty-Video über die regierungskritischen Proteste in Belarus im Sommer 2020:

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Im Folgenden folgt eine Liste der Inhaftierten und der gegen sie erhobenen Anklagen gemäß dem belarussischen Strafgesetzbuch: 

Marfa Rabkova, die Koordinatorin des Freiwilligen-Netzwerks von Viasna, wurde am 17. September 2020 festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Sie wurde wegen "Ausbildung und sonstiger Vorbereitung von Personen auf die Teilnahme an Massenunruhen", "Aufstachelung durch eine Gruppe zu Rassenhass, nationalem, religiösem oder sonstigem sozialen Hass oder Zwietracht" und "Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung" angeklagt und könnte zu bis zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt werden. 

 

Andrei Chepyuk, ein Freiwilliger von Viasna in Minsk, wurde am 2. Oktober 2020 festgenommen und ist wegen "Teilnahme an Massenunruhen" und "Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung" angeklagt. Ihm droht eine Haftstrafe von bis zu sieben Jahren. 

 

Leanid Sudalenka, der Leiter der Zweigstelle  von Viasna in Homel, wurde am 18. Januar 2021 auf dem Weg ins Büro festgenommen. Sudalenka hatte Dutzenden von Einwohner_innen der Region Homel, die wegen ihrer Teilnahme an den Protesten nach den Wahlen festgenommen und angeklagt worden waren, Rechtsbeistand geleistet. 

 

Tatsyana Lasitsa, eine Aktivistin, die ehrenamtlich für Viasna in Homel tätig ist, wurde am 21. Januar 2021 festgenommen und wegen "Organisation oder Teilnahme an Gruppenaktionen, die die öffentliche Ordnung schwer verletzen" angeklagt. Ihr droht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. 

 

Eine weitere Freiwillige des Homeler Zweigs von Viasna, Maryia Tarasenka, wurde am 18. Januar 2021 festgenommen. Sie wurde drei Tage lang festgehalten, bevor man sie am 21. Januar 2021 freiließ, nachdem sie sich bereit erklärt hatte, eine Verpflichtung zu unterzeichnen, das Land nicht zu verlassen.  

 

Alle drei Mitglieder des Homel-Zweiges von Viasna, Leanid Sudalenka, Tatsyana Lasitsa und Maryia Tarasenka, sind wegen "Organisation, Finanzierung, Ausbildung und Vorbereitung von Handlungen, die die öffentliche Ordnung grob verletzen, und Finanzierung solcher Handlungen" gemäß Paragraf 342, Absatz 1 und 2 des Strafgesetzbuchs angeklagt. Im Falle einer Verurteilung droht ihnen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. 

 

Am 16. Februar 2021 durchsuchten belarussische Sicherheitskräfte Viasna-Filialen in Minsk, Homel, Mahilyou (Mogilev), Vitsebsk (Wizebsk), Brest und anderen Städten sowie die Wohnungen von Mitarbeiter_innen.  Im März 2021 eröffnete die belarussische Ermittlungsbehörde   ein Strafverfahren wegen der Aktivitäten von Viasna gemäß Paragraf 342 des Strafgesetzbuchs ("Organisation und Vorbereitung von Handlungen, die die öffentliche Ordnung schwer verletzen, oder aktive Teilnahme an solchen Handlungen"). 

 

Schließlich wurden am 14. Juli 2021 nach Razzien belarussischer Sicherheitskräfte bei mehr als einem Dutzend wichtiger belarussischer Zivilgesellschafts- und Menschenrechtsorganisationen, darunter auch Viasna, Ales Bialiatski, der Vorsitzende von Viasna, Valiantsin Stefanovich, Mitglied des Viasna-Vorstands und Vizepräsident der Internationalen Föderation für Menschenrechte, und Uladzimir Labkovich, ein Anwalt von Viasna, festgenommen. Sie alle wurden nach Paragraf 342 und Paragraf 243 Absatz 2 ("Steuerhinterziehung") angeklagt, der eine Höchststrafe von sieben Jahren vorsieht. 

Systematische Unterdrückung der Zivilgesellschaft  

Die Repressalien gegen Viasna sind nur ein Teil des weitreichenden Vorgehens gegen die Zivilgesellschaft in Belarus. Allein am 22. Juli 2021 ordnete das Justizministerium die Schließung von 53 Organisationen an. Gegenwärtig sind mehr als 200 zivilgesellschaftliche Organisationen bereits geschlossen worden oder stehen kurz vor der Schließung.  

