Amnesty Journal Deutschland 05. Juli 2024

Konsequenzen wären besser

Kinder schwenken Fahnen in einem Fußballstadion auf denen steht "Klare Kante gegen Rassismus".

"Mein Freund ist Ausländer" hieß es 1992. Zur Europameisterschaft lautet jetzt das ­Kampagnenmotto "Fußballzeit ist die beste Zeit gegen Rassismus". Seit Jahrzehnten setzen die Verbände DFB und UEFA auf Slogans, Werbespots und Banner, um Diskriminierung zu bekämpfen. Nachhaltigere Ansätze bleiben unterfinanziert.

Von David Fischer

Pablo Thiam, Schwarzer* Ex-Profi und 1994 bis 2008 unter anderem bei Bayern München und dem VfL Wolfsburg unter Vertrag, hat Rassismus in allen Formen erlebt. Affenlaute, Bananenschalen, das N-Wort, die sogenannten Baseballschlägerjahre. Heute ist Thiam Manager im Nachwuchsbereich. Er spricht offen und oft über Rassismus – so auch im Mai, also vor der Europameisterschaft der Männer, in der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin-Tiergarten: "Die Kampagnen laufen ja schon lange. Was ich mir wünsche, sind Konsequenzen. Irgendwann ist ein Punkt erreicht, wo man reagieren muss." Die Maßnahmen der Verbände sind ihm nicht genug.

Welches Ausmaß hat Rassismus im Fußball? Wer dazu recherchiert, hört oft denselben Satz: Es fehlen Daten. Wissenschaft und Verbände sammeln diese bereits. Sie erfassen direkte Beleidigungen und Gewalt. So meldeten Schiedsrich­ter*in­nen 2023 in ihren Spielberichts­bogen dem DFB 2.679 Diskriminierungsvorfälle in den Amateurligen – der Wert stieg zuletzt.

Unterrepräsentiert als Torhüter, im Mittelfeld, im Management

Doch gibt es auch subtilere Diskriminierung. Studien der Humboldt-Universität Berlin zeigen, dass Schwarze Spieler in der ersten und zweiten Bundesliga der Männer vor allem auf Positionen spielen, die mit Körperlichkeit und Aggressivität assoziiert werden, etwa auf den Außenbahnen. Unterrepräsentiert sind sie als Torhüter oder in der Schaltzentrale im Mittelfeld – Rollen, denen Führungsqualität, Überblick und Spielintelligenz zugeschrieben werden. In Trainingsstäben, im Management und in den Vorständen fehlen nicht-weiße* Menschen fast gänzlich.

Auch David Johannes Berchem erfasst Daten zur Diskriminierung im Fußball. Der Sozialwissenschaftler leitet mit einer Kollegin in Bochum die Meldestelle für Diskriminierung im Fußball in Nordrhein-Westfalen (MeDiF-NRW). Seit Projektbeginn im Jahr 2022 haben Betroffene und Zeug*innen über eine Onlineplattform 1.800 Vorfälle gemeldet. Die Meldestelle erfasst, kategorisiert und analysiert diese nach wissenschaftlichen Standards. Am häufigsten sind Vorfälle, die Sexismus, Rassismus, Queerfeindlichkeit und Antisemitismus beinhalten.

"Es gibt große Rivalitäten zwischen den Fangruppen. Da wünscht man die anderen auch mal ins KZ. Es gibt Sticker, die die Symbolfigur der Schalker Ultras vor das Tor des Stammlagers Auschwitz montieren und ihr dann das Vergasen wünschen", sagt Berchem. "Wir schauen da in Abgründe."

Die Vorfälle kommen aus allen Teilen des Fußballs, von den Plätzen der Amateure, den Rängen bei Profi-Spielen und aus Online-Netzwerken. Während die ­Profiklubs oft Posten für Antidiskriminierung geschaffen haben, sieht Berchem im Amateurbereich großen Handlungsbedarf. Ihm fehlt eine wirksame Zusammenarbeit mit dem DFB und den Landesverbänden, die meist eigene Zahlen erheben, eigene Schlüsse ziehen und eigene Maßnahmen ergreifen.

Es gibt Sticker, die die Symbolfigur der Schalker Ultras vor das Tor des Stammlagers Auschwitz montieren und ihr dann das Vergasen wünschen. Wir schauen da in Abgründe.

David Johannes
Berchem
Meldestelle für Diskriminierung im Fußball in Nordrhein-Westfalen

"Es gibt viele unterschiedliche Projekte, aber keine konzertierte Aktion", sagt Berchem. Vom DFB wünscht er sich eine nachhaltige Unterstützung, statt oberflächlicher Maßnahmen. "Sie haben Hochglanzkampagnen und Aktionen, bei denen Antidiskriminierung und Diversity gefeiert werden. Aber es braucht einen langen Atem." MeDiF-NRW erhält zum Beispiel keine finanzielle Unterstützung vom DFB oder den drei Verbänden in NRW, sondern ist auf Gelder des Landes angewiesen. Die Mittel reichen derzeit nur für eine Vollzeitstelle, die sich Berchem mit zwei Kolleg*innen teilt. Ob das Projekt über den Sommer 2024 hinaus verlängert wird, ist unklar. Fest steht, mehr Personal gibt es vorerst nicht.

