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Raus aus dem Kreislauf
Im Hintergrund die Ölraffinerie: Barrancabermeja, im Norden Kolumbiens.
© Luca Zanetti
Die Ausbeutung der Natur, der Klimawandel und die Gefährdung von Menschenrechten hängen eng miteinander zusammen. Wer sich für den Schutz von Umwelt und Klima einsetzt, gerät ins Visier von Unternehmen und Regierungen.
Von Rouven Harms und Lina Ebbecke
Die globale Durchschnittstemperatur wird wahrscheinlich Anfang der 2030er Jahre 1,5 Grad höher liegen als vor der industriellen Revolution und der damit verbundenen intensiven Nutzung fossiler Brennstoffe. Laut dem Weltklimarat (IPCC) lässt sich das häufigere Auftreten extremer Wetterereignisse wie Dürren oder Hurrikane direkt dem menschengemachten Treibhauseffekt zuordnen. Amnesty International stellte bereits 2021 in einem umfassenden Bericht fest: "Das veränderte Klima bringt eine Menschenrechtskrise von noch nie dagewesenem Ausmaß mit sich. Der Klimawandel bedroht die zivilen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte heutiger und künftiger Generationen und letztlich die Zukunft der Menschheit."
Die Klimakrise ist auch eine Menschenrechtskrise. Wie der rasante Klimawandel und dessen Ursachen mit Menschenrechtsverletzungen zusammenhängen, ist aufgrund der zahlreichen Ereignisse weltweit nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen. Doch befinden wir uns in einem Kreislauf, der uns immer tiefer in die Klimakrise führt: Die Ausbeutung von Mensch und Natur sorgt in einer kapitalistischen und immer noch überwiegend auf fossilen Brennstoffen beruhenden Wirtschaftsweise für zahlreiche Verletzungen von Menschenrechten.
Viele Menschen protestieren gegen akute oder zukünftige Bedrohungen ihrer Lebensgrundlagen. Bei den Aktionen zum Schutz der Umwelt und des Klimas sind Akteur*innen des Globalen Südens an vorderster Front, denn dort ist die Klimakrise schon jetzt besonders stark zu spüren. Dieser Protest bedroht die Interessen wirtschaftlicher und politischer Akteur*innen, die teilweise mit massiver Unterdrückung darauf reagieren. Um den Widerstand zu brechen, gehen sie vor allem gegen die politischen und zivilen Rechte der Protestierenden vor. Dies reicht von der Niederschlagung von Protesten über gezielte Einschüchterungsversuche bis hin zu Mord. An dieser Stelle schließt sich der Kreis, denn wenn die politischen Rechte von Menschenrechtsverteidiger*innen beschränkt sind und kein effektiver Widerstand mehr möglich ist, kann eine verstärkte Ausbeutung von Mensch und Natur erfolgen.
Ausbeutung der Natur
Transnationale Konzerne, die aus kurzfristiger Profitorientierung weiterhin auf fossile Brennstoffe setzen, und politische Entscheidungsträger*innen, die sie darin unterstützen, sorgen dafür, dass die Erderwärmung schnell voranschreitet. "Die Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Kohle, Öl und Gas (…) macht mehr als 70 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen aus", stellte Amnesty 2021 fest. Doch obwohl die verheerenden Folgen längst bekannt sind, setzen Staaten weltweit weiter auf fossile Brennstoffe als wichtigste Energiequelle.
Auf lokaler Ebene lassen sich die Folgen deutlich erkennen. So kämpft die kolumbianische Organisation FEDEPESAN, die den Amnesty-Menschenrechtspreis 2024 erhält, gegen die Verschmutzung von Feucht- und Sumpfgebieten durch die Ölindustrie, denn die Gebiete bei Barrancabermeja bilden die Lebensgrundlage von Hunderttausenden Menschen.
Verletzung von Menschenrechten
Der Weltklimarat bezeichnete den Klimawandel in seinen Berichten immer wieder als größte Herausforderung für die Menschenrechte. Und auch die Vereinten Nationen betonen die Gefahr für die Menschenrechte und Beeinträchtigungen der Umwelt. Dies führte bisher aber nicht dazu, dass zum Beispiel die Rechte auf Leben, Gesundheit, Kultur, Wohnung, Arbeit und angemessene Lebensbedingungen ausreichend geschützt sind.
