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Kuba: "Die neue Generation wird den Wandel durchsetzen"

Protest gegen Polizeiwillkür: Am 27. November 2020 versammelten sich Hunderte Künstler*innen vor dem Kulturministerium in Havanna.
© Yamil Lage / AFP / Getty Images
Auf Kuba steht vieles still. Doch nichts wiegt in den Augen des bekannten Regisseurs Fernando Pérez so schwer wie der Mangel an konstruktiver Auseinandersetzung. Dafür engagiert er sich – in und außerhalb der Filmszene.
Von Knut Henkel
Fernando Pérez lehnt derzeit jede Anfrage ab, die mit einer Auslandsreise verbunden ist. Er will lieber vor Ort vorankommen: "Ich arbeite am Drehbuch zu meinem nächsten und wohl auch letzten Film", sagt der 80-jährige Regisseur. "Er wird 'Nocturno' heißen." Nocturno heißt übersetzt "nachts" oder "nächtlich". Die Handlung soll in den 1960er Jahren beginnen, direkt nach der kubanischen Revolution, und bis ins Jahr 2024 reichen. Weitere Details will der hagere Mann mit dem graumelierten Schnäuzer nicht preisgeben, schließlich sei das Drehbuch noch nicht fertig. Sein linkes Handgelenk ziert eine kleine Tätowierung, die die Silhouette Kubas zeigt. Sie steht für die Verbundenheit des derzeit einflussreichsten kubanischen Filmregisseurs mit seiner Heimatinsel.
Tiefe Einblicke in die kubanische Gesellschaft
Fernando Pérez lebt im Zentrum der Hauptstadt Havanna. "Hier bin ich verwurzelt und nur hier bin ich richtig kreativ. Deshalb entstehen und spielen auch die meisten meiner Filme hier", sagt Pérez lachend. In seinem letzten Film, "Die Welt von Nelsito" aus dem Jahr 2022, dreht sich fast alles um ein Haus im heruntergekommenen Zentrum Havannas und dessen Bewohner*innen. Der Film liefert tiefe Einblick in eine kubanische Gesellschaft, die sich immer weiter ausdifferenziert und in der die sozialen Unterschiede immens sind. Hier wohnt eine erfolgreiche Künstlerin, die ihre Bilder ins Ausland verkauft, neben einer Künstlerin, die ihren behinderten Sohn Nelsito pflegt und von den großen Galerien meist übersehen wird. Ebenso schwierig ist die Situation für einfache Kubaner*innen wie Loreta, die in einem staatlichen Betrieb arbeitet und zwei anstrengende Jungs sowie ihre demente Mutter versorgen muss.
Der Film lädt in fünf Episoden zu einer Rundreise durch Havanna ein, einer Rundreise mit Tücken, geprägt von den Widersprüchen, mit denen es auch Fernando Pérez täglich zu tun hat. Wie alle anderen steht er in der Schlange beim Bäcker, vor der Bodega oder dem Supermarkt. Wie alle anderen leidet er unter den Stromausfällen, die bedeuten, dass kein Fahrstuhl in sein Apartment im 15. Stockwerk fährt. Fernando Pérez ist Teil des ganz normalen Lebens, seine großen Kinoerfolge wie das "Das Leben, ein Pfeifen" oder der Kultfilm "Clandestinos" sind ihm nicht zu Kopf gestiegen. Er bewegt sich vor allem in den einfachen,
oft von Armut geprägten Stadtteilen Havannas und ist ein aufmerksamer Beobachter gesellschaftlicher Veränderungen.
Klima der Zensur
Davon zeugen nicht nur die Filme des produktiven Cineasten, sondern auch sein Eintreten für Meinungsfreiheit und Dialog. Im Juli 2024 stand sein Name unter einem Offenen Brief von rund 200 Künstler*innen und Intellektuellen, die die staatliche Repression gegen die Historikerin und Philosophin Alina Bárbara López und ihre Freundin Jenny Pantoja verurteilten. Die beiden Frauen aus der Hafenstadt Matanzas arbeiten für das Onlineportal La Joven Cuba (Das Junge Kuba), das dafür bekannt ist, die Regierung von links zu kritisieren. In Kuba ist das eher ungewöhnlich. Alina López, die Koordinatorin des Medienprojekts, hat die Arbeit der Redaktion und deren Kritik an einer einseitigen Investitionspolitik und einer unzureichenden Sozialpolitik der Regierung immer wieder verteidigt. "Für mich zählt Alina zu den wichtigsten Denkerinnen der kubanischen Gegenwart", sagt Pérez. Die 57-jährige sei ein Vorbild: "Sie tritt ein für das, was sie denkt. Das ist konsequent, und daher wird sie immer meine Unterstützung haben", betont der Regisseur.
