Amnesty Report Ägypten 28. April 2015

Ägypten 2015

 

Nach der Absetzung von Präsident Mohamed Mursi im Juli 2013 verschlechterte sich die Menschenrechtslage dramatisch. Die Regierung schränkte die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit empfindlich ein.

Die Behörden gingen hart gegen Andersdenkende vor, nahmen Tausende Personen fest und inhaftierten sie. Einige dieser Gefangenen wurden Opfer des Verschwindenlassens. Die Muslimbruderschaft blieb verboten, ihre Anführer wurden festgenommen und inhaftiert.

Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen waren an der Tagesordnung, ohne dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurden. Gegen Hunderte Personen ergingen nach grob unfairen Gerichtsverfahren Gefängnisstrafen oder Todesurteile. Sicherheitskräfte gingen mit exzessiver Gewalt gegen Protestierende vor, verübten rechtswidrige Tötungen, blieben aber straffrei. Frauen litten weiterhin unter Diskriminierung und waren von Gewalt bedroht. Mehrere Flüchtlinge wurden abgeschoben. Es kam erneut zu rechtswidrigen Zwangsräumungen.

Zahlreiche Menschen wurden aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Identität festgenommen und strafrechtlich verfolgt. Gerichte verhängten Hunderte Todesurteile. Die ersten Hinrichtungen seit 2011 wurden im Juni 2014 vollstreckt.

Hintergrund

Aus den Präsidentschaftswahlen im Mai 2014 ging der ehemalige Armeechef Abdel Fattah al-Sisi als Sieger hervor. Er übernahm im Juni die Amtsgeschäfte und sicherte im September anlässlich einer Rede vor der UN-Generalversammlung zu, das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Unabhängigkeit des Justizwesens und die Rechtsstaatlichkeit in Ägypten zu gewährleisten. In Wirklichkeit schränkte seine Regierung das Recht auf freie Meinungsäußerung ein, erweiterte den Zuständigkeitsbereich von Militärgerichten um die Möglichkeit, auch Zivilpersonen den Prozess zu machen, und ließ zu, dass Sicherheitskräfte Folter und exzessive Gewalt anwendeten, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden.

Zwischen Juli 2013, als Präsident Mohamed Mursi des Amtes enthoben wurde, und Ende 2014 kamen bei Protestaktionen über 1400 Menschen ums Leben. Die meisten von ihnen wurden von Sicherheitskräften getötet, als diese am 14. August 2013 Sitzblockaden von Mursi-Anhängern auf dem Rabaa al-Adawiya-Platz und auf dem Nahda-Platz im Großraum Kairo auflösten. Wie die Nachrichtenagentur Associated Press berichtete, nahmen die Sicherheitskräfte nach offiziellen Schätzungen im Zuge dieser Aktionen mindestens 16000 Menschen fest und inhaftierten sie. Spätere Schätzungen der NGO Wikithawra beliefen sich auf mehr als 40000 Personen, die entweder inhaftiert oder angeklagt wurden. Die meisten der Festgenommenen waren Anhänger der Muslimbruderschaft, aber auch Aktivisten des linken Flügels, nicht religiöse Protestierende sowie sonstige Regierungskritiker befanden sich darunter.

Vermehrte Anschläge auf Sicherheitskräfte durch bewaffnete Gruppen führte laut offiziellen Stellungnahmen zum Tod von mindestens 445 Soldaten und anderen Angehörigen der Sicherheitskräfte. Die meisten dieser Angriffe fanden auf dem Sinai statt, wo mindestens 238 Sicherheitskräfte getötet wurden. Nach erneuten Anschlägen im Oktober 2014 rief die Regierung im Nord-Sinai den Ausnahmezustand aus, verhängte eine Ausgangssperre, schloss die ägyptische Grenze zum Gazastreifen und begann mit dem Bau einer "Pufferzone" entlang des Grenzverlaufs. Verstärkte Militäreinheiten durchsuchten das Gebiet nach sogenannten militanten Kämpfern in der Bevölkerung. Dieses Vorgehen erhöhte das Risiko für weitere Menschenrechtsverletzungen.

