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Viele russische Geflüchtete haben in Deutschland Probleme mit ihrer Aufenthaltserlaubnis. Wo sich Bund und Länder schwer tun, hilft die engagierte Zivilgesellschaft. Aber das reicht nicht.
Ein Appell von Peter Franck
Wieder einmal haben sich die Worte des russischen Menschenrechtlers und Friedensnobelpreisträgers Andrej Sacharow bestätigt: "Ein Land, das nicht die Rechte seiner eigenen Menschen respektiert, wird die Rechte seiner Nachbarn nicht respektieren", hatte er einst formuliert. Der sich verschärfende Krieg der russischen Regierung gegen die eigene Zivilgesellschaft, den russische Menschenrechtler*innen spätestens seit Beginn der dritten Amtszeit Präsident Putins 2012 beobachten, wird von militärischer Aggression nach außen begleitet.
Bereits vor Beginn des Überfalls auf die Ukraine war mit Memorial eine der renommiertesten zivilgesellschaftlichen Organisationen Russlands aufgelöst worden, die 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Im Zuge des staatlichen Vorgehens gegen "ausländische Agenten" und "unerwünschte ausländische Organisationen" und damit einhergehender strafrechtlicher Verfolgungen hatten sich bereits damals viele Aktivist*innen entschlossen, ihr Land zu verlassen.
Rechtlicher Rahmen gefordert
Mit dem Überfall auf die Ukraine spitzte sich die Verfolgungssituation weiter zu und löste noch mehr Emigration aus. Rasch waren weitere Gesetze erlassen worden, die etwa wegen "Diskreditierung der Armee" oder "Verbreitung von Falschnachrichten" inzwischen zu langjährigen Haftstrafen geführt haben. Immer mehr Menschen, die bislang noch ausgeharrt hatten, wollten angesichts der zunehmend eingeschränkten Reisemöglichkeiten nun ebenfalls ihr Land verlassen. Wer über ein Schengen-Visum mit der Berechtigung für einen 90-tägigen Aufenthalt verfügte, kam direkt in die EU. Andere reisten zunächst nach Kasachstan, Kirgisistan, Armenien oder Georgien, um sich dort um die erforderlichen Einreisedokumente zu bemühen.
Manche machten sich mit Schengen-Visa auch auf den Weg nach Deutschland, weil es Signale der Solidarität gab. So sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann im April 2022: "Wer Putins Weg hasst und die liberale Demokratie liebt, ist uns in Deutschland herzlich willkommen." Man werde den Flüchtlingen aus Russland langwierige Asylverfahren ersparen und wolle, dass sie möglichst schnell eine Arbeitserlaubnis erhielten. Solche Worte zeigten Wirkung, und Russ*innen verstanden sie als Signal.
Bereits im April 2022 wandten sich Gedenkstätten, Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen in einem gemeinsamen Schreiben an die Bundesregierung und baten darum, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, damit aus Russland Angekommene einen humanitären Aufenthaltsstatus erhalten. Denn nur der versetzt sie in die Lage, hier einigermaßen gesichert zu leben und erwerbstätig zu sein. In ihrer Antwort ein rundes Vierteljahr später verwies die Bundesregierung darauf, dass sich das Bundesinnenministerium und das Auswärtige Amt bereits Ende Mai 2022 verständigt hätten, die Einreise mit humanitären Visa zu erleichtern, die zu humanitären Aufenthaltstiteln führen könnten. Wer bereits vorher ohne ein solches Visum eingereist sei, könne einen Asylantrag stellen.
International handlungsfähig bleiben
Die Gedenkstätten, NGOs und Stiftungen hatten in ihrem Schreiben jedoch bereits dargelegt, dass das Asylverfahren für viele Betroffene keine sachgerechte Lösung ist. Die Abgabe der Pässe im Asylverfahren führt dazu, dass sie ihre Arbeit in Deutschland nicht fortsetzen können, weil sie damit von unmittelbaren Kontakten auf internationaler Ebene ausgeschlossen sind. Und das just in einer Zeit, in der es darauf ankommt, in 30 Jahren aufgebaute Strukturen aufrechtzuerhalten – nicht zuletzt für die Zeit "nach Putin".
