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Guinea 2023
© Amnesty International
Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023
Der Zugang zu den wichtigsten Social-Media-Plattformen wurde zeitweise unterbrochen, und auch Nachrichtenwebsites, Radiosender und Fernsehkanäle gerieten ins Visier. Demonstrationen waren weiterhin pauschal verboten, ausgenommen solche zur Unterstützung der Übergangsregierung. Sicherheitskräfte töteten Demonstrierende und nahmen Journalist*innen willkürlich fest. Im Fall der getöteten M'Mah Sylla wurden vier Männer schuldig gesprochen. Die Behörden leiteten gerichtliche Schritte wegen Meeresverschmutzung ein.
Hintergrund
Der Prozess gegen den ehemaligen Staatschef Moussa Dadis Camara und mehrere ehemalige hochrangige Sicherheitskräfte wurde am 13. November 2023 fortgesetzt. Die Angeklagten mussten sich wegen ihrer Rolle beim Massaker vom 28. September 2009 verantworten, bei dem Angehörige der Streit- und Sicherheitskräfte in Conakry 157 Menschen töteten und mehr als 100 Frauen vergewaltigten. Neun Tage vor Wiederaufnahme des Prozesses hatte eine bewaffnete Kommandotruppe das Gefängnis von Conakry angegriffen und vier der Hauptangeklagten befreit, einschließlich Moussa Dadis Camara. Sie wurden allesamt wieder in Gewahrsam genommen, bis auf Claude Pivi, der ehemalige Chef der Präsidentengarde.
In der Nacht vom 17. auf den 18. Dezember 2023 kam es in Conakry im größten Treibstofflager des Landes zu einer Explosion, bei der 24 Menschen starben und mehr als 450 verletzt wurden. Die Treibstoffknappheit nach dem Unglück führte zu höheren Lebenshaltungskosten, regelmäßigen Stromausfällen und der Schließung von Schulen und Hochschulen.
Recht auf freie Meinungsäußerung
Am 31. Oktober 2023 entschied der Gerichtshof der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, dass Guinea gegen die Rechte auf Meinungs- und Informationsfreiheit verstoßen hatte, als die Regierung im Jahr 2020 den Zugang zum Internet und den Sozialen Medien einschränkte.
Während der Protestveranstaltungen gegen die Regierung am 17. Mai 2023 wurde der Zugang zu Sozialen Netzwerken und Nachrichtenwebsites gestört und erst etwa eine Woche später wieder hergestellt. Ab dem 24. November 2023 waren die wichtigsten Social-Media-Plattformen erneut nur noch eingeschränkt zugänglich, ohne dass die Behörden dies offiziell begründeten. Am 30. November sagte der Kommunikationsminister Ousmane Gaoual Diallo, es gäbe "kein Recht auf das Internet". Zwar hatte er die im Mai erfolgte Unterbrechung des Internets eingeräumt, diese jedoch einem technischen Problem mit einem Unterseekabel zugeschrieben. Die Nachrichtenwebsite Guineematin.com konnte vom 15. August bis 5. November ohne Angabe von Gründen nicht aufgerufen werden. Am 6. und 9. Dezember forderte die Kommunikationsaufsichtsbehörde das Medienhaus Canal+ Guinée schriftlich auf, aus "Gründen der nationalen Sicherheit" keine Programme von Djoma FM & TV, Espace FM & TV und Évasion FM & TV mehr zu übertragen. Der Mediendienstleister StarTimes kündigte an, dass er Djoma TV, Espace TV und Évasion TV aus denselben Gründen aus dem Programm nehmen werde.
Recht auf friedliche Versammlung
Das seit Mai 2022 in Guinea bestehende generelle Verbot für politische Versammlungen galt weiterhin. In der Hauptstadt Conakry wurden vom Oppositionsbündnis Forces Vives de Guinée einberufene Versammlungen verboten, mehrere Kundgebungen zur Unterstützung des Staatsoberhaupts durften dagegen stattfinden.
Am 1. Juni 2023 verurteilte das erstinstanzliche Gericht der Stadt Kankan zwei Frauen zu sechs Monaten Gefängnis – davon vier Monate auf Bewährung – und einer Geldstrafe von jeweils 1 Mio. Guinea-Francs (etwa 110 Euro) sowie sieben weitere Frauen zu je sechs Monaten Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von 500.000 Guinea-Francs (etwa 55 Euro). Die neun Frauen wurden der "strafbaren Teilnahme an einer Versammlung" für schuldig befunden, weil sie am 24. Mai auf die Straße gegangen waren und die Wiedereinsetzung des ehemaligen Präsidenten Alpha Condé gefordert hatten.
Nachdem es in der Stadt Kankan in der Nacht vom 27. auf den 28. März 2023 zu gewalttätigen Protesten gegen den Strommangel gekommen war, verurteilte das erstinstanzliche Gericht der Stadt am 13. April 15 Männer u. a. wegen Teilnahme an einer nicht genehmigten Versammlung zu Haftstrafen zwischen vier und 18 Monaten. Bei den Ausschreitungen war auch ein Bild des Präsidenten verbrannt worden.
