Amnesty Report Usbekistan 16. April 2020

Usbekistan 2019

Blick auf eine Moschee, davor sieht man die Überreste eines Gebäudes. Ein grüner Sichtschutz grenzt die Baustelle ab

"Stadterneuerungsprojekt": Die weiträumige Zerstörung hunderter Wohnhäuser in der usbekischen Hauptstadt Taschkent und in anderen Städten führte zur Protesten innerhalb der Bevölkerung (Archivbild 2020).

Es konnten mehr unabhängige Medienunternehmen ihrer Arbeit nachgehen, doch die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit blieben 2019 weiter streng reglementiert. Eine Bloggerin wurde drei Monate lang gegen ihren Willen in einer psychiatrischen Klinik festgehalten, weil sie über eine Demonstration berichtet hatte. Menschenrechtsverteidiger_innen wurden daran gehindert, eine NGO registrieren zu lassen, die zu Rechenschaftspflicht arbeitete. Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche (LGBTI) waren mit systematischer Diskriminierung sowie Gewalt, Einschüchterung und Schikanen vonseiten der Polizei und von nichtstaatlichen Akteuren konfrontiert. Trotz Reformen des Strafrechts und der Schließung berüchtigter Foltergefängnisse herrschte nach wie vor Straflosigkeit für frühere Menschenrechtsverstöße. Es gab keine effizienten und unabhängigen Organe zur Überwachung von Beschwerden und Haftbedingungen.

Hintergrund

Übereinstimmend mit den Reformvorhaben von Präsident Mirziyoyev fanden im Dezember 2019 unter dem Motto "Neues Usbekistan – neue Wahlen" Parlamentswahlen statt. Wahlbeobachter_innen der OSZE äußerten sich allerdings besorgt darüber, dass sich keine unabhängigen politischen Parteien dafür hatten registrieren dürfen. Alle fünf Parteien, die Kandidat_innen aufgestellt hatten, standen loyal zu Präsident Mirziyoyev, doch im Gegensatz zu früheren Wahlen stellten sich die Kandidat_innen bei Wahlveranstaltungen nachdrücklichen und kritischen Fragen vonseiten der Medien und der Öffentlichkeit. Auffallenderweise trat bei diesen Wahlen eine jüngere Generation von Abgeordneten auf den Plan, wodurch nun eine Mehrheit der Parlamentarier_innen jünger als 50 Jahre ist, und zum ersten Mal waren 30 Prozent der Gewählten Frauen. 

Recht auf freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit – Menschenrechtsverteidiger_innen und unabhängige Journalist_innen

Im Gegensatz zu den Vorjahren konnten internationale Medienunternehmen wie Voice of America, BBC und andere in Usbekistan ihren Aufgaben nachgehen und mit Journalist_innen vor Ort zusammenarbeiten. 

Dennoch blieben die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit streng reglementiert, und engagierte Bürger_innen sahen sich wegen ihrer gewaltlosen Aktivitäten Repressalien ausgesetzt.

Menschenrechtsverteidiger_innen und unabhängige Journalist_innen, darunter jene, die seit 2017 aus der Haft entlassen worden waren, und deren Angehörige standen weiter unter strenger Überwachung und waren mit Einschüchterungen, Drohungen und willkürlichen Festnahmen durch die Polizei und den Inlandsgeheimdienst (SNB) konfrontiert. Im September versuchten Beamt_innen des SNB den unabhängigen Journalisten Bobomurod Abdullayev und den engagierten Bürger Agzam Turgunov daran zu hindern, sich mit dem zu einem Besuch im Land weilenden UN-Sonderberichterstatter über die Unabhängigkeit der Justiz zu treffen. 

Die Behörden lehnten es 2019 nach wie vor aufgrund geringfügiger Formalien ab, die von früheren Häftlingen und den Menschenrechtsverteidigern Agzam Turgunov, Dilmurod Saidov und Azam Farmonov gegründete unabhängige NGO Restoration of Justice (Wiederherstellung der Gerechtigkeit) zu registrieren. 

Die Bloggerin und Menschenrechtsaktivistin Nafosat Olloshkurova wurde am 23. September 2019 von der Polizei in Khorezm während eines friedlichen Protestmarschs, über den sie für ihren Blog berichtete, verprügelt und festgenommen. Sie wurde zu zehn Tagen Verwaltungshaft verurteilt, dann jedoch gegen ihren Willen am 26.

September in eine psychiatrische Klinik in Urgench gebracht. Später genehmigte ein Gericht ihre zwangsweise psychiatrische Behandlung für zwei Monate. Sie hatte nur sporadisch Zugang zu ihrem Rechtsbeistand und ihren Angehörigen und durfte diese nicht unter vier Augen treffen. Ein Berufungsgericht verlängerte am 28. November ihre Zwangsbehandlung. Nach einem internationalen Aufschrei wurde sie am 28. Dezember entlassen, nachdem eine Ärztekommission keine Gründe für eine Fortsetzung ihrer Zwangseinweisung hatte finden können. 
 

