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Menschen vor Waffen schützen
Krater eines saudischen Luftangriffs vor einem ÄoG-Krankenhaus im Abs Viertel in der Provinz Hajja, Jemen, 2016
© Abduljabbar Zeyad / Reuters
Angesichts immer neuer Beispiele menschenrechtlich fragwürdiger Ausfuhrgenehmigungen ist eine Reform der deutschen Rüstungsexportgesetzgebung dringend geboten.
Von Mathias John
Anfang März kehrten die Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen endlich in das Krankenhaus von Hajdan im Nordjemen zurück, das sie ein halbes Jahr zuvor verlassen mussten. Das Personal war abgezogen worden, nachdem bei einem Luftangriff der von Saudi-Arabien geführten Militärkoalition im August 2016 auf ein ebenfalls von Ärzte ohne Grenzen geführtes Krankenhaus in Abs elf Menschen getötet worden waren. Seit Beginn der saudisch geführten Operation "Restoring Hope" im März 2015 haben die Vereinten Nationen, Amnesty International und "Human Rights Watch" zahlreiche Angriffe auf zivile Einrichtungen im Jemen dokumentiert.
Nun stellt sich die Frage, was diese Angriffe mit deutschen Rüstungsexporten zu tun haben. Leider nicht wenig, auch wenn die komplexen Wege deutscher Rüstungsgüter ins Ausland, etwa über gemeinsame europäische Rüstungsprojekte, eher selten den Weg in die Schlagzeilen finden. So fliegt die Luftwaffe Saudi-Arabiens die Angriffe im Jemen auch mit Kampfjets vom Typ Tornado oder dem Eurofighter Typhoon, der aus Großbritannien an den Golf geliefert wird. Allerdings sind beide Flugzeugtypen Produkte europäischer Kooperationsprojekte, an denen auch deutsche Firmen mit von der Bundesregierung genehmigten Zulieferungen beteiligt sind.
Obwohl Saudi-Arabien nachweislich für Verstöße gegen Völkerrecht im Jemen verantwortlich ist und auch im eigenen Land die Menschenrechte massiv missachtet, genehmigte die Bundesregierung 2016 unter anderem die Lieferung von mehr als 40.000 Artilleriemultifunktionszündern an Frankreich. Dort wurden diese in Artilleriemunition eingebaut, die für Saudi-Arabien bestimmt ist, obwohl die Anti-Jemen-Koalition unter anderem Artillerie gegen die vom Iran unterstützten schiitisch-zaiditischen Huthi-Rebellen einsetzt.
Das Beispiel zeigt, dass die Einhaltung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts bei der deutschen Genehmigungspraxis für Rüstungsexporte offenbar nachrangig ist, wenn es der Bundesregierung um die Sicherung ihrer außen- und sicherheitspolitischen Interessen geht.
Das gilt nicht nur für die Staaten des Golf-Kooperationsrats (GCC), sondern auch für andere Empfängerstaaten deutscher Rüstungsgüter. So wurden für Indien 2015 Exportgenehmigungen im Gesamtwert von rund 154 Millionen Euro erteilt, unter anderem für Kleinwaffen und Munition. Exportgenehmigungen für Maschinenpistolen nach Indien erteilte der geheim tagende Bundessicherheitsrat bereits in den Vorjahren, so allein 2012 für 12.957 Stück – und das, obwohl die Berichte über außergerichtliche Hinrichtungen, Folter und andere Misshandlungen durch Sicherheitskräfte nicht abreißen. Gegen regierungskritische zivilgesellschaftliche Organisationen gehen die indischen Behörden mit aller Härte vor.
Angesichts dieser und vieler weiterer Beispiele gibt es aus menschenrechtlicher Sicht nur ein Fazit: Die bestehenden Regelungen zur Rüstungsexportkontrolle und die aktuelle Genehmigungspraxis gewährleisten keinen umfassenden Schutz der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts. Dies liegt auch daran, dass Rüstungsexporte aus Deutschland viel zu vielen verschiedenen Gesetzen und Regelungen unterliegen. Hier ist eine Vereinheitlichung notwendig, die mithilfe einer verbindlichen Menschenrechtsklausel endlich alle Rüstungsexporte verbietet, die zu Menschenrechtsverletzungen oder Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht beitragen.
