Amnesty Journal Malediven 17. September 2013

Prügel im Paradies

Die Malediven sind der Urlaubstraum für Hochzeitspaare. Kaum ein Tourist weiß, dass neban die Scharia herrscht.

Die Malediven sind der Urlaubstraum für Hochzeitspaare. Kaum ein Tourist weiß, dass neban die Scharia herrscht.

Der Richterspruch hatte die Welt empört: Auf den Malediven sollte eine 15-Jährige ausgepeitscht werden, weil sie Sex vor der Ehe hatte. Die Jugendliche war zuvor jahrelang von ihrem Stiefvater ­missbraucht worden. Rund um den Globus solidarisierten sich Millionen Menschen mit der jungen Frau. Nun hat der Oberste Gerichtshof des Landes das Urteil aufgehoben.

Von Ramin M. Nowzad

Aus der Luft wirken die Malediven fast unwirklich schön. Beim Landeanflug schimmert der Indische Ozean türkisblau in der Sonne und die dicht bewucherten Koralleninseln liegen wie schwimmende Oasen im Meer. Doch schon auf dem Flughafen der Hauptstadt Malé wird das Bild vom Inselparadies brüchig, denn einheimische und ausländische Passagiere gehen dort getrennte Wege: Die Touristen werden auf eine der 87 luxuriösen Ressort-Inseln geschippert, wo ihnen Alkohol ausgeschenkt und Schweinefleisch serviert wird. Die Einheimischen leben hingegen strikt getrennt von den Feriengästen auf den restlichen 220 bewohnten Inseln, auf denen die islamische Scharia herrscht.

Auch in Sachen Sexualmoral wird auf den Malediven mit zweierlei Maß gemessen. Immer wieder werden einheimische Frauen zu Prügelstrafen verurteilt, weil sie Sex vor der Ehe hatten. In diesem Jahr sorgte ein Urteil erstmals international für Wirbel: Eine 15-Jährige sollte öffentlich ausgepeitscht werden, weil sie mit einem Mann geschlafen hatte, mit dem sie nicht verheiratet war. Was den Fall besonders brisant machte: Das Mädchen war ein Missbrauchsopfer. Weltweit solidarisierten sich Millionen Menschen mit der jungen Frau. Ende August hob der Oberste Gerichtshof des Landes das Urteil auf.

Die Minderjährige war ins Visier der Sittenwächter geraten, nachdem auf dem Grundstück ihrer Familie im Juni 2012 ein toter Säugling gefunden worden war. Schnell stellte sich heraus: Die 15-Jährige war jahrelang von ihrem Stiefvater vergewaltigt worden. Nachdem sie durch den Missbrauch schwanger geworden war, tötete der Stiefvater das Neugeborene und verscharrte den Leichnam im Garten. Der Mann ist mittlerweile in Haft, ihm drohen bis zu 25 Jahre Gefängnis. Doch auch seine Stieftochter landete auf der Anklagebank. Denn sie erzählte den ermittelnden Polizisten nicht nur von ihrem Missbrauch, sondern vertraute ihnen auch an, dass sie mit einem anderen Mann einvernehmlichen Geschlechtsverkehr hatte. 100 Peitschenhiebe und acht Monate Hausarrest lautete im Februar 2013 schließlich das Urteil.

Es folgte eine beispiellose weltweite Solidaritätskampagne, die die maledivische Regierung am empfindlichsten Punkt traf: dem Tourismus, der den größten Wirtschaftszweig des Landes darstellt. Aktivisten schalteten Anzeigen in Reisemagazinen, riefen im Internet zum Boykott des Urlaubsziels auf und sammelten mehr als zwei Millionen Unterschriften. Auch Amnesty International setzte sich für das verurteilte Mädchen ein.

Die globale Empörung zeigte Wirkung: Die Regierung der Malediven zog schließlich selbst vor Gericht, um im Namen des Mädchens Einspruch gegen das Urteil einzulegen. Mit Erfolg: Der Oberste Gerichtshof kassierte den Schuldspruch. Das "Geständnis" der jungen Frau sei nichtig, so die offizielle Begründung, weil sie während des Verhörs schwer traumatisiert und damit nicht zurechnungsfähig gewesen sei. Das Mädchen ist nun in Sicherheit – doch die Prügelstrafe existiert auf den Malediven noch immer.

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