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Rapperin Ebow: Stay woke
Ebow gilt als eine der besten Rapperinnen in Deutschland. Ihre Songs thematisieren den kontinuierlichen Versuch, politisch aufmerksam zu bleiben.
Von Till Schmidt
Langsam schwenkt die Kamera von links nach rechts und zeigt die Gesichter von immer mehr Menschen. Ihr fast regungsloser Ausdruck steht in Kontrast zu einem sich langsam aufbauenden Beat. Die Menschen sind jung, unter ihnen viele Frauen. Alle sind Schwarz oder People of Color. Eine Person in der Menge, die zu ihrer sportlichen Kleidung auffällige Lederhandschuhe und Handschellen am Gürtel und später einen Ledermantel mit Netzoberteil trägt, fängt an zu rappen: Kanak for Life / Sie kennen den Style / Kennen die Lines / Kennen das Life. / Kanak for Life / Jedes Klischee bestätigt / In jeder Bild-Zeitung verewigt. Kanak for Life / Von der Farbe meiner Haare / Bis zur Farbe meiner Nikes.
Immer mehr Menschen treten in das Video. Inzwischen trägt die Rapperin einen festlichen 1960er-Jahre-Cordanzug. Als ein altes Familienfoto mit zwei Frauen und vier Kindern gezeigt wird, kündigt die Rapperin an: Willkommen in meiner Kanak World / An meine Kanak Boys / Kanak Girls. Schnitt: In der nächsten Szene wird sie von einem Polizisten brutal auf den Boden gedrückt. Die Kamera filmt nah an ihr Gesicht – und Ebow rappt wütend weiter: über Thilo Sarrazin, über Boulevardmedien, über den Vorwurf, Menschen mit Migrationsgeschichte lebten parasitär von der Leistung anderer.
Ebow – das ist Ebru Düzgün, wie die in München aufgewachsene Rapperin abseits der Bühne heißt. "K4L" gehört zu ihren bekanntesten Songs. Als sie das Lied 2019 veröffentlichte, hatte Düzgün gerade ihr Architektur-Masterstudium in Wien abgeschlossen. Inzwischen lebt die 35-Jährige in Berlin und widmet sich vollständig der Musik. Im Herbst 2024 erschien ihr fünftes Studioalbum "FC Chaya". Unter Musikkritiker*innen gilt Ebow als eine der besten Rapperinnen in Deutschland. Auch auf ihren Konzerten wird deutlich: Ebows Musik bewegt enorm viele Menschen.
Zielscheibe für Reaktionäre
Im Song "Prada Bag" erzählt sie davon, wie Armut und Rassismus zusammenwirken. Das gerade im Rap so verbreitete Spiel mit Statussymbolen beschreibt sie als einen der wenigen möglichen Wege, sich um die Anerkennung der Mehrheitsgesellschaft zu bemühen. Nicht, dass Ebow einer naiven Konsumverherrlichung das Wort reden würde – dazu ist sie viel zu kapitalismuskritisch. Auch in "Prada Bag" geht es darum, Komplexität und Widersprüche pointiert aufzuzeigen und gesellschaftliche Debatten zu kommentieren. Neben dem Mittelfinger gehört häufig auch ein Augenzwinkern mit dazu.
In ihrer Musik setzt sich Ebow damit auseinander, wie sehr das Politische in allen Lebensbereichen steckt. Als queere kurdische Alevitin ist sie nicht nur mit Sexismus, Homophobie und dem Rassismus der deutschen Mehrheitsgesellschaft konfrontiert, sondern auch mit reaktionären Tendenzen unter Deutsch-Türken: "In unserer Familie sind wir selbstverständlich mit dem Bewusstsein aufgewachsen, nicht nur Zielscheibe von deutschen Rassisten, sondern auch von türkischen Faschisten zu sein."
Ebows biografischer Kontext ist wichtig, um einige Nuancen und Verweise in ihren Songs besser zu verstehen. So auch bei "K4L". Das Lied lebt von einem wütenden "Wir", das sich gegen ein "die" stellt. Doch wer ist eigentlich "wir"? Man kann diesen Song lesen als Hommage an Ebows eigenen Freundeskreis. Vor allem aber thematisiert "K4L" die Wucht rassistischer Zuschreibungen und die Langlebigkeit ausschließender gesellschaftlicher Strukturen: In mir drinnen stecken tausende Leben / Hab Flure geputzt / Häuser gebaut / Wurde ausgenutzt / Wurde ausgesaugt / Ihr habt nie an mich geglaubt / Ich war immer, was ihr braucht. (…) Kanak for Life / Migrantenkind / In mir steckt der Zorn / Meiner Oma, meiner Mama, meiner Tanten drin.