Rapper und Maler in Haft
Fernando Pérez gilt auf Kuba ebenfalls als konsequenter und unabhängiger Kritiker der Verhältnisse. So war er beteiligt, als es am 27. November 2020 zu einem seltenen Protest vor dem Kulturministerium kam. Hunderte Künstler*innen und Intellektuelle versammelten sich damals, um gegen Polizeiwillkür und Repression zu protestieren. Wenige Tage zuvor war die Polizei gegen das Movimiento San Isidro (MSI) vorgegangen, eine Organisation, die für die Unabhängigkeit der Kunst eintritt, und hatte mehrere Aktivist*innen festgenommen. Zwei von ihnen, der MSI-Koordinator und Maler Luis Manuel Otero Alcántara sowie der Rapper Maykel "Osorbo" Castillo sind nach wie vor in Haft, Amnesty International setzt sich für ihre Freilassung ein.
"Der 27. November 2020 war ein Meilenstein", sagt Pérez. "Doch hat der Protest nicht, wie erhofft, zu einem kritischen Dialog mit der Politik geführt, weil sie den Dialog verweigert hat."

Der Regisseur Fernando Pérez hofft auf Kubas Jugend.
© Knut Henkel
Stattdessen setzte die Regierung auch in der Folge auf Repression. Sie schlug die inselweiten Proteste am 11. Juli 2021 nieder, unterband den "Marsch für den Wandel" am 15. November 2021 mit massiver Polizeipräsenz und geht immer wieder mit Zensur gegen kritische Kunstinitiativen vor. Ein Beispiel dafür war die Absetzung des Dokumentarfilms "La Habana de Fito" des kubanischen Regisseurs Juan Pin Vilar im Juli 2023. Der Dokumentarfilm über den argentinischen Musiker Fito Paéz durfte nicht gezeigt werden. "Das ist ein klarer Akt der Zensur, und dagegen wehren wir uns. Kultur und Gesellschaft brauchen den kritischen Dialog und das Recht auf Meinungsfreiheit wie die Luft zum Atmen", mahnt Pérez. Dafür engagiert er sich auch innerhalb der Kinoszene: Er ist eine treibende Kraft bei der "Versammlung kubanischer Cineasten" und arbeitet an deren Zeitung Alterna mit. Seine Bekanntheit schützt ihn vor staatlicher Verfolgung. Nicht nur bei jüngeren kubanischen Regisseur*innen, sondern auch international genießt er enormen Respekt. Zu den exilkubanischen Kreisen in Miami wahrt er Abstand, dafür tritt er im Land unbeirrt für einen kritischen Dialog in Kunst und Gesellschaft ein.
Das ist nicht einfach angesichts einer zunehmenden Polarisierung, dem ökonomisch verheerenden US-Embargo und der omnipräsenten Rezession. Dass der oft gut qualifizierte Nachwuchs die Insel in Scharen verlässt, schmerzt Fernando Pérez. "Etwa ein Dutzend der jungen Menschen, mit denen ich 2022 'Die Welt von Nelsito' gedreht habe, sind inzwischen emigriert. Zwischen dem November 2021 und Januar 2024 haben 600.000 Menschen Kuba allein in Richtung USA verlassen. Das ist ein Aderlass, den keine Gesellschaft aushält", erklärt Pérez mit leiser Stimme. Er hofft auf die Jugend. Sie müsse die nötigen Reformen und den Wandel durchsetzen.
Sein eigenes Leben dreht sich derzeit fast ausschließlich um "Nocturno". Der Film über die jüngere Geschichte Kubas aus der Perspektive der einfachen Leute könnte zum Vermächtnis von Fernando Pérez werden.
Knut Henkel arbeitet als freier Korrespondent in Lateinamerika. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.