Pressemitteilung Aktuell Russische Föderation 10. Juni 2021

Russland: Kritik an der Regierung ist kein "Extremismus"

Das Bild zeigt ein Graffiti von Alexej Nawalny, wie es gerade übermalt wird

In der russischen Stadt St. Petersburg wird ein Graffiti unkenntlich gemacht, das den Regierungskritiker Alexej Nawalny zeigt (28. April 2021).

Amnesty International kritisiert die Entscheidung des Moskauer Stadtgerichts aufs Schärfste, die mit Alexej Nawalny verbundene Anti-Korruptions-Stiftung (FBK), die Stiftung zum Schutz der Bürgerrechte sowie "Nawalnys Stäbe" als "extremistisch" einzustufen und folglich ihre Aktivitäten zu verbieten.

"Dieser Angriff auf zivilgesellschaftliche Aktivitäten dient einzig dazu, das Recht auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit tausender Menschen in Russland zu unterdrücken. Mit dieser Entscheidung könnten die Unterstützer_innen von Alexej Nawalny, die praktisch größte politische Oppositionsgruppe im Land, bei Fortsetzung ihres gesellschaftlichen und politischen Engagements allein deswegen strafrechtlich verfolgt werden", sagt Peter Franck, Russland-Experte bei Amnesty International in Deutschland. "Der nur vage definierte Begriff des Extremismus wird zunehmend zum Synonym für regierungskritische Tätigkeit."

Dutzende Mitarbeiter_innen von "Nawalnys Stäben", die in 34 russischen Regionen arbeiteten, und Hunderttausende von Internetnutzer_innen, die die Materialien der Nawalny-Gruppen in sozialen Netzwerken geteilt haben, sind nun potenzielle Ziele für Repressalien. Die Gerichtsentscheidung bedeutet ein Verbot aller Aktivitäten für die genannten Gruppen und dass ihr Vermögen beschlagnahmt wird. Zudem drohen den Mitarbeiter_innen bei Fortsetzung ihrer Tätigkeit mehrjährige Haftstrafen.

Es ist bezeichnend, dass das Gerichtsverfahren für 'geheim' erklärt wurde und ohne ausreichende Transparenz für die Öffentlichkeit durchgeführt wurde.

Peter
Franck
Russland-Experte bei Amnesty International in Deutschland

"Das Ziel ist klar: Alexej Nawalnys Bewegung soll zu Fall gebracht werden, während er im Gefängnis sitzt und dort zum Zuschauen verdammt ist. Es ist bezeichnend, dass das Gerichtsverfahren für 'geheim' erklärt wurde und ohne ausreichende Transparenz für die Öffentlichkeit durchgeführt wurde", sagt Franck.

Franck weist weiter darauf hin, dass die Gerichtsentscheidung nach einem in der letzten Woche von Präsident Putin unterzeichneten Gesetz unmittelbare Folgen auch für die im Herbst anstehenden Duma-Wahlen hat. Wer eine Organisation, die durch eine gerichtliche Entscheidung als "extremistisch" eingestuft worden ist, innerhalb eines Jahres vor dieser Entscheidung unterstützt hat, kann danach drei Jahre lang nicht mehr kandidieren und ist dadurch von den anstehenden Duma-Wahlen ausgeschlossen. "Gerichte, Gesetzgeber und Präsident wirken derzeit effizient zusammen, um im Herbst für das von ihnen gewünschte Wahlergebnis zu sorgen", so Franck.

Hintergrund

Russlands Präsident Wladimir Putin hat am vergangenen Freitag ein neues Gesetz zur Zulassung zu Wahlen unterzeichnet. Russischen Behörden ist es nun möglich, Kandidierende wegen der Zusammenarbeit mit "extremistischen und terroristischen" Organisationen von allen Wahlen auszuschließen.

Die Mitgliedschaft in "extremistischen" Organisationen wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 12 Jahren bestraft. Die Finanzierung solcher Organisationen kann zu einer Freiheitsstrafe von bis zu 10 Jahren führen, und die öffentliche Verwendung ihrer Symbole und Logos birgt das Risiko eines einjährigen Verbots, sich um ein Wahlamt zu bewerben. Die Anti-Korruptions-Stiftung war in Russland beim Crowdfunding besonders erfolgreich und hat Zehntausende von Spender_innen gewonnen. Alle diese Personen werden möglicherweise strafrechtlich verfolgt, und es gab Fälle in Russland, in denen strafrechtliche Sanktionen, einschließlich Haftstrafen, rückwirkend verhängt wurden – für finanzielle Beiträge, die geleistet wurden, bevor eine Gruppe als "extremistisch" eingestuft wurde.

Alexej Nawalny überlebte nur knapp eine Vergiftung vom 20. August 2020 in Russland. Am 17. Januar wurde er nach seiner Rückkehr aus Deutschland, wo er behandelt worden war und sich erholt hatte, festgenommen. In der Folge wurde eine bereits verhängte, aber zur Bewährung ausgesetzte, Bewährungsstrafe wegen angeblichen Verstoßes gegen die Bewährungsauflagen vollstreckt. Die gerichtliche Entscheidung vom 2. Februar 2021 ist nach Ansicht von Amnesty International rechtswidrig. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte am 16. Februar die sofortige Freilassung von Nawalny angemahnt.

Amnesty International hatte im Februar 200.000 Unterschriften an die russischen Behörden übergeben, in denen die sofortige Freilassung Nawalnys gefordert wird. Die Amnesty-Kampagne zur Beendigung des schweren Unrechts, das Nawalny und vielen anderen in Russland angetan wurde und wird, geht seither weiter.

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