Internationale Kontrolle

Im November unterzogen die Mitgliedstaaten des UN-Menschenrechtsrats Ägyptens Menschenrechtsbilanz dem Verfahren der Allgemeinen Regelmäßigen Überprüfung (Universal Periodic Review – UPR). Der Rat sprach die Empfehlung aus, dass die Behörden Folter bekämpfen und der Anwendung exzessiver Gewalt durch Sicherheitskräfte nachgehen sowie die Einschränkungen für die Zivilgesellschaft aufheben sollten. Mit Ausnahme des UPR konnte Ägypten internationale Kontrollen weitgehend vermeiden, obwohl sich die Menschenrechtslage im Land weiter verschlechterte.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Die Behörden nahmen Regierungskritiker und Andersdenkende ins Visier. Medienschaffende, die Menschenrechtsverletzungen dokumentierten oder die Darstellung der Behörden in Frage stellten, riskierten Festnahmen und strafrechtliche Verfolgung. Den Journalisten, die über Aktionen der Streitkräfte berichteten, drohten unfaire Verfahren vor Militärgerichten.

Im Juni verurteilte ein Kairoer Gericht drei Mitarbeiter des Fernsehsenders Al Jazeera English in einem grob unfairen Gerichtsverfahren zu Haftstrafen von sieben bis zehn Jahren. Das Gericht befand Mohamed Fahmy, der die kanadische und die ägyptische Staatsbürgerschaft besitzt, den Australier Peter Greste und den Ägypter Baher Mohamed u.a. für schuldig, der Muslimbruderschaft geholfen und "falsche" Nachrichten verbreitet zu haben. Die Staatsanwaltschaft konnte weder stichhaltige Beweise gegen die Angeklagten noch gegen weitere Medienschaffende vorlegen, denen in Abwesenheit der Prozess gemacht wurde.

Einige Personen wurden aufgrund von Anklagen wie "Anstiftung zum Unfrieden zwischen Glaubensgemeinschaften" oder "Diffamierung der Religion" strafrechtlich verfolgt und inhaftiert. Die Behörden beobachteten außerdem verstärkt die sozialen Medien.

Recht auf Vereinigungsfreiheit

Die Behörden lösten Gruppen mit Verbindungen zur verbotenen Muslimbruderschaft und zu anderen oppositionellen Bewegungen auf und schränkten die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen durch vielerlei neue Auflagen ein.

Im April 2014 wurde die Jugendbewegung 6. April (April 6 Youth Movement), eine Gruppe von Aktivisten, welche die Aufstände im Jahr 2011 angeführt hatten, gerichtlich verboten. Das Gericht entschied, dass mehrere Angehörige der Gruppe Straftaten begangen hätten, die "den Frieden und die öffentliche Ordnung störten".

Im August löste ein Gericht die Freiheits- und Gerechtigkeitspartei auf, die von der Muslimbruderschaft gegründet worden war und bei den ägyptischen Parlamentswahlen 2011/12 die meisten Sitze errungen hatte.

Menschenrechtsorganisationen wurde mit Schließung und strafrechtlicher Verfolgung gedroht. Viele Aktivisten mussten ihre Tätigkeiten einschränken oder das Land verlassen. Im Juli 2014 setzte das Ministerium für soziale Solidarität allen NGOs eine Frist von 45 Tagen, die später bis November verlängert wurde. Bis dahin mussten sich die NGOs laut dem Gesetz über Vereinigungen (Gesetz Nr. 84 aus dem Jahr 2002) registrieren lassen. Gruppen, die diese Vorgabe bis dahin nicht erfüllten, würden zur Rechenschaft gezogen, hieß es. Nach Kritik aus anderen Staaten im Rahmen des UPR-Verfahrens gab das Ministerium später bekannt, dass man bei den NGOs jeden Fall einzeln prüfen werde.