Milliarden-Umsatz bei der EM

Dabei ist im Fußball mehr als genug Geld vorhanden. Der europäische Fußballverband UEFA rechnet mit 2,4 Milliarden Euro Umsatz bei der EM. Der Verband mit Sitz im schweizerischen Nyon zahlt in Deutschland aber kaum Steuern, weil er sich auf die Gemeinnützigkeit berufen kann. Die bunten Antirassismuskampagnen sind dabei ein brauchbares Argument. Einen Teil der Turniereinnahmen verteilt die UEFA tatsächlich über ihr "Hattrick-Programm" an europäische Verbände. Für den Zeitraum 2024 bis 2028 sollen nationale Verbände bis zu 100.000 Euro für soziale und ökologische Nachhaltigkeit beantragen können. Ob ein Antirassismusprojekt gefördert oder abgelehnt wird, entscheidet die UEFA.

Wie genau Vereine gegen rassistische Diskriminierung vorgehen, ist weitgehend ihnen überlassen. Studien zeigen eine Diskrepanz zwischen der Selbstwahrnehmung und der Umsetzung von Maßnahmen. Die Clubs machen weniger als sie denken. Eine Umfrage der Humboldt-Universität unter Vorständen von Berliner Sportvereinen ergab, dass es für fast zwei Drittel zum Selbstverständnis gehört, sich für diskriminierte Gruppen zu engagieren. Allerdings haben nur zwei Prozent der Vereine eine Ansprechperson für Vielfalt und Gleichstellung. Fast 60 Prozent der Vereinsvorstände halten es für unnötig, ihre Mitglieder darüber zu informieren, dass Diskriminierung sanktioniert wird oder das Thema in Vereinsgremien zu diskutieren. Nur jeder fünfte Verein trifft Maßnahmen, um unterrepräsentierte Gruppen in Funktionsämter wie Trainer*in oder Vorstand zu heben.

Seit 1900 nur weiße Männer als Präsidenten

Um Antidiskriminierungsmaßnahmen flächendeckend zu gewährleisten, müssten Verbände ihr Regelwerk anpassen, die Lizensierungsordnungen. Hier gilt die Faustregel: Je höher die Spielklasse, desto strenger das Reglement. Bundesligisten und Zweitligisten brauchen Verantwortliche für Fans mit Behinderungen und müssen Frauen- und Mädchenfußball fördern. Diskriminierung taucht jedoch erst im Anhang auf. Vereine sollen nachweisen, dass sie Angestellte sensibilisieren und sich zu einer "Null-Toleranz-Haltung" bekennen. Ob es eine Beschwerdestelle für Verstöße gibt, wird abgefragt, aber nicht sanktioniert. Die US-Football­liga NFL ist da weiter. Dort müssen Clubs bei jeder Neubesetzung in der Geschäftsführung oder im führenden Trainingsstab persönliche Bewerbungs­gespräche mit Kandidat*innen aus ethnischen Minderheiten führen. Die Regel und ihre Wirkung sind umstritten, sie gilt mit Anpassungen aber seit mehr als 20 Jahren.

In Deutschland sind solche Instrumente oft verpönt. "Ich bin kein großer Freund von Quoten", sagt auch Ex-Profi Pablo Thiam, der als Manager trotzdem Vorbild sein möchte für Nachwuchsspieler, von denen nur wenige Profis werden. Erfolgsgeschichten nicht-weißer Funktionär*innen sind selten im deutschen Spitzenfußball. Auch der DFB, der sich nach außen um Diversität bemüht, hat seit 1900 nur weiße Männer als Präsidenten. Pünktlich zur EM hat der Verband die Kampagne "Fußballzeit ist die beste Zeit gegen Rassismus" gestartet. Vereine können sich Eckfahnen mit Antirassismusmotiven ­bestellen. In Nordostdeutschland sollen Projekte in ausgewählten Clubs gefördert werden. Thiam sieht diesen Aufmerksamkeitsschub nicht zum ersten Mal: "Es wird wellenartig diskutiert. Ich bin gespannt, was übrigbleibt."

David Fischer ist Pressereferent bei Amnesty Deutschland.

*Das Amnesty Journal bemüht sich um eine diskriminierungssensible Sprache, daher verwenden wir die Begriffe "weiße" Menschen, um ihre privilegierte Gesellschaftsposition zu kennzeichnen, und die Selbstbezeichnungen "Schwarze" Menschen sowie "People of Color".

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