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Amnesty Report 2021: Staatengemeinschaft bewältigt Konflikte weltweit unzureichend
- Die internationale Gemeinschaft fand 2021 vielfach keinen angemessenen Umgang mit zahlreichen Konflikten und bereitete so den Nährboden für weitere Eskalationen und bewaffnete Auseinandersetzungen.
- In jedem zweiten Land wird die unabhängige Zivilgesellschaft eingeschränkt und drangsaliert.
- Die weltweite Bekämpfung von Pandemie und steigender Ungleichheit gerät ins Hintertreffen, weil viele Zusagen nicht eingelöst wurden und Regierungen finanzstarker Staaten und Pharmaunternehmen bei der Covid-19-Impfstoffverteilung Profite über Menschenleben stellten.
Im Schatten der Covid-19-Pandemie zeigt sich in vielen Teilen der Welt, dass Staaten internationale Standards und Vereinbarungen verstärkt verletzen und ignorieren. Zu diesem Ergebnis kommt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International im Amnesty International Report 2021/22, in dem die Menschenrechtslage in 154 Staaten dokumentiert wird.
Während eine massive Menschenrechtskrise in Afghanistan noch andauert, begeht aktuell die Staatsführung Russlands mit ihrem Einmarsch in die Ukraine eine eklatante Verletzung des Völkerrechts. Seit Beginn der russischen Aggression hat Amnesty International wahllose Angriffe auf Krankenhäuser, Wohngebiete und Kindergärten sowie den Einsatz verbotener Streumunition belegt. Der Angriff auf die Ukraine erfolgte in einem internationalen Klima, in dem Verletzungen des humanitären Völkerrechts und schwerste Menschenrechtsverletzungen nicht durch ein konsequentes Eintreten der internationalen Staatengemeinschaft sanktioniert wurden – nicht im Jemen, in Syrien oder auf dem afrikanischen Kontinent.
Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, sagt: "Die Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft auf viele Konfliktherde weltweit war auch im letzten Jahr meistens unzureichend oder zu zögerlich. Zu oft vermieden Staaten aufgrund wirtschaftlicher oder machtpolitischer Interessen in internationalen Foren und bilateral frühzeitig und konsequent auf die Einhaltung von Völker- und Menschenrecht zu dringen, zu oft fehlte es an wirksamen internationalen Reaktionen. In der Regel blieb die völkerrechtliche Rechenschaftspflicht für begangenes Unrecht auf der Strecke, Institutionen wie die Strafgerichtshöfe wurden vielfach behindert oder sogar geschwächt. Somit breiteten sich Konfliktherde aus – mit einschneidenden Folgen für die betroffenen Menschen.
Die Antwort auf die sich überschlagenden und miteinander verknüpften Krisen unserer Zeit lautet: Nicht weniger, sondern mehr internationale Ordnung und Menschenrechtsschutz. Die Lehre aus dem vergangenen Jahr, wie auch aus dem Angriff auf die Ukraine, ist: Wir dürfen nicht zulassen, dass zunehmend Aggression und Völkerrechtsverstöße das globale Geschehen bestimmen. Stattdessen müssen die Stärkung internationaler Ordnungssysteme, die Achtung der Menschenrechte, Abrüstungsinitiativen und der Flüchtlingsschutz ins Zentrum gerückt werden. Die Institutionen zum Schutz von Frieden, Menschenrechten und Sicherheit dürfen nicht länger wegen wirtschaftlicher Interessen geschwächt werden – das Verhalten der russischen Regierung zeigt aufs Dramatischste die Folgen eines solchen weltweit verbreiteten Wegduckens."
Markus N. Beeko, Generalsekretär der deutschen Amnesty-Sektion, bei der Vorstellung des Amnesty International Report 2021/22 in Berlin am 28. März 2022
© Amnesty International, Foto: Henning Schacht
Geflüchtete in vielen Regionen der Welt schutzlos
Infolge von Krisen kommt es zu Vertreibungen und Fluchtbewegungen, Menschen müssen ihre Heimat verlassen. Im Zuge des Krieges in der Ukraine ist Europa mit der größten Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert. Bislang haben mehr als 3,8 Millionen Menschen Schutz in den Nachbarländern der Ukraine und in den Staaten der Europäischen Union gesucht.
"Amnesty International begrüßt, dass EU und Bundesregierung schnell reagiert haben und den Geflüchteten aus der Ukraine eine temporäre Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zugesprochen haben. Menschen, die vor diesem Krieg fliehen, brauchen Schutz und Perspektiven und das unabhängig davon welche Staatsangehörigkeit sie besitzen. Gleichzeitig dürfen nicht diejenigen vergessen werden, die vor anderen bewaffneten Konflikten auf der Welt oder vor politischer Verfolgung fliehen", so Beeko.