Die Behörden störten die friedliche Arbeit von NGOs. So führten sie im Mai 2014 eine Razzia im Büro des Ägyptischen Zentrums für wirtschaftliche und soziale Rechte (Egyptian Center for Economic and Social Rights) in Alexandria durch. Zu dieser Zeit fand dort eine Konferenz zur Unterstützung inhaftierter Menschenrechtsverteidiger statt.

Im September 2014 änderte die Regierung das Strafgesetzbuch und verbot die Finanzierung von Aktivitäten, die dem nationalen Interesse Ägyptens, seiner territorialen Integrität oder dem Frieden im Land schaden könnten. Die Regierung brachte auch den Entwurf eines neuen Gesetzes über Vereinigungen ein. Sollte das Gesetz in Kraft treten, hätten Behörden noch mehr Spielraum, NGOs die amtliche Registrierung zu verweigern und ihre Aktivitäten und Finanzierungsmöglichkeiten einzuschränken.

Im November stimmte Ägyptens Kabinett einem Gesetzentwurf zu, der den Behörden nach seinem Inkrafttreten umfassende Befugnisse zur Einstufung von Organisationen als terroristische Vereinigungen an die Hand geben könnte.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Sicherheitskräfte unterbanden schonungslos Protestkundgebungen, und Gerichte inhaftierten zahlreiche Menschen wegen deren unerlaubter Teilnahme an Demonstrationen. Unter ihnen befanden sich auch Anhänger von Mohamed Mursi, prominente Angehörige der Opposition, Aktivisten des linken Flügels sowie Menschenrechtsaktivisten. Die Behörden setzten weiterhin die Anwendung des Protestgesetzes (Gesetz Nr. 107 aus dem Jahr 2013) durch, wonach alle Demonstrationen vorab genehmigt werden mussten. Sicherheitskräfte gingen mit exzessiver Gewalt gegen friedliche Protestierende vor.

Die Studentinnen Abrar Al-Anany und Menatalla Moustafa sowie die Lehrerin Yousra Elkhateeb wurden im Mai 2014 zu Gefängnisstrafen von zwei bzw. sechs Jahren verurteilt, weil sie friedlich in der Mansoura-Universität protestiert hatten.

Im November verurteilte ein Gericht in Alexandria 78 Minderjährige zu Gefängnisstrafen zwischen zwei und fünf Jahren. Sie waren für schuldig befunden worden, an einer nicht genehmigten Protestaktion zur Unterstützung von Mohamed Mursi teilgenommen zu haben.

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Tausende Oppositionelle und vermeintliche Regierungsgegner wurden während Protestaktionen, in ihren Wohnhäusern oder auf der Straße festgenommen. Viele erfuhren den Grund für ihre Festnahme nicht und wurden willkürlich in Untersuchungshaft genommen, die teilweise ein Jahr dauerte. Andere wurden in unfairen Gerichtsverfahren zu langen Haftstrafen verurteilt. Viele Gefangene wurden nach ihrer Festnahme und während ihrer Untersuchungshaft geschlagen und misshandelt. In einigen Fällen nahmen die Sicherheitskräfte Familienangehörige oder Freunde mit, wenn die gesuchte Person nicht anwesend war.

Verschwindenlassen

Einige Gefangene wurden Opfer des Verschwindenlassens; sie befanden sich in geheimer Haft im Azouli-Gefängnis auf dem Gelände des Al-Galaa-Militärlagers im 130 km nordöstlich von Kairo gelegenen Ismailia. Ihre Inhaftierung wurde nicht offiziell bestätigt, und sie hatten keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand oder Kontakt zu ihren Familien. Unter den Gefangenen befanden sich auch mutmaßliche Anführer von Protestaktionen und Menschen, die im Verdacht standen, Straftaten im Zusammenhang mit Terrorismus begangen zu haben. Sie wurden bis zu 90 Tage ohne gerichtliche Überprüfung im Lager festgehalten. In dieser Zeit waren sie ständig in Gefahr, von Angehörigen des militärischen Geheimdienstes und des Inlandsgeheimdienstes gefoltert und anderweitig misshandelt zu werden, um "Geständnisse" von ihnen zu erpressen. Die Staatsanwaltschaft teilte den Familien der "Verschwundenen" mit, dass Militärgefängnisse nicht unter ihre Gerichtsbarkeit fielen.