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Stadterneuerungsprojekte in der Hauptstadt Taschkent und anderen Städten lösten Bürgerproteste gegen die weiträumige Zerstörung hunderter Wohnhäuser aus, viele davon in traditionellen Mahallas (lokale Nachbarschaften). Hausbesitzer_innen und Mieter_innen beschwerten sich darüber, dass man sie nicht rechtzeitig von der Räumung unterrichtet und ihnen weder geeigneten Ersatzwohnraum noch angemessene Entschädigungen angeboten habe. 

Trotz eines viel gepriesenen und scheinbar umgesetzten Verbots von Zwangsarbeit in der Baumwollindustrie berichteten unabhängige Beobachter_innen, dass Zehntausende Angestellte aus dem öffentlichen Dienst, Militärangehörige und Häftlinge dazu herangezogen worden waren, auf den Baumwollfeldern zu arbeiten. 
 

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intergeschlechtlichen (LGBTI)

Die Behörden lehnten es ab, einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen Männern zu entkriminalisieren und Artikel 120 des Strafgesetzbuchs zu streichen, indem sie erklärten, dass nicht-heterosexuelle Beziehungen den nationalen kulturellen "Traditionen" und den "moralischen Normen" widersprächen. 

LGBTIs litten unter systematischer Diskriminierung und Gewalt vonseiten der Polizei und des SNB sowie durch nichtstaatliche Akteure. Die Polizei nahm regelmäßig homosexuelle oder bisexuelle Männer sowie Transgender fest, bedrohte sie mit Freiheitsstrafen nach Artikel 120, schüchterte sie ein, misshandelte sie körperlich oder sexuell und erpresste Geld von ihnen oder zwang sie mithilfe von Drohungen zur Kollaboration. Auch lesbische und bisexuelle Frauen gerieten ins Visier. Nichtstaatliche Akteure verübten zum Teil sexualisierte Misshandlungen an LGBTI-Personen, zeichneten in manchen Fällen die Übergriffe auf und verbreiteten sie über die sozialen Medien. 

Gruppen, die die Menschenrechte von LGBTIs verteidigten, waren bei ihren Aktivitäten nicht sicher, wobei die Behörden sämtliche Versuche unterbanden, auf ihre Notlage aufmerksam zu machen.

Folter und andere Misshandlungen

In seinen abschließenden Bemerkungen zur Beurteilung von Usbekistans fünfter Allgemeiner Regelmäßiger Überprüfung äußerte der UN-Ausschuss gegen Folter (UN Committee against Torture – CAT) große Besorgnis "über Berichte, wonach Folter und Misshandlungen weiter routinemäßig vom Staat selbst, auf staatliche Anordnung oder mit Zustimmung staatlicher Stellen wie Polizeikräften, Ermittlungsbehörden und Gefängnispersonal verübt wurden". Anwält_innen, Menschenrechtsverteidiger_innen und Angehörige Betroffener berichteten zudem, dass Polizei, SNB, Gefängnisaufseher_innen und Häftlinge selbst nach wie vor Folter und Misshandlungen einsetzten, um "Geständnisse" zu erzwingen oder Verdächtige und Inhaftierte zu bestrafen. 
 

Am 26. Juni befand das Städtische Strafgericht Taschkent den früheren Generalstaatsanwalt Rashitjon Kadirov und seine zwölf Mitangeklagten für schuldig, Amtsmissbrauch und Finanzdelikte verübt zu haben, und verurteilte Rashitjon Kadirov zu zehn Jahren Haft. Das Gericht wies Vorwürfe zurück, denen zufolge die "Geständnisse" unter Folter erzwungen worden seien, obwohl diese Angaben durch glaubwürdige Beweise gestützt wurden. Rashitjon Kadirov nahestehende Quellen berichteten, dass er körperlichen Misshandlungen, Scheinhinrichtungen, Schlafentzug und anderen Foltermethoden unterzogen worden wäre, um ihn dazu zu zwingen, gegen sich selbst und andere auszusagen.

Sexualisierte Gewalt

Bezüglich des CAT-Berichts beharrten die Behörden darauf, dass 2019 bei der Ombudsstelle keine Beschwerden über sexualisierte Gewalt in Haftanstalten eingegangen seien, und bestritten, dass dieses Mittel regelmäßig gegen Inhaftierte und Gefangene angewandt werde. 