Aber auch die Transparenz in Bezug auf die deutschen Rüstungsexportgenehmigungen und die tatsächlichen Exporte ist immer noch unzureichend. Zwar hat Vizekanzler Sigmar Gabriel eine schnellere Veröffentlichung des Rüstungsexportberichts und einen Zwischenbericht im laufenden Kalenderjahr veranlasst.
Es bleibt jedoch unverständlich, warum die zuständigen Stellen seit Jahrzehnten nicht in der Lage sind, alle tatsächlichen Rüstungsexporte auszuweisen – und weshalb die Bundesregierung nicht bereit ist, die Berichte detaillierter zu gestalten. Damit könnte sie gegenüber anderen Staaten mit gutem Beispiel vorangehen, aber auch Missverständnisse oder Rechtfertigungsdruck bei bestimmten Genehmigungen vermeiden.
Doch selbst Bundestagsabgeordnete werden weiterhin unzulänglich informiert und bleiben häufig im Ungewissen. Völlig intransparent sind zudem Exporte von sogenannten Dual-Use-Gütern, die sowohl für militärische oder polizeiliche als auch für zivile Zwecke verwendet werden können.
Darunter fallen Motoren, die am Ende nicht in Traktoren, sondern in Panzerwagen eingebaut werden, aber auch Werkzeugmaschinen, mit denen Rohre für Gewehre produziert werden, oder Software, mit der repressive Regimes Oppositionelle überwachen und ins Gefängnis bringen. Auch hier braucht es endlich eine Offenlegung. Am Ende muss aber auch für Dual-Use-Güter eine wirksame Auffangklausel verankert werden, die Beiträge zu Menschenrechtsverletzungen wirksam verhindert.
Seit Jahren wird international intensiv über die menschenrechtliche Verantwortung von Wirtschaftsunternehmen diskutiert. Die 2011 vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen verabschiedeten Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte halten Unternehmen an, menschenrechtliche Sorgfaltspflichten anzuwenden, um Gefährdungen der Menschenrechte zu vermeiden. Es liegt auf der Hand, dass Rüstungsexporte in vielen Fällen ein besonderes Risiko für die Menschenrechte darstellen.
Leider ist offenbar gerade seitens der Rüstungsindustrie nur ein eingeschränktes Bewusstsein dafür vorhanden – sonst ließe sich kaum erklären, dass weiterhin Exportanträge gestellt werden, obwohl die beantragten Rüstungslieferungen zu schweren Menschenrechtsverletzungen führen können.
Hier ist ein Paradigmenwechsel notwendig, den die Bundesregierung mit verbindlichen Auflagen für Firmen anstoßen muss, damit diese ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten einhalten. Das bedeutet, dass Rüstungsunternehmen Lieferungen notfalls auch stoppen müssen, wenn sich nach erteilter Genehmigung die politischen Rahmenbedingungen im Empfängerland ändern und Menschenrechtsrisiken festgestellt werden.
Mathias John ist Sprecher der Koordinationsgruppe Rüstung, Wirtschaft und Menschenrechte von Amnesty Deutschland. Seit 2015 ist er im ehrenamtlichen Vorstand zuständig für die Länder- und Themenarbeit der deutschen Sektion.
Empfehlungen von Amnesty International für eine menschenrechtlich wirksame Rüstungsexportkontrolle
- Schaffung eines einheitlichen Rüstungsexportgesetzes für alle Rüstungstransfers (Kriegswaffen, sonstige Rüstungsgüter, militärisch/polizeilich nutzbare, sogenannte Dual-Use-Güter mit doppeltem Verwendungszweck und Güter der Antifolter-Verordnung) mit einer rechtlich verbindlichen Menschenrechtsklausel; Einführung einer menschenrechtlichen Auffangklausel für Dual-Use-Güter
- Umfassende Transparenz über alle Exportgenehmigungen und tatsächlichen Lieferungen
- Weitergehende Unterrichtung des Bundestages und verbesserte Konsultationen zu Rüstungsexporten
- Zügige, wirksame und transparente Umsetzung von Vorort-Endverbleibskontrollen für deutsche Rüstungsgüter mit nachhaltigen Sanktionen bei Verstößen
- Verpflichtung der Rüstungsindustrie auf verbindliche menschenrechtliche Sorgfaltspflichten und Risikoabschätzungen
Dieser Artikel ist in der Ausgabe April / Mai 2017 des Amnesty Journals erschienen.