Folter und andere Misshandlungen

Folter und andere Misshandlungen von Tatverdächtigen kamen systematisch zur Anwendung, um "Geständnisse" zu erpressen oder um die Betroffenen zu bestrafen oder zu demütigen. Berichten zufolge starben 2014 mehrere Menschen an den Folgen von Folter. Angehörige des Geheimdienstes nahmen insbesondere Mitglieder und mutmaßliche Anhänger der Muslimbruderschaft ins Visier. Einige von ihnen wurden in inoffiziellen Haftzentren festgehalten, u.a. in verschiedenen Einrichtungen des Geheimdienstes im ganzen Land, und dem Vernehmen nach gefoltert. Die am häufigsten genannten Foltermethoden waren Elektroschocks an den Genitalien oder anderen empfindlichen Körperstellen, Schläge, Aufhängen an mit Handschellen auf dem Rücken gefesselten Armen, Verharren in schmerzhaften Positionen, Prügel und Vergewaltigung.

Omar Gamal El Shewiekh, ein Student an der Al-Azhar-Universität, sagte aus, dass Sicherheitskräfte ihn festgenommen und gefoltert hätten, nachdem er im März 2014 an einer Protestaktion in Kairo teilgenommen hatte. Er sagte, Geheimdienstangehörige hätten ihm Elektroschocks verabreicht und mehrfach Objekte in seinen Anus eingeführt, bis er "gestand", Verbrechen verübt zu haben. Das "Geständnis" wurde auf Video aufgezeichnet. Im Mai verurteilte ihn ein Gericht auf der Grundlage dieses erzwungenen "Geständnisses" zu fünf Jahren Gefängnis.

Es gab Berichte von Todesfällen in Gewahrsam, von denen einige auf Folter oder andere Misshandlungen oder auf die schlechten Haftbedingungen in den Polizeiwachen zurückzuführen waren.

Ezzat Abdel Fattah starb im Mai 2014 in der Polizeiwache im Kairoer Stadtteil Matariya. Der Obduktionsbericht der gerichtsmedizinischen Behörde stellte an der Leiche Verletzungen fest, darunter neun gebrochene Rippen, Schnitte und Schädel-Hirn-Verletzungen.

Die Behörden führten keine ernsthaften Untersuchungen bei Foltervorwürfen durch. Wenn die Staatsanwaltschaft dennoch einmal ermittelte, wurden die Untersuchungen meist wegen Mangels an Beweisen eingestellt. In einigen Fällen gaben Opfer und deren Familien an, die Polizei hätte sie eingeschüchtert, damit sie die Foltervorwürfe zurücknähmen.

Straflosigkeit

Das Strafrechtssystem zog Angehörige der Sicherheitskräfte nicht für die groben Menschenrechtsverletzungen während der Unruhen im Jahr 2013 zur Verantwortung. Auch die Massentötungen von Mursi-Anhängern auf dem Rabaa al-Adawiya-Platz und dem Nahda-Platz am 14. August 2013 blieben ungesühnt. Am 7. Juni 2014 hob ein Berufungsgericht die Urteile gegen mehrere Polizeibeamte auf, die wegen der Tötung von 37 Gefangenen im August 2013 schuldig gesprochen worden waren.

Ein Gericht, das mit der Wiederaufnahme des Verfahrens gegen den früheren Präsidenten Hosni Mubarak wegen der Tötung von Protestierenden während der Aufstände im Jahr 2011 befasst war, wies im November 2014 die Anklage gegen ihn wegen eines rechtlichen Verfahrensfehlers zurück. Sein damaliger Innenminister und mehrere Sicherheitsbeamte wurden von denselben Anklagen freigesprochen.