Das betont auch Sergej Lukaschewski, der Leiter des Sacharow-Zentrums in Moskau: "Nach dem Beginn des Krieges war die russische Zivilgesellschaft auf viele Länder verteilt. Das Team des Sacharow-Zentrums und unsere Partner befanden sich in Georgien, Armenien, Frankreich, Israel, Montenegro, Kirgisistan und anderen Ländern. Finanzielle Unterstützer befinden sich nicht nur in der EU, sondern auch in den USA und Großbritannien. Wichtige Veranstaltungen, Treffen und Konferenzen finden in zahlreichen Städten innerhalb und außerhalb der EU statt. Deshalb ist es sehr wichtig, frei reisen zu können, um die Arbeit und die Partnerschaften fortzusetzen."
Mehr als ein Jahr nach Beginn des Angriffskrieges sehen sich Bund und Länder immer noch nicht in der Lage, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass jene, die Russland vor Juni 2022 verlassen haben, aufenthaltsrechtlich genauso behandelt werden wie jene, die ab Juni mit humanitären Visa einreisen konnten. Dies könnte über Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern nach Paragraf 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes erreicht werden. So sehr die pragmatische Haltung Deutschlands bezüglich humanitärer Visa geschätzt wird, so enttäuscht sind die Betroffenen über die unnachgiebige Haltung in diesem Punkt, die den politischen Bekundungen nach Beginn des Angriffskrieges widerspricht.
Zivilgesellschaftliche Unterstützung
Zivilgesellschaftliches Engagement konnte die Situation ein wenig verbessern. Denn die entsprechenden Organisationen haben erkannt, wie wichtig es ist, die jahrzehntelange Zusammenarbeit fortzusetzen – gerade unter den neuen Bedingungen, die russische Menschenrechtsverteidiger*innen existenziell gefährden. Es ist vor allem Gedenkstätten, Journalist*innen-Organisationen und den sie finanzierenden Institutionen zu verdanken, dass der "Tourist*innenstatus" in vielen Fällen in einen Aufenthaltsstatus geändert werden konnte, der auf Stipendien beruht. So erweiterte die Bundesstiftung Aufarbeitung ihr Stipendienprogramm "Memory Work" und sicherte damit die Förderung von 35 Memorial-Mitarbeiter*innen als Stipendiat*innen in Deutschland. Auch die Behörde der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien legte Förderprogramme auf.
Doch laufen viele dieser Stipendien bald aus, und es ist nicht absehbar, ob neue Mittel zur Verfügung stehen. Einigen sich Bund und Länder nicht auf eine Aufnahmevereinbarung, bleibt den Betroffenen nur noch der Weg ins Asylverfahren. Menschen, die praktisch alles hinter sich gelassen haben und im Exil seit mehr als einem Jahr völlig neuen Lebensbedingungen ausgesetzt sind, würden damit in ein Verfahren gedrängt, das ihre Arbeit zusätzlich erschwert.
Dabei braucht das, was von den Ansätzen einer Zivilgesellschaft in Russland noch übrig ist, alle Kraft und Unterstützung, um eine Aufgabe zu bewältigen, die der russische Soziologe Greg Yudin so beschreibt: "Es wäre gut, wenn alle, die jetzt außerhalb Russlands sind, darüber nachdenken würden, wie sie denen helfen können, die in Russland sind. Und wenn jeder in Russland darüber nachdenken würde, wie er denen helfen kann, die weit weg leiden. Wir werden es überstehen, aber wir können es nur gemeinsam überstehen." Die deutsche Politik und Gesellschaft sollte dazu beitragen, was irgend möglich ist.