Menschenrechtsverteidiger_innen, Anwält_innen und LGBTI-Aktivist_innen bestätigten, dass Polizei, SNB, Gefängnispersonal und Mitgefangene 2019 regelmäßig sexualisierte Gewalt und Misshandlungen einsetzten, um Gefangene zu bestrafen und dazu zu zwingen, andere zu belasten. Zu den Foltermethoden zählte, dass Vollzugsbeamte Männer mit Flaschen und Knüppeln vergewaltigten, ihnen schwere Wasserflaschen an die Genitalien hängten oder ihnen Zeitungspapier um die Genitalien wickelten und es in Brand steckten. Homosexuelle und bisexuelle Gefangene sowie Personen, die Opfer von Vergewaltigungen wurden oder im Verdacht standen, schwul zu sein, hatten den niedrigsten Status in der inoffiziellen Häftlingshierarchie und wurden von anderen Strafgefangenen und Aufseher_innen regelmäßig zu "Sklav_innen" gemacht und beispielsweise gezwungen, mit bloßen Händen schmutzige Toiletten zu säubern.

Straflosigkeit

Die Behörden leugneten, dass frühere Gefangene wie etwa Journalist_innen, Vertreter_innen der politischen Opposition und frühere Regierungsbeamt_innen, darunter auch gewaltlose politische Gefangene, gefoltert worden seien, um ihnen "Geständnisse" abzupressen und abweichende Meinungen zu bestrafen. In einer schriftlichen Antwort an den CAT erklärte die Regierung im September 2019, dass bei Ermittlungen in den Fällen von Muhammad Bekhzanov, Erkin Musaev, Azam Farmonov, Bobomurod Abdullayev und mindestens zehn weiteren seit 2017 freigekommenen Strafgefangenen keine Beweise für Folter oder Misshandlungen gefunden worden seien. Bei der CAT-Überprüfung im Dezember weigerten sich die Behörden, Einzelheiten über die durchgeführten Ermittlungen zu nennen, und beharrten darauf, dass es kein zwingendes Argument für eine Wiedergutmachung gebe. In seinen abschließenden Bemerkungen bedauerte der CAT den Standpunkt der Behörden, dass sämtliche erhobenen Behauptungen "unbegründet" seien. 

Am 23. September 2019 lehnte das Oberste Gericht es ab, den früheren gewaltlosen politischen Gefangenen Salidzhon Abdurakhmonov zu rehabilitieren, der 2017 freigekommen war, und lehnten seine Beschwerde gegen seine zehnjährige Freiheitsstrafe ab. Im März 2019 hatte der UN-Menschenrechtsausschuss festgestellt, dass der unabhängige Journalist und Menschenrechtsverteidiger willkürlich inhaftiert worden war und wies die Behörden an, ihm effiziente Rechtsmittel zuzubilligen und ihm eine Entschädigung zu bezahlen. 

Die Behörden versäumten es 2019 trotz wiederholter Zusicherungen, ein effizientes Beschwerdesystem einzurichten. Die Regierung teilte dem CAT mit, dass die Staatsanwaltschaft nur in ganz wenigen bei der Ombudsstelle eingereichten Beschwerden über Folter Beweise für ein Fehlverhalten gefunden hätten. Alle anderen Beschwerden seien "unbegründet". Der Ombudsmann reichte nach wie vor sämtliche Beschwerden an Staatsanwaltschaft oder Polizei weiter, obwohl er im März die Befugnis erhalten hatte, selbst zu ermitteln. 

Haftbedingungen

Positiv war zu verzeichnen, dass der Präsident im August anordnete, das für Folter berüchtigte Hochsicherheitsgefängnis Jaslik (UYA 64/OF) zu schließen. Menschenrechtsaktivist_innen äußerten jedoch die Besorgnis, dass Jaslik vom Innenministerium der autonomen Republik Karakalpakistan zur Untersuchungshaftanstalt umgewidmet werden soll. Die Behörden machten keine Angaben darüber, was mit den Häftlingen geschehen war, die von dort in andere Haftanstalten überstellt worden waren. 

Aufgrund des Fehlens eines wirklich unabhängigen Kontrollmechanismus für Gefängnisse war es unmöglich, die Bedingungen in Jaslik und anderen Haftanstalten zu überprüfen. Die Behörden lieferten zudem keine Beweise für eine Verbesserung der Bedingungen in den Haftanstalten des SNB, was auch für den CAT-Bericht im Dezember galt, und beharrten darauf, dass Informationen über Häftlings- und Gefangenenzahlen, Standorte von Gefängnissen und Haftbedingungen als "vertraulich" betrachtet würden. 

Bericht von Amnesty International

Uzbekistan: Stop harassing human rights defenders Agzam Turgunov and Dilmurod Saidov (EUR 62/0347/2019)

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