Amnesty Report Paraguay 24. April 2024

Paraguay 2023

Amnesty-Logo: Kerze umschlossen von Stacheldraht.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023

Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte die Anwendung von Folter durch die Behörden. Berichten zufolge kam es nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zum Einsatz rechtswidriger Gewalt sowie zu willkürlichen Inhaftierungen und der Kriminalisierung sozialer Proteste. Indigene und kleinbäuerliche Gemeinschaften waren von Zwangsräumungen betroffen und toxischen Substanzen ausgesetzt. Die Klagen von sechs trans Menschen auf eine amtliche Änderung ihrer Namen wurden abgewiesen. Gewalt gegen Frauen, sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen sowie die erzwungene Austragung von Schwangerschaften minderjähriger Mädchen gaben weiterhin Anlass zu großer Besorgnis.

Hintergrund

50 Jahre nach seiner Unterzeichnung nahmen Paraguay und Brasilien die Überarbeitung des Vertrags von Itaipú in Angriff. Verhandlungen über den Verkauf von Strom, der in hydroelektrischen Anlagen am Fluss Paraná erzeugt wurde, umfassten keine partizipativen Mechanismen.

Im April 2023 entschied der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte, dass der Staat Paraguay dem Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Ríos Ávalos und andere gegen Paraguay nachgekommen war. In dem Fall ging es um die Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit nach der Amtsenthebung von zwei Richtern des Obersten Gerichtshofs im Jahr 2003.

Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit

Die Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit blieben auch 2023 bestehen. Laut Berichten des Nationalen Mechanismus zur Verhütung von Folter (Mecanismo Nacional de Prevención de la Tortura) wurden Demonstrierende, die an den Protesten nach den Wahlen im Mai 2023 teilnahmen, zum Ziel willkürlicher Inhaftierungen, rechtswidriger Gewaltanwendung und von Folter. Im Juni 2023 starb der 22-jährige Demonstrant Rigoberto Luis Duarte Ríos durch einen Kopfschuss.

Im Februar 2023 wurde Alexander Álvarez Ramírez, Produzent und Moderator einer Radiosendung in der Stadt Pedro Juan Caballero, getötet. Es wurde davon ausgegangen, dass die Tötung mit seiner Arbeit als Radiomoderator zusammenhing. Bis zum Ende des Jahres waren jedoch keine Informationen zu den Ermittlungen in diesem Fall veröffentlicht worden.

Folter und andere Misshandlungen

Folter und andere Misshandlungen blieben weiterhin straflos. Im Mai 2023 verurteilte der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte den paraguayischen Staat wegen der willkürlichen Inhaftierung und Folterung von Jorge Luis López Sosa im Jahr 2000. Das Gericht ordnete eine finanzielle Entschädigung für den Betroffenen und die Einführung eines Schulungsprogramms zu den Themen Verbot, Verhütung und Untersuchung von Folterungen an.

Miguel Ángel Correa Franco, der im Zusammenhang mit dem Massaker in Curuguaty (damals wurden bei gewaltsamen Auseinandersetzungen nach der Vertreibung von 70 Angehörigen einer kleinbäuerlichen Gemeinschaft durch Polizeikräfte elf Kleinbauern und sechs Polizeikräfte getötet) im Jahr 2012 willkürlich inhaftiert worden war und Folter erlitten hatte, richtete eine Mitteilung an den UN-Ausschuss gegen Folter, in der er den paraguayischen Staat dafür verantwortlich machte, dass die Staatsanwaltschaft es unterlassen hatte, Anklage gegen die mutmaßlichen Täter zu erheben.

Die Staatsanwaltschaft meldete keine Fortschritte bei der Ermittlung der Personen, die für die Folterung und anderweitige Misshandlung von 35 Personen auf einem Marinestützpunkt in der Stadt Ciudad del Este im Jahr 2020 verantwortlich waren.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Patient*innen, insbesondere im Bereich Onkologie, reichten immer wieder Beschwerden und Klagen wegen mangelhafter medizinischer Versorgung ein, die auf unzureichende Ressourcen im öffentlichen Gesundheitssystem zurückzuführen war.

Obwohl durch ein Gesetz die Einrichtung eines Ausschusses beschlossen worden war, der rechtliche Möglichkeiten für die Rückgabe von Land prüfen sollte, das während der Militärdiktatur unrechtmäßig vergeben worden war, gab es diesbezüglich keine Fortschritte. Es ging um mehr als acht Millionen Hektar Land, die während der Militärherrschaft rechtswidrig den Unterstützer*innen des Militärregimes zugesprochen wurden und nun für die Agrarreform vorgesehen waren. Die Umsetzung der Reform würde Tausenden Menschen zu ihrem Recht auf einen angemessenen Lebensstandard verhelfen, einschließlich ausreichender Versorgung mit Nahrungsmitteln.

Es kam weiterhin zur rechtswidrigen Vertreibung bäuerlicher und indigener Gemeinschaften. Die paraguayische Menschenrechtsorganisation CODEHUPY (Coordinadora de Derechos Humanos del Paraguay) berichtete, dass die im Departamento Caaguazù ansässige indigene Gemeinschaft 15 de Enero Avá Guaraní vertrieben worden war. In der Folge wurden 20 Familien mit insgesamt 41 kleinen Kindern obdachlos. Sie lebten am Rand einer Straße, wo sie der Gefahr weiterer Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt waren.

