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Frau am Steuer
Für mehr Gleichberechtigung in der Ukraine: Die Soziologin und Aktivistin Yuliya Sporysh
© Rasputin Viktor
Der Krieg in der Ukraine hat die Gleichberechtigung stark zurückgeworfen. Um Frauen zu stärken, setzt die Menschenrechtsaktivistin Yuliya Sporysh mit ihrer Organisation Girls auf Hilfe zur Selbsthilfe.
Von Tigran Petrosyan
Der russische Angriffskrieg markiert einen Wendepunkt im Leben aller Ukrainer*innen. Doch die bitteren Geschehnisse seit dem Februar 2022 haben Yuliya Sporysh nicht entmutigt. "Wenn ich über Frauen spreche, die unter dem Krieg gelitten haben, vergesse ich manchmal, dass ich selbst eine von ihnen bin", sagt die 39-jährige Frauenrechtsaktivistin.
Sporysh gründete 2019 in Kiew die Nichtregierungsorganisation Girls für Sexualaufklärung und zur Prävention geschlechtsspezifischer Gewalt. Ihr geht es darum, Frauen in schwierigen Lebenssituationen zu unterstützen. Für ihren mutigen und beharrlichen Einsatz für Menschenrechte, Gleichberechtigung und sexuelle Selbstbestimmung erhielt sie in diesem Jahr den Anne-Klein-Frauenpreis der Heinrich-Böll-Stiftung.
Ökonomisches Empowerment
"Wir müssen besonders die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen stärken", sagt die studierte Soziologin Sporysh. Deshalb setzt Girls auf das ökonomische Empowerment von Frauen, dazu gehört auch die Förderung von Frauenunternehmen. Sporysh bringt eigene Erfahrungen aus der Privatwirtschaft mit: Die Mutter von drei Kindern leitete ein ukrainisches Finanztechnologie-Unternehmen, arbeitete in der Marktforschung und als Fundraiserin für ein IT-Start-up – keine Selbstverständlichkeit für eine alleinerziehende Frau in der Ukraine.
Trotz des Kriegs versucht die Frauenrechtsaktivistin, junge Ukrainerinnen zu ermutigen, ihre Zukunft selbst zu gestalten. "Der Krieg hat uns um 20 Jahre zurückgeworfen", sagt sie. "Frauen tun wieder alles, um das Überleben ihrer Kinder zu sichern, und stellen ihre Karriere und ihre Ambitionen hintenan." Besorgt beobachtet Sporysh eine Zunahme häuslicher Gewalt in der Ukraine – gleichzeitig sei die Zahl der Frauen, die Hilfe suchen, dramatisch zurückgegangen. "Denn viele denken, dass dies kein so großes Problem sei, und dass es jetzt wichtigere Probleme gibt. Sie rufen keine Hotlines an, um Unterstützung zu erhalten, sie melden sich nicht bei der Polizei." Sie und ihr Team setzen nun auf Informationskampagnen: "Damit wollen wir ein Bewusstsein dafür schaffen, dass sich die betroffenen Frauen trotz des Kriegs nicht scheuen sollten, um Hilfe zu bitten."
Etwas Hoffnung in der grausamen Realität
Girls arbeitet in mehr als 120 Orten in der gesamten Ukraine, auch in kleinen Dörfern. Die zumeist weiblichen Mitarbeiter*innen sind mit einer Vielzahl von Fällen konfrontiert: Trennung von der Familie, Verlust des Arbeitsplatzes, Verlust der sozialen Stabilität, Panikattacken, Hass auf die Kinder, Suizidgedanken. "Und wir haben immer noch Fälle, die mit sozialer Gewalt zu tun haben, die vor dem Krieg stattfand und sich weiterhin fortsetzt", sagt Sporysh. Bei dieser Form von Gewalt isolieren die Täter*innen die Betroffenen, um diese von sich abhängig zu machen bzw. deren Abhängigkeit zu vertiefen.
Um Frauen in ihrer Selbstständigkeit zu stärken, bringt das Girls-Team ihnen auch digitale Kenntnisse bei – etwa wie sie Google, Mailprogramme oder Online-Banking nutzen können. Überhaupt setzt die Organisation auf praktische Hilfe. "Wir finanzieren zum Beispiel Fahrkurse für Frauen, deren Männer in den Streitkräften dienen oder an der Front getötet wurden, damit sie das Familienauto selbst fahren können", erklärt die Menschenrechtsaktivistin.
Trotz der grausamen Realität sieht Sporysh im Krieg auch eine Chance für die Gleichberechtigung von Frauen. In der Notsituation übernehmen sie neue Aufgaben: "Was man einmal gelernt hat, verlernt man nicht einfach wieder."
Mehr Informationen zur genannten Organisation Girls gibt es hier.
Tigran Petrosyan ist freier Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.