Ein von der Regierung einberufener Untersuchungsausschuss, der die Tötung von Hunderten Personen durch die Sicherheitskräfte am 14. August 2013 klären sollte, veröffentlichte seine Ergebnisse im November 2014. Der Ausschuss ließ das Missverhältnis zwischen der Opferzahl unter den Protestierenden und jener unter den Sicherheitskräften außer Acht und kam zu dem Schluss, dass die Protestierenden zuerst gewalttätig geworden seien. Der Ausschuss spielte die von den Sicherheitskräften begangenen Menschenrechtsverletzungen herunter und forderte lediglich, dass die Sicherheitskräfte für ihren Einsatz bei Demonstrationen geschult werden sollten.

Unfaire Gerichtsverfahren

Gerichte in ganz Ägypten verurteilten Hunderte Muslimbrüder und andere Oppositionelle in grob unfairen Gerichtsverfahren zu langen Gefängnisstrafen oder zum Tode. Die Anklagen waren häufig erfunden. Gerichte verurteilten auch Minderjährige zum Tode und verletzten damit das Völkerrecht und ägyptisches Recht.

Der frühere Präsident Mohamed Mursi musste sich viermal vor Gericht verantworten, auch für Verbrechen, auf die die Todesstrafe steht. Andere hohe Funktionäre der Muslimbruderschaft wurden inhaftiert und zum Tode verurteilt.

Verfahren vor dem Strafgerichtshof verstießen in hohem Maße gegen rechtsstaatliche Prinzipien. Einige Verfahren wurden in Abwesenheit der Angeklagten und ihrer Rechtsbeistände fortgesetzt. In anderen Verfahren hinderten die Richter die Angeklagten oder deren Rechtsanwälte am Vorlegen von Beweisen der Verteidigung oder ließen das Kreuzverhör von Zeugen der Anklage nicht zu. In vielen Fällen sprachen Gerichte die Angeklagten schuldig, obwohl keine stichhaltigen Beweise gegen sie vorlagen.

Viele Verfahren fanden im Tora-Polizeiinstitut statt, das neben dem Tora-Gefängniskomplex liegt. Weder den Familien der Angeklagten noch unabhängigen Medienvertretern war die Teilnahme gestattet. Die Angeklagten waren häufig nicht in der Lage, während der Verhandlung mit ihren Anwälten zu kommunizieren, weil sie hinter einer Wand aus getöntem Glas sitzen mussten.

Die Staatsanwaltschaft bemühte sich zusehends weniger um die Feststellung der Schuld eines einzelnen Straftäters, sondern erhob identische Vorwürfe gegen ganze Gruppen von Angeklagten. Dabei bildeten die Berichte und Zeugenaussagen von Angehörigen der Polizei- und Sicherheitskräfte die Grundlage für Verurteilungen. Die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Ermittlungen mussten ernsthaft in Frage gestellt werden.

Im Oktober 2014 verfügte Präsident al-Sisi, dass Militärgerichte auch Zivilpersonen den Prozess machen können. Dies betraf Straftaten gegen "lebenswichtige öffentliche Einrichtungen". Es bestand die Gefahr, dass diese Entscheidung erneut zu unfairen Massengerichtsverfahren vor Militärgerichten gegen Zivilpersonen führen könnte, darunter auch friedliche Protestierende und Universitätsstudenten.

Rechte von Frauen und Mädchen

Frauen wurden auch weiterhin durch das Gesetz und im täglichen Leben diskriminiert. Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen war nach wie vor sehr weit verbreitet.

Im Juni 2014 stimmte der scheidende Präsident Adli Mansur einem Gesetz zur Bekämpfung von sexueller Belästigung zu. Nach wiederholten sexuellen Übergriffen von Männerbanden auf Frauen auf dem Kairoer Tahrir-Platz während der Amtseinführungszeremonie von Präsident al-Sisi versprach die neue Regierung, tätig zu werden. Die Behörden kündigten an, Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen zu ergreifen, beispielsweise die Polizeiarbeit zu verbessern und öffentlichkeitswirksame Aufklärungskampagnen durchzuführen. Bis Ende 2014 war jedoch noch keine dieser Maßnahmen eingeleitet worden.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuellen Unter dem Gesetz des Kampfes gegen die Prostitution (Gesetz Nr. 10 von 1961) mussten Männer, die im Verdacht standen, einvernehmliche sexuelle Beziehungen mit anderen Männern zu haben, sowie Transgender mit Verhaftung und strafrechtlicher Verfolgung wegen Prostitution und Verletzung der öffentlichen Moral rechnen. Die Behörden ordneten für einige der Gefangenen Zwangsuntersuchungen des Analbereichs an. Diese Praxis verletzt das Verbot von Folter und anderer Misshandlung.

