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"Westliche Werte"

Markus N. Beeko, Generalsekretär der deutschen Amnesty-Sektion.
© Bernd Hartung
Markus N. Beeko, Generalsekretär der deutschen Amnesty-Sektion, über "westliche Werte".
Am Ende der Sommerferien ging es wieder los: Nach den pandemiebedingten Ausfällen nahmen Veranstaltungen wieder an Zahl und Größe zu, oft im Freien. "Im Freien" kommt dem Anliegen von Amnesty entgegen. Denn wir wollen die Menschenrechte auf Straßen und Plätze tragen, in den öffentlichen Raum, zu den Menschen. Dies geschieht auf vielerlei Weise.
Jüngst reiste ich zu einer Plakataktion: Eine lokale Amnesty-Gruppe hatte die 30 Artikel der Menschenrechtserklärung gut sichtbar am Säulengang einer großen Kultureinrichtung angebracht, zur Eröffnung gab es Musik und Reden. Nur Tage zuvor hatten die Taliban die Macht in Afghanistan übernommen, und uns allen gingen die Bilder aus Kabul durch den Kopf. Der Intendant erinnerte an die menschenrechtliche Verantwortung gegenüber den Menschen in Afghanistan und auch daran, wie die Taliban einst jahrelang Grund- und Frauenrechte, aber auch Musik und Gesang verbannt hatten.
Unveräußerlich und unabhängig
Als er die Menschenrechte als "unsere westlichen Werte" bezeichnete, regte sich bei mir Widerstand. Denn die Menschenrechte sind mehr als gemeinsame "Werte". Sie sind durch internationale und nationale Regelungen verbrieftes, geltendes Recht, das Staaten und uns alle zum Schutz verpflichtet. Sie sind universelle und unveräußerliche Rechte – die jedem und jeder zustehen, überall, ungeachtet von Herkunfts- oder Lebensort, und unabhängig davon, ob andere sie als ihre "Werte" verstehen.
Und "westlich"? Mahatma Gandhi soll auf die Frage, was er von westlicher Zivilisation halte, geantwortet haben: "Ich denke, das wäre eine sehr gute Idee." Denn westliche Zivilisation und ihre politischen Ausprägungen waren mit Sklaverei, Rassismus, Antisemitismus, Kolonialismus, Segregation, dem Apartheidregime und Völkermorden selten genug Beleg für universelle Menschenrechte, wie sie spätestens seit 1948, als die UNO mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte deren weltweite universale Gültigkeit erklärte, international verbrieft sind.
Diejenigen, die die Menschenrechte als "westliche Werte" titulieren, erweisen ihnen einen Bärendienst: Sie reden repressiven Regierungen das Wort, die die Unterdrückung von Frauen oder bestimmten Bevölkerungsgruppen als kulturelle Tradition verteidigen; sie liefern Wasser auf die Mühlen Chinas, das, obwohl es sich internationalem Recht verpflichtet hat, dieses mit einem alternativen Menschenrechtsbegriff auszuhöhlen versucht; sie verraten Millionen Menschen, die von ihren Regierungen die Achtung und Einhaltung der Menschenrechte einfordern – und denen deshalb vorgeworfen wird, "eine westliche Agenda zu verfolgen".
Aber: Es ist gut, wenn wir Menschenrechte auch als Teil unserer Haltung, unseres Selbstverständnisses verstehen. Wenn wir niemand, der es aus der Hölle von Libyen herausschafft und an Europas Grenzen Zuflucht sucht, nach Libyen zurückbringen lassen. Wenn wir als globale Wirtschaftsmacht Geschäfte nur unter Achtung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten tätigen. Wenn wir von der Bundesregierung einfordern, ihr gesamtes Handeln an der Achtung und am Schutz der Menschenrechte auszurichten. Dann – nur dann können wir glaubhaft behaupten, Menschenrechte seien "unsere Werte".
Markus N. Beeko ist Generalsekretär der deutschen Amnesty-Sektion.