Amnesty International beschreibt die Klimakrise als "Ausdruck von tiefliegenden Ungerechtigkeiten". Sie betreffe insbesondere Menschen, die bereits mehrfache Diskriminierung erfahren. So sind in der Gegend von Barrancabermeja ärmere Menschen, deren Lebensunterhalt von den Feuchtgebieten abhängt, besonders von der Gewässerverschmutzung betroffen. Ihre Rechte auf eine saubere Umwelt, Arbeit, Gesundheit und angemessene Lebensbedingungen sind unmittelbar bedroht.
Protest und Widerstand
Auch andere benachteiligte Menschen, wie indigene Gruppen, sind nicht nur besonders stark von der Ausbeutung der Natur betroffen, sondern kämpfen auch überaus engagiert dagegen an. Zugleich sind sie als Expert*innen für einen nachhaltigen Umgang mit der Umwelt für die Bewältigung der Umwelt- und Klimakrise von besonderer Bedeutung.
Weltweit werden Einzelpersonen, Gruppen und Organisationen, die sich für Umwelt und Klimagerechtigkeit einsetzen, häufig von Entscheidungen ausgeschlossen und stattdessen mit Kriminalisierung, Hetzkampagnen, Einschüchterungen, Drohungen und körperlichen Angriffen unter Druck gesetzt. Angehörige indigener Gruppen machen 36 Prozent der getöteten Umweltaktivist*innen aus. Trotz dieser Gefahren kämpfen sie für angemessene Lebensbedingungen ihrer Gemeinden und zukünftiger Generationen.
Menschenrechtsverletzungen mithilfe des Staats
Menschenrechtsverteidiger*innen agieren oft in einem feindseligen und gefährlichen Umfeld, insbesondere wenn ihre Forderungen wirtschaftlichen und politischen Interessen entgegenstehen. Regierungen und Unternehmen missbrauchen Gesetze und Vorschriften, um Aktivist*innen gezielt anzugreifen, einzuschüchtern und zu kriminalisieren. Auf diese Weise soll die Legitimität von Protesten untergraben und die Arbeit für Menschenrechte, Umwelt und Klimagerechtigkeit eingeschränkt oder sogar verhindert werden.
Seit Jahren weist Amnesty darauf hin, dass Klima- und Umweltaktivist*innen insbesondere in Südamerika stark gefährdet sind. Auch für andere Formen der Unterdrückung von Umwelt- und Menschenrechtsaktivist*innen wie die Niederschlagung von Protest sind Unternehmen und staatliche Institutionen verantwortlich, die kooperieren oder wegschauen und auf diese Weise systematisch die Rechte auf Leben, Meinungs- und Versammlungsfreiheit verletzen.
Die Autor*innen sind Mitglieder der Amnesty-Kogruppe Klimakrise und Menschenrechte.
Weitere Informationen über das EU-Lieferkettengesetz:
Staaten sind verpflichtet, vor Menschenrechtsverstößen zu schützen, die Unternehmen verursachen. Viele Unternehmen setzen jedoch Treibhausgase frei und/oder schädigen Ökosysteme wie Moore, Wälder, Flusslandschaften. Die Einhaltung des internationalen Klimaschutzabkommens und das Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt werden missachtet. So verursacht der Ölkonzern Shell seit den 1970er-Jahren massive Umweltverschmutzungen im Niger-Delta.
Das jüngst verabschiedete EU-Lieferkettengesetz verpflichtet Unternehmen in der Europäischen Union auf ihre menschenrechtlichen, klima- und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten entlang ihrer Wertschöpfungsketten. Sie müssen künftig Rechenschaft darüber ablegen, wie sie ihr Geschäftsmodell mit mehr Klimaschutz in Einklang bringen. Jedoch erfasst das Gesetz nur sehr große Unternehmen, sodass weniger als ein Prozent aller Firmen betroffen sind. Gleich ganz ausgenommen ist der Finanzsektor. Daher ist offensichtlich: Das aktuelle Gesetz ist nur ein Anfang.