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Deutschland: Bundesverfassungsgericht schränkt internationale Telefonüberwachung durch Bundesnachrichtendienst ein
"Unzureichend kontrolliert": Der Bundesnachrichtendienst in seiner Zentrale in Berlin (Mai 2022)
© IMAGO / IPON
Das Bundesverfassungsgericht hat heute die erste strategische Klage von der Gesellschaft für Freiheitsrechte und Amnesty International, die beide Organisationen 2016 gemeinsam erhoben haben, für "überwiegend begründet" erklärt und damit die Vertraulichkeit der Kommunikation gestärkt. Das Gericht erklärte die Befugnis des Bundesnachrichtendienstes (BND) zur anlasslosen Überwachung der Kommunikation zwischen Menschen im Inland mit Menschen im Ausland zur Bekämpfung von Cyber-Gefahren im sogenannten Artikel 10-Gesetz (G10) für verfassungswidrig.
Das Gericht hat die Verfassungswidrigkeit mit fundamentalen, auch auf andere Überwachungszwecke übertragbaren Mängeln begründet: Es fehle eine hinreichend bestimmte Regelung für die Abgrenzung und den Schutz reiner Inlandskommunikation, der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung werde nicht hinreichend geschützt und die Dokumentation über Grundrechtseingriffe werde zu schnell gelöscht, so dass ein rechtliches Vorgehen gegen unrechtmäßige Überwachung schwer sei. Außerdem werde der BND unzureichend kontrolliert. Er müsse durch eine gerichtsähnliche Instanz kontrolliert werden und nicht nur durch die nur ehrenamtlich tätige G10-Kommission, deren Mitglieder keiner richterlichen Erfahrung bedürfen. Die für verfassungswidrig erklärte Vorschrift muss nun bis Ende 2026 angepasst werden.
Bijan Moini, Legal Director der GFF, sagt: "Das jüngste Urteil aus Karlsruhe beweist, dass unsere strategischen Klagen für einen besseren Schutz der Privatsphäre Wirkung zeigen: Stück für Stück holen die von uns errungenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Geheimdienstarbeit auf den Boden des Grundgesetzes zurück."
Lena Rohrbach, Expertin für Menschenrechte im digitalen Zeitalter bei Amnesty International in Deutschland, sagt: "Wenn Menschenrechtsorganisationen befürchten müssen, dass ihre sensible Kommunikation durch anlasslose Massenüberwachung mitgelesen wird, gefährdet das ihre Arbeit. Die Stärkung der vertraulichen Kommunikation durch das Bundesverfassungsgericht setzt deshalb ein wichtiges Signal – auf das wir allerdings über sieben Jahre warten mussten. In einer repräsentativen Umfrage haben 20 Prozent der Befragten angegeben, aus Sorge vor unverhältnismäßiger staatlicher Überwachung ihr Kommunikationsverhalten einzuschränken."
Einige durch die Klage angegriffenen Vorschriften, die die Übermittlung von Daten an andere Geheimdienste ermöglichten, waren nach Einreichung der Klage bereits durch Gesetzesänderungen angepasst worden. Die Verfassungsbeschwerde hätte insoweit mit hoher Wahrscheinlichkeit Erfolg gehabt, hatte sich nun aber teilweise erledigt. Diese Anpassung war ebenfalls zum Teil auf einen Klageerfolg der GFF zurückzuführen: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) von 2022 hatte strenge Maßstäbe für die Übermittlung von Daten aufgestellt, woraufhin auch das G10 geändert wurde.
Hintergrund
Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zum G10 ist eine von mehreren strategischen Klagen, mit denen die GFF in den vergangenen Jahren die Rechtsgrundlagen deutscher Geheimdienste auf Grundrechtsverstöße überprüfen ließ. Ein wichtiger Meilenstein war neben dem Urteil zum BayVSG die Entscheidung 2020 zum Bundesnachrichtendienstgesetz, mit der das Gericht feststellte: Deutsche Geheimdienste sind auch im Ausland an die Grundrechte des Grundgesetzes gebunden. Alle Verfahren hatte Prof. Matthias Bäcker von der Universität Mainz geführt.