Rechtswidrige Tötungen
Nach Angaben zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie von Medien und politischen Parteien hatten Angehörige der Streit- und Sicherheitskräfte seit September 2021 bei Protesten mindestens 37 Menschen getötet.
Am 16. April 2023 wurde in der Stadt Wonkifong (Region Kindia) bei einem Drogenbekämpfungseinsatz der Sicherheitskräfte ein Mann getötet. Am 19. September wurden in Boffa (Region Boké) mehrere Menschen verletzt, als Militärangehörige Berichten zufolge auf Demonstrierende schossen, die aus Protest gegen den Strommangel Straßen blockiert hatten.
Am 27. März 2023 verurteilte das erstinstanzliche Gericht in Dixinn, einem Stadtteil von Conakry, einen hochrangigen Gendarmerieangehörigen zu zehn Jahren Haft und zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 100 Mio. Guinea-Francs (etwa 11.000 Euro). Er hatte am 1. Juni 2022 in Hamdallaye, einem Stadtteil von Conakry, bei einer Demonstration gegen die Erhöhung des Benzinpreises einen 19-jährigen Mann getötet.
Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen
Oumar Sylla und Ibrahima Diallo von der Nationalen Front zur Verteidigung der Verfassung (Front National pour la Défense de la Constitution), einem Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen und politischer Parteien, sowie Saikou Yaya Barry von der Partei Union des Forces Républicaines wurden am 10. Mai 2023 nach mehr als zehn Monaten willkürlicher Inhaftierung vorläufig freigelassen. Ihnen waren "strafbare Beteiligung an einer Zusammenrottung, vorsätzliche Körperverletzung, Mittäterschaft bei der Zerstörung von privatem und öffentlichem Eigentum sowie Plünderung und Brandstiftung" vorgeworfen worden. Die Männer hatten dazu aufgerufen, die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung zu fordern. Am 13. Juni sprach das erstinstanzliche Gericht in Dixinn (Conakry) Oumar Sylla und Ibrahima Diallo frei.
Am 16. Oktober 2023 wurden in Kaloum, einem Stadtteil von Conakry, 13 Journalist*innen unter Gewaltanwendung willkürlich festgenommen, zum Polizeipräsidium gebracht und dann vor einem erstinstanzlichen Gericht angeklagt. Sie hatten an einer friedlichen Demonstration teilgenommen, die vom guineischen Presseverband Syndicat des Professionnels de la Presse de Guinée organisiert worden war, um von den Behörden die Aufhebung der Zugangsbeschränkungen zu bestimmten Nachrichtenwebsites zu fordern. Die Journalist*innen wurden wegen "Teilnahme an einer illegalen Versammlung auf einer öffentlichen Verkehrsstraße" angeklagt und noch am selben Tag wieder auf freien Fuß gesetzt.
Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt
Am 4. April 2023 verurteilte das erstinstanzliche Gericht in Mafanco, einem Stadtteil von Conakry, vier Männer wegen Vergewaltigung und anderer Misshandlungen, die am 20. November 2021 zum Tod von M'Mah Sylla geführt hatten, zu Freiheitsstrafen zwischen einem und 20 Jahren. Sie wurden zudem zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 1 Mrd. Guinea-Francs (etwa 110.000 Euro) an den Vater von M'Mah Sylla verurteilt.
Am 18. Oktober 2023 forderten die UN-Agenturen in Guinea die Behörden auf, ihren Verpflichtungen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen nachzukommen. Anlass für den Appell war der Tod eines neunjährigen Mädchens, das vier Tage zuvor in Dubréka (Region Kindia) nach einer Vergewaltigung gestorben war.
Recht auf eine gesunde Umwelt
Ungeachtet der Bedenken zivilgesellschaftlicher Organisationen hinsichtlich der Folgen für die wirtschaftlichen und sozialen Rechte der Anwohner*innen und der Auswirkungen auf den Klimawandel gab der Präsident im März 2023 offiziell die Wiederaufnahme der Arbeiten an der Eisenerzmine Simandou bekannt. Im Rahmen dieses Projekts ist auch der Bau einer Eisenbahn und eines Hafens geplant.
Nachdem 500 Fischerleute über Hautausschläge geklagt hatten, führten die guineischen Behörden am 14. April 2023 eine Untersuchung durch. Dabei stellten sie fest, dass 74 km vor der Küste von Conakry große Meeresgebiete verschmutzt waren. Am 19. Juni beantragte das Justizministerium beim Gericht zur Bekämpfung von Wirtschafts- und Finanzdelikten die Einleitung eines Gerichtsverfahrens gegen "verdächtige Erztransporteure, natürliche oder juristische Personen, die die besagten Schiffe besitzen, nutzen oder für sie verantwortlich sind", wegen "mutmaßlicher Meeresverschmutzung, durch die Hautausschläge bei Fischerleuten sowie Umweltschäden verursacht werden".