Im Juni 2023 wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Rückgabe des Grundstücks Marina Kue in der Provinz Curuguaty an die Kleinbäuer*innen ermöglichte, die das Land bewohnten und seit Jahrzehnten Anspruch auf ihre Landtitel erhoben hatten. Zwar war dies ein positiver Schritt, die Familien der Opfer des Massakers von Curuguaty 2012 (siehe "Folter und andere Misshandlungen") warteten jedoch auch nach elf Jahren noch immer auf Gerechtigkeit.

Rechte indigener Gemeinschaften

Der Nationale Plan für die Rechte der indigenen Gemeinschaften (Plan Nacional de Pueblos Indígenas) war weiterhin unterfinanziert, was seine Umsetzung behinderte.

Die der indigenen Gemeinschaft der Avá Guaraní Paranaense angehörende Gemeinschaft Tekoha Sauce wartete noch immer auf die Rückgabe ihres angestammten Landes, das von dem Wasserkraftunternehmen Itaipú Binacional unter Verletzung ihrer Rechte als Angehörige einer indigenen Gemeinschaft in Besitz genommen worden war. Das Unternehmen legte Rechtsmittel gegen ein Gerichtsurteil ein, das die Vertreibung von Angehörigen der indigenen Gemeinschaft aus einem anderen Teil ihres angestammten Landes abgelehnt hatte.

Im Juli 2023 drangen nichtstaatliche bewaffnete Gruppen in das Territorium Tekoha Guasu Yvy Pyte ein und ließen sich dort unter Anwendung von Gewalt nieder. Das Territorium gilt als heiliges Gebiet der indigenen Gemeinschaft der Pai Tavyterã. Sprecher*innen der Gemeinschaft hatten im Januar 2023 illegale Abholzung und Morddrohungen angeprangert.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)

Die Diskriminierung von LGBTI+ und eine gegen sie gerichtete massive Hasskampagne blieben straflos. Die Justiz wies fünf Klagen von trans Menschen ab, mit denen sie die rechtliche Anerkennung ihrer Namen entsprechend ihrer Geschlechtsidentität gefordert hatten. Im September 2023 hob ein Berufungsgericht zudem die Entscheidung bezüglich der Anerkennung der Geschlechtsidentität von Mariana Sepúlveda wieder auf. Mariana Sepúlveda und eine weitere trans Frau hatten 2016 als erste transgeschlechtliche Menschen in Paraguay einen Antrag auf Namensänderung gestellt und ein positives Urteil erhalten. 

In Bezug auf die strafrechtlichen Ermittlungen zu den tätlichen Angriffen gegen LGBTI+ im Jahr 2019 während eines Marschs in der Stadt Hernandarias gab es weiterhin keine Fortschritte. Der Oberste Gerichtshof hatte über eine von Amnesty International und der Organisation Diversxs Alto Paraná im Jahr 2019 eingereichte Verfassungsklage gegen das Verbot des Marschs noch nicht entschieden.

Kinderrechte

Die Rechte von Kindern wurden auch 2023 verletzt. Das Ministerium für öffentliche Gesundheit und Sozialwesen (Ministerio de Salud Pública y Bienestar Social) verzeichnete 8.900 Geburten von Kindern, deren Mütter zwischen 15 und 19 Jahre alt waren. 593 von ihnen gehörten indigenen Gemeinschaften an. Zudem registrierte das Ministerium 326 Entbindungen, bei denen die Mütter zwischen 10 und 14 Jahre alt waren, von denen 85 einer indigenen Gemeinschaft angehörten.

Frauenrechte

Für das Jahr 2023 verzeichnete das Ministerium für Frauenangelegenheiten (Ministerio de la Mujer) 45 Femizide und 42 versuchte Femizide. In einigen Fällen hatten die Opfer ihre Angreifer zuvor angezeigt, sodass gerichtliche Schutzmaßnahmen angeordnet worden waren.

Der Kongress diskutierte über einen Gesetzentwurf zur Abschaffung einer Gender-Perspektive in der öffentlichen Politik, auch im Bildungswesen.

Angesichts der massiven Gewalt gegen Frauen, Kinder und Jugendliche billigte der Senat im September 2023 einen Gesetzentwurf, mit dem der soziale Notstand erklärt wurde. Der Entwurf sah eine Reihe von Maßnahmen in den Bereichen Bildung, institutionelle Kommunikation und Schulung öffentlich Bediensteter vor. Diese zielten darauf ab, soziokulturelle Muster zu verändern, die die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern aufrechterhielten. Die vorgesehene Laufzeit für die Maßnahmen wurde auf fünf Jahre festgelegt, der Entwurf enthielt jedoch keine Haushaltsmittel für eine entsprechende Finanzierung.

Recht auf eine gesunde Umwelt

Ein UN-Sonderberichterstatter stellte fest, dass bäuerliche und indigene Gemeinschaften in Paraguay aufgrund des unkontrollierten Einsatzes von Agrochemikalien in alarmierendem Ausmaß toxischen Substanzen ausgesetzt waren. Außerdem merkte er an, dass Menschen, die wegen Umweltangelegenheiten vor Gericht ziehen wollten, mit erheblichen Hindernissen konfrontiert waren.

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