Flüchtenden aus dem Nahen Osten und anderen Regionen der Welt schlägt weiter vielerorts ein hohes Maß an Ablehnung entgegen. Ihnen wird an den EU-Außengrenzen rechtswidrig und mit Gewalt der Zugang zu ihnen völkerrechtsmäßig zustehenden Asylverfahren verwehrt. Amnesty International dokumentierte auch 2021 Misshandlungen und rechtswidrige Push-Backs, beispielsweise durch griechische Grenzbeamt_innen. Auch an der kroatisch-bosnischen oder polnisch-belarussischen Grenze wurden immer wieder Geflüchtete gewaltsam zurückgedrängt und die Gewährleistung von Schutz und Versorgung unterlassen. Die US-Behörden haben im vergangenen Jahr fast 1,5 Millionen Flüchtlinge und Migrant_innen an der Grenze zwischen den USA und Mexiko unrechtmäßig zurückgewiesen, darunter zehntausende unbegleitete Kinder.
Weltweite Zunahme der Unterdrückung unabhängiger und kritischer Stimmen
Die weltweite Tendenz zur Unterdrückung unabhängiger und kritischer Stimmen nahm 2021 weiter zu. Menschenrechtler_innen, NGO-Angehörige, Medienschaffende und Oppositionelle wurden – häufig unter dem Vorwand der Pandemiebekämpfung – zum Ziel von rechtswidriger Inhaftierung, Folter und Verschwindenlassen. In mindestens 67 Ländern wurden 2021 neue Gesetze eingeführt, um die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken.
Amnesty-Protestaktion gegen die drohende Auflösung der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial vor der russischen Botschaft in Berlin am 13. Dezember 2021
© Amnesty International, Foto: Henning Schacht
Amnesty International dokumentierte den Einsatz unverhältnismäßiger oder übermäßiger Gewalt gegen Demonstrierende in mindestens 85 der 154 untersuchten Länder. In mindestens 84 der 154 Staaten wurden Menschenrechtsverteidiger_innen willkürlich inhaftiert, darunter 17 der 19 Länder im Nahen Osten und Nordafrika (MENA-Region). Der amerikanische Kontinent blieb auch 2021 eine der gefährlichsten Regionen der Welt für Menschenrechtsaktivist_innen: Mit 252 Morden (weltweit: 358) waren Mittel- und Südamerika und die Karibik die Region mit den meisten Todesopfern unter Menschenrechtsverteidiger_innen.
Corona-Pandemie: Menschenrechtliches Versagen statt Impfgerechtigkeit
Die rasche Herstellung von Impfstoffen gegen Covid-19 nährte die Hoffnung auf ein Ende der Pandemie im Jahr 2021. Aber nicht alle Menschen erhielten gleichermaßen Zugang zu den lebensrettenden Impfungen. Während in Deutschland Ende des Jahres 70 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft war und bereits Auffrischimpfungen angeboten wurden, waren in Ländern mit niedrigem Einkommen nur 4 Prozent vollständig geimpft.
Reiche Länder wie Deutschland, Norwegen, die Schweiz und das Vereinigte Königreich blockierten systematisch Versuche, die weltweite Produktion von Impfstoffen schnellstmöglich auszuweiten, indem sie sich weigerten, den vorübergehenden Verzicht auf geistige Eigentumsrechte und einen zielgerichteten Technologietransfer zu unterstützen. Impfstoffproduzenten priorisierten Lieferungen an wohlhabendere Staaten und trugen weiter zur ungerechten Verteilung von Impfstoffen bei. Viele Länder des Globalen Südens litten zusätzlich unter dem Zusammenbruch ihrer Gesundheitssysteme infolge jahrzehntelanger Unterfinanzierung und wachsender Armut. Auf keinem Kontinent war dies deutlicher und härter zu spüren als in Afrika.
"In vielen Ländern der Welt zahlten die Menschen, die ohnehin bereits unter Ungleichheit litten, den höchsten Preis für politische Entscheidungen einiger weniger privilegierter Personen. Die Regierungen finanzstarker Staaten und Pharmaunternehmen stellten Profite über Menschenleben. So wurden die Rechte auf Gesundheit und auf Leben von unzähligen Menschen weltweit massiv verletzt", sagt Beeko.
Die fehlende Umsetzung einer internationalen Strategie zur Pandemiebekämpfung bereitete überdies den Boden für weitere Konflikte, gesellschaftliche Instabilitäten und steigende Ungleichheiten. "Das Jahr 2021 sah anstelle der vielfach angekündigten 'Build Back Better'-Initiativen, anstelle wirksamer Entschuldung und Impfstoffgerechtigkeit in vielen Teilen der Erde zunehmende Armut, wachsende Ernährungsunsicherheit und staatliche Instrumentalisierungen der Pandemie zur Unterdrückung von Protesten und kritischen Stimmen", so Beeko.