 

"Die Regierung von Alexander Lukaschenko geht offen gegen friedliche Demonstrant_innen vor, stellt aber diejenigen, die sie verteidigen, im Geheimen vor Gericht. Ihre Schein-Prozesse werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgehalten, um die absurden Anklagen zu verbergen, zu verhindern, dass Zeug_innen auftreten können, damit das Verfahren nicht zu einer Blamage für die Regierung wird. Die Regierung setzt Anwält_innen, die friedliche Demonstrant_innen vertreten, unter Druck, nicht zu sprechen, und gibt nur spärliche Informationen preiß. Dennoch können wir sicher sein, dass diese sieben Menschenrechtsverteidiger_innen unschuldig sind, und wir fordern ihre sofortige und bedingungslose Freilassung", so die Organisationen. 

 

Es ist zu befürchten, dass keiner der Viasna-Mitarbeiter_innen oder -Freiwilligen ein faires Verfahren erhalten wird. Uladzimir Labkovich zum Beispiel hatte nach seiner Festnahme mehrere Tage lang keinen Zugang zu seinem Rechtsbeistand. Auch die Haftbedingungen sind besorgniserregend, da die meisten Menschenrechtsverteidiger_innen keine Telefonanrufe oder Besuche von Familienangehörigen empfangen dürfen und ihre Korrespondenz oft blockiert wird.  

Instagram-Beitrag von Amnesty in Österreich:

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Die gemeinsame Kampagne #FreeViasna, die die sofortige Freilassung der sieben aus Viasna fordert, appelliert an die belarussischen Behörden:

  • Ihren internationalen Menschenrechtsverpflichtungen als Vertragspartei des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte in vollem Umfang nachzukommen und das Recht auf Vereinigungsfreiheit, friedliche Versammlung und freie Meinungsäußerung für alle Menschen in Belarus zu respektieren. 
  • die Arbeit von Menschenrechtsverteidiger_innen in vollem Umfang zu respektieren und zu schützen und sicherzustellen, dass jede_r das Recht hat, sich über die Politik und die Handlungen einzelner Beamt_innen und staatlicher Stellen zu beschweren und professionell qualifizierten Rechtsbeistand oder andere einschlägige Beratung und Unterstützung bei der Verteidigung der Menschenrechte und Grundfreiheiten anzubieten und zu leisten.  
  • Lassen Sie im Einklang mit diesen Verpflichtungen Marfa Rabkova, Andrei Chepyuk, Tatsyana Lasitsa, Leanid Sudalenka, Ales Bialatski, Valiantsin Stefanovich und Uladzimir Labkovich unverzüglich und bedingungslos frei, lassen Sie die Anklagen gegen sie, Maryia Tarasenka und andere Viasna-Mitarbeiter_innen und -Freiwillige fallen und gewährleisten Sie ihr Recht, gegen unrechtmäßige Verfolgung Rechtsmittel einzulegen. 

Hintergrund 

Die 1996 gegründete Organisation Viasna ist eine der führenden Menschenrechtsgruppen in Belarus und hat nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen im August 2020 Menschenrechtsverletzungen aktiv beobachtet und dokumentiert. Viasna war während ihres gesamten Bestehens Schikanen und Einmischungen seitens der belarussischen Behörden ausgesetzt. Im Jahr 2003 wurde die Organisation von den Behörden aus dem Register gestrichen, und trotz zahlreicher Versuche, sich erneut registrieren zu lassen, war Viasna gezwungen, ihre Arbeit ohne offizielle Registrierung fortzusetzen. Im Jahr 2011 wurde der Vorsitzende, Ales Bialiatski, wegen Steuerhinterziehung zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt, von denen er fast drei Jahre verbüßte, bevor er 2014 im Rahmen einer Amnestie freigelassen wurde. 

Unterzeichnende:

Article 19     

Amnesty International          

Belarusian Helsinki Committee          

Barys Zvozskau Belarusian Human Rights House 

Civil Rights Defenders          

FIDH          

Freedom House          

Front Line Defenders 

Helsinki Foundation for Human Rights          

Human Rights House Foundation          

Human Rights Watch          

Libereco 

Netherlands Helsinki Committee          

Norwegian Helsinki Committee          

OMCT          

Östgruppen - Swedish Initiative for Democracy and Human Rights 

People In Need          

Protection International          

Right Livelihood          

Human Rights Centre Viasna 

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