Angestaute Wut vieler Generationen
"'K4L' ist der erste Track, bei dem ich zugelassen habe, mal so richtig wütend zu sein", erzählt Ebow. Es ist auch eine über Generationen hinweg angestaute Wut. In "Excalibur" von ihrem Album "Canê" (2022) greift Ebow das Thema ebenfalls auf. Der Song kreist um ihren eigenen, widersprüchlichen Blick auf die politischen Kämpfe von Kurd*innen im Nahen Osten: Ihre Haltung schwankt dabei zwischen einer romantisierenden Identifikation und dem individuellen Gefühl von Machtlosigkeit.
Insgesamt nimmt auf dem Album "Canê" die Auseinandersetzung mit der Herkunft ihrer Vorfahren eine größere Rolle ein. Klebrig identitär oder gar folkloristisch wird es in Ebows Songs aber nicht. Ihre Meinung äußert die Rapperin genretypisch selbstbewusst und zugespitzt. Zudem macht sie sich in einigen Songs auch ironisch über Subkulturen lustig, die um sich selbst kreisen, oder über Revolutionsromantik. Gleichzeitig gehören zu ihrem Repertoire auch viele leichte, verspielte Songs, die das Partymachen im Club, den Spaß am Sex und das Verliebtsein feiern. Aber auch das ist, wenn Ebow darüber rappt, dezidiert politisch.
Ihr neues Album ist dennoch anders. So persönlich und verletzlich wie auf "FC Chaya" hat sich Ebow bislang noch nicht gezeigt. Beispielhaft dafür steht ihr Song "Ebrus Story". Darin erzählt sie von ihrem jahrelang aufgeschobenen lesbischen Coming-Out. "Den Song zu schreiben und zu veröffentlichen hat sich extrem befreiend angefühlt", sagt sie. Das im Song geschilderte Gespräch mit ihrer Tante vor wenigen Jahren hat zwar tatsächlich stattgefunden, "für den Rest meiner Familie war jedoch mein Song das offizielle Outing", sagt Ebow. Und sie betont stolz die knappe, aber liebevoll-wertschätzende Reaktion ihrer Mutter: Man lerne sich ein Leben lang neu kennen.
Politische Resignation?
Andere Songs auf "FC Chaya" knüpfen stärker an frühere Stücke wie das sinnliche "Bodies" oder das neckische "Ebow 400" an. So etwa die enthusiastische Hymne "Lesbisch", in deren Chorus Ebow singt: Girl, ich check’s nicht / Du weißt doch, ich bin lesbisch / Doch du schreibst und du likest und dein Boyfriend ist hässlich / Yeah, dein Boyfriend ist hässlich / Sag Bescheid, wenn du wegwillst / Sag Bescheid, wenn er dein Ex ist / Denn alle Pretty Babes sind lesbisch. Gerade wenn Ebow solche Songs live spielt, besticht ihre Musik.
Kann Ebow ihr schnelles Tempo halten, wie sie es 2022 in ihrem Song "Shelly-Ann Fraser-Pryce" mit Verweis auf die gleichnamige Leichtathletin beschwor? Oder neigt sie – wie so viele politisch kritische Menschen im Moment – zu Resignation? "Es ist beides", antwortet Ebow auf die Frage nach ihrer neuen Single "Müde". "Der Song war auch ein Weg, ehrlich zu sein: Auf sich im Kreis drehende Debatten oder politischen Opportunismus blicke ich heute ernüchterter", so Ebow. Zudem habe sie realisiert, dass es "nur zum Preis eines Burnouts" möglich sei, "immer und überall full power zu geben". "Müde" erzählt aber auch vom kontinuierlichen Versuch, bei sich, wach und politisch aufmerksam zu bleiben – trotz allem. Das ist auch über diesen Song hinaus ein zentrales Motiv in Ebows großartiger Musik.
Till Schmidt ist freier Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

