Amnesty Journal Deutschland 12. Januar 2024

Politische Tage

Frauenunterhosen und Menstruationsaccessoires werden im Rahmen einer Ausstellung gezeigt, hängen an einer Wand in Schaukästen oder auf Bügeln.

Exponate: Aus Selbsthilfe und Unternehmergeist entwickelten Frauen diverse Wäscheprodukte.

Eine Ausstellung zur Menstruation in Berlin zeigt die Geschichte der Monatsblutung als eine des Kampfs um Würde und Selbstbestimmung.

Von Lena Reich

Das Plakat erinnert an den Vorspann eines Horrorfilms. Die weißen Buchstaben verlaufen auf rotem Untergrund und scheinen eher Warnung als Botschaft zu sein: "LÄUFT". Mit seiner Ausstellung zur Menstruation greift das Museum Europäischer Kulturen (MEK) in Berlin ein Thema auf, das so alt ist wie die Menschheit. Anhand von rund 200 Artefakten und Aussagen geht es um Selbsthilfe und den Erfindungsreichtum der Frauen, die monatlich bluten oder auf ihre Tage warten.

Hinter einem Vorhang aus langen roten Fäden öffnet sich der Ausstellungsraum mit mehreren kleinen Waben, die sich verschiedenen Aspekten der Periode widmen: die "Geschichte der Unterwäsche und Menstruationsprodukte", "Aufklärung und Wissen", "Diskurse rund um die Menstruation" und "Popkultur und Kunst". An den meterhohen Wänden hängen Plakate: Da ist ein riesiger roter Fleck in unterschiedlichen Nuancen, an dem Beschriftungen über die Zusammensetzung des Menstruationsblutes aufklären: Blut, Gebärmutterschleimhaut, Vaginalsekrete. Zwischen 30 und 120 Milliliter verlieren Menstruierende während ihrer Tage. Das Schaubild macht deutlich: