Amnesty Journal 27. Januar 2021

Peter Steudtner: "Nicht selten führt Überwachung zu Verhaftungen"

Ein Mann mit Brille, Bart und Kapuzenpulli blickt in die Kamera.

Wegen Terrorismusvorwürfen angeklagt: Der Menschenrechtstrainer und Dokumentarfilmer Peter Steudtner (2017)

Der Menschenrechtsaktivist und Dokumentarfilmer Peter ­Steudtner war wegen Terrorismusvorwürfen zusammen mit zehn weiteren Menschenrechtsverteidigern in der Türkei ­angeklagt. Im Juli 2020 wurde er nach einem langwierigen ­Prozess ­freigesprochen. Er spricht darüber, wie er ­ausspioniert wurde – mit Dual-Use-Gütern aus Schweden und Israel.

Interview: Lea De Gregorio

In welchem Zusammenhang wurden Sie überwacht?

Das passierte, nachdem ich 2017 während eines Trainings für Menschenrechtsverteidiger_innen in der Türkei verhaftet wurde. Bei dem Training ging es um den Umgang mit Stress und Traumata und um Datensicherheit. Polizist_innen stürmten den Raum, sie sagten: "Sitzen bleiben, Handys, Laptops nach vorne". Sie haben alle Geräte der Teilnehmenden konfisziert. Nach 100 Tagen in Gewahrsam und Haft wurden sie dann ­unseren Anwälten übergeben.

Was haben Sie gedacht, als Sie erfahren haben, dass Sie ausspioniert wurden?

Ich war erleichtert, festzustellen, dass sie die verschlüsselten Daten nicht auslesen konnten. Meine Festplatten hatte ich verschlüsselt – glücklicherweise. Es war ein erschreckendes Gefühl zu merken: Wenn die Verschlüsselung nicht gehalten hätte, hätten Kontakte zu Menschenrechtsverteidigern und vertrauliche Informationen freigegeben werden können.

Woher wissen Sie, auf welche Daten die Behörden Zugriff hatten?

Nachdem ich die Geräte zurückbekommen habe, habe ich überlegt: Wie finde ich heraus, welche Daten sie öffnen konnten? Ich habe die Quirium Media Foundation gebeten, meine Daten forensisch zu durchsuchen. Und die haben dann bestätigt, dass mit einer Software der schwedischen Firma MSAB und einer Technologie der israelischen Firma Cellebrite auf ­meine Festplatten zugegriffen worden ist.

Es muss gesetzlich festgeschrieben werden, dass Technologien nicht dafür genutzt werden dürfen, Menschenrechtsverletzungen zu begehen.

Peter
Steudtner
Dokumentarfilmer & Menschenrechtsaktivist

Es wurden also Dual-Use-Güter genutzt?

Ja. Und nicht nur in diesem Fall. Ich erinnere mich, wie ich in einem türkischen Gefängnis auf dem Rücken lag und nach oben schaute. An der Decke der Zelle sah ich, dass die Überwachungskameras von der deutschen Firma Telefunken kommen.

Warum ist die Überwachung für Menschenrechtsverteidiger_innen so gefährlich?

Es ist gefährlich, wenn Regierungen oder Behörden Informationen bekommen, die sie gegen den Menschenrechtsverteidiger_innen einsetzen können. Nicht selten führt Überwachung zu Verhaftungen. Wenn Gruppierungen in einem Land verboten sind und Menschenrechtsverteidiger_innen Kontakt zu ihnen haben, wird ihnen ein Strick daraus gedreht.

Wie kann die Überwachung von Menschenrechtsverteidiger_innen verhindert werden?

Ganz verhindern kann man das nicht. Wichtig ist, zu wissen, welche Informationen man über welches Medium kommuniziert. Normale Telefonanrufe oder SMS sind wie Postkarten. Die können leicht abgegriffen werden. Wer Angst hat, ausspioniert worden zu sein, sollte alles überprüfen lassen. Wesentlich ist auch der gesetzliche Rahmen. Die Frage ist, welche Güter exportiert werden dürfen, damit Regierungen, die Menschenrechtsverletzungen begehen, diese Tools nicht einsetzen.

Was müsste dafür auf europäischer Ebene getan werden?

Wenn eine Firma Software oder Hardware herstellt, die zur Überwachung genutzt werden kann, sollte bei Exporten eine ­Risikoabschätzung zur Pflicht gemacht werden. Es muss gesetzlich festgeschrieben werden, dass Technologien nicht dafür genutzt werden dürfen, Menschenrechtsverletzungen zu begehen.

Lea De Gregorio ist Volontärin des Amnesty Journals. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder.

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