Amnesty Report Belgien 28. März 2023

Belgien 2022

In gelb gekleidete Demonstrierende halten ein Banner mit der Aufschrift: "Climate Crisis = Human Rights Crisis"

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

Im Strafgesetz wurde das Zustimmungsprinzip als Grundlage für die Definition von Vergewaltigung und anderer sexualisierter Gewalt festgeschrieben. Asylsuchende wurden mittellos sich selbst überlassen, und Asylsuchenden aus Afghanistan wurde internationaler Schutz verweigert. Ein in Staatsbesitz befindlicher Waffenhersteller setzte seine unverantwortlichen Rüstungsexporte fort. Ein bilaterales Abkommen mit dem Iran ließ Befürchtungen in Bezug auf Straflosigkeit aufkommen. Studien fanden Belege für eine strukturelle Diskriminierung von ethnischen Minderheiten und von Personen ohne belgische Staatsangehörigkeit. In Gefängnissen herrschten oft unmenschliche Bedingungen. Belgien wurde aufgefordert, wegen Verstößen gegen den Grundsatz der Nicht-Zurückweisung Entschädigungen zu leisten.

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt

Im Juni 2022 traten neue strafrechtliche Regelungen in Bezug auf Vergewaltigung und andere Formen sexualisierter Gewalt in Kraft, die auf dem Zustimmungsprinzip basierten. Außerdem wurde die Sexarbeit entkriminalisiert.

Es wurden zwei neue Anlaufstellen für Überlebende von sexualisierter Gewalt eingerichtet, womit die Gesamtzahl der Hilfseinrichtungen auf sieben anstieg; mindestens drei weitere Anlaufstellen waren in Planung.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Aufgrund unzureichender Unterbringungsmöglichkeiten waren nach wie vor zahlreiche Asylsuchende wohnungs- und mittellos.

Der Generalkommissar für Flüchtlinge und Staatenlose verweigerte afghanischen Asylsuchenden seit März 2022 erneut internationalen Schutz. Als Grund führte er an, in Afghanistan bestehe "keine echte Gefahr mehr, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden", weshalb subsidiärer Schutz aus humanitären Gründen nicht mehr gerechtfertigt sei. Im Oktober berichtete das Generalkommissariat, dass nur 52,2 Prozent aller afghanischen Asylsuchenden in Belgien internationalen Schutz erhielten.

Menschen, die aus Afghanistan zunächst in den Iran geflohen waren und anschließend in Belgien Schutz suchen wollten, wurden von den belgischen Behörden mit unverhältnismäßigen Verwaltungshindernissen konfrontiert, obwohl ihnen im Iran Abschiebung, Folter und andere Misshandlungen sowie rechtswidrige Tötungen drohten. Flüchtlinge, die nach Belgien reisen wollten und Anträge auf humanitäre Visa gestellt hatten, wurden nach monatelangem Warten darüber informiert, dass Anträge nur berücksichtigt werden könnten, wenn sie in Pakistan neu eingereicht würden.

Rüstungsexporte

Im Dezember 2022 leiteten Amnesty International und andere zivilgesellschaftliche Organisationen gerichtliche Schritte gegen FN Herstal ein, einen Waffenhersteller, der sich vollständig im Besitz der wallonischen Regionalbehörden befindet. Die Organisationen stellten sich damit gegen die fortgesetzten Waffenexporte in Staaten, in denen diese Waffen mutmaßlich für schwere Menschenrechtsverletzungen sowie Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht eingesetzt werden.

Straflosigkeit

Im Juli 2022 ratifizierte Belgien ein Auslieferungsabkommen mit dem Iran, das die Überstellung verurteilter Staatsangehöriger zwischen den Ländern vorsieht. Stimmen aus der iranischen und der internationalen Zivilgesellschaft forderten Belgien auf, sicherzustellen, dass das Abkommen Straflosigkeit nicht weiter zementiert und die iranischen Behörden für extraterritorial verübte schwere Menschenrechtsverletzungen und rechtswidrige Handlungen zur Rechenschaft gezogen werden. Im Dezember ordnete das belgische Verfassungsgericht an, die Umsetzung des Abkommens teilweise auszusetzen. Eine Entscheidung über die mögliche Aufhebung des Abkommens wurde für Anfang 2023 erwartet.

Diskriminierung

Im März und Juni 2022 veröffentlichte Studien der Gleichbehandlungsstelle UNIA stellten fest, dass afrikanischstämmige Personen auf dem Wohnungsmarkt strukturell diskriminiert werden. Außerdem fanden sie heraus, dass Personen ohne belgische Staatsangehörigkeit auf dem Arbeitsmarkt sowohl struktureller als auch direkter Diskriminierung ausgesetzt sind.

Ebenfalls im März berichtete die NGO Belgische Liga für Menschenrechte, dass ausländische Staatsangehörige oder Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft bei einer Festnahme, in Polizeigewahrsam oder in einer Zeug*innenfunktion stärker als belgische Staatsangehörige Gefahr liefen, Opfer von Gewalt zu werden.

Unmenschliche Haftbedingungen

In den heruntergekommenen Haftanstalten des Landes herrschte auch 2022 Überbelegung und die Gefangenen hatten nur mangelhaften Zugang zu grundlegenden Leistungen wie Gesundheitsfürsorge und Sanitäreinrichtungen.

Im Juni 2022 äußerte sich der Ministerausschuss des Europarats "tief besorgt" über die strukturelle Überbelegung und die sich verschlechternde Situation in den belgischen Gefängnissen. Der Ausschuss forderte die Behörden auf, schnell Lösungen zur Verbesserung der Haftbedingungen zu finden.

Folter und andere Misshandlungen

Im September 2022 wies das Brüsseler Berufungsgericht die Regierung an, 100.000 Euro Entschädigung an Nizar Trabelsi zu zahlen und seine Rücküberstellung aus den USA nach Belgien zu fordern, da seine Haftbedingungen in den USA gegen das absolute Verbot von Folter sowie unmenschlicher und erniedrigender Behandlung verstießen. Nizar Trabelsi war 2013 unter Verstoß gegen den Grundsatz der Nicht-Zurückweisung (Non-Refoulement) sowie entgegen einer einstweiligen Verfügung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an die USA ausgeliefert worden, nachdem er aufgrund von Vorwürfen im Zusammenhang mit Terrorismus eine zehnjährige Haftstrafe in einem belgischen Gefängnis verbüßt hatte.

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