Im November nahmen Sicherheitskräfte mehr als 30 Männer in einem Kairoer Badehaus fest. Das Gerichtsverfahren gegen 26 von ihnen wegen "Ausschweifungen" begann im Dezember 2014.

In einem anderen Fall wurden acht Männer im November 2014 zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie an einer mutmaßlich gleichgeschlechtlichen Hochzeit auf einem Schiff auf dem Nil teilgenommen hatten. Im Berufungsverfahren wurde das Strafmaß im Dezember auf ein Jahr reduziert.

Diskriminierung religiöser Minderheiten

Die Behörden unternahmen nichts, um der Diskriminierung von religiösen Minderheiten wie den koptischen Christen, den schiitischen Muslimen und der Gemeinschaft der Baha’i Einhalt zu gebieten. Vor allem Gemeinden der Kopten berichteten von erneuten religiös motivierten Angriffen. Bau und Unterhalt ihrer Gotteshäuser wurden ihnen erschwert.

Recht auf Wohnraum – rechtswidrige Zwangsräumungen

Sicherheitskräfte vertrieben Tausende Menschen aus ihren Wohnungen in Kairo und Rafah, ohne sie im Vorfeld zu informieren und ihnen alternativen Wohnraum zur Verfügung zu stellen oder angemessene Entschädigungen zu leisten.

Rechte von Flüchtlingen und Migranten

Die Behörden missachteten die Rechte von Flüchtlingen, Asylsuchenden und Migranten. Im August 2014 schoben sie 13 palästinensische Flüchtlinge nach Syrien ab. 180 Syrer wurden nach Syrien, in den Libanon oder in die Türkei abgeschoben. Mindestens sechs von ihnen wurden in den Gazastreifen ausgewiesen. Weitere Flüchtlinge aus Syrien wurden willkürlich festgenommen und rechtswidrig inhaftiert.

Sicherheitskräfte nahmen Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten fest, die nach Ägypten ein- oder von dort ausreisen wollten, und setzten dabei manchmal exzessive Gewalt ein. Kriminelle Banden, die im Sinai aktiv waren, hielten dem Vernehmen nach ebenfalls Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten gefangen.

Todesstrafe

Die Anwendung der Todesstrafe erreichte einen neuen Höchststand. Gerichte sprachen Todesurteile aus, viele in Abwesenheit der Angeklagten und in grob unfairen Gerichtsverfahren. Die meisten der Verurteilten waren wegen ihrer Beteiligung an Gewalttaten während der politischen Unruhen im Jahr 2013 angeklagt worden. Unter ihnen befanden sich zahlreiche Mitglieder und Anhänger der Muslimbruderschaft. Die ersten Hinrichtungen seit 2011 wurden im Juni 2014 vollstreckt.

Ein Gericht in El-Minya in Oberägypten verurteilte im April 37 Angeklagte zum Tode, darunter mindestens zwei Minderjährige. Im Juni ergingen nach einem grob unfairen Gerichtsverfahren weitere 183 Todesurteile im Zusammenhang mit Angriffen auf Polizeiwachen im Jahr 2013. Das Gericht hatte zuvor die Todesstrafe für mehr als 1200 Angeklagte beantragt, nahm allerdings seine Entscheidung nach einer Beratung mit dem Großmufti teilweise zurück. Dieses Verfahren ist nach ägyptischem Recht vorgeschrieben, bevor ein Gericht sein Urteil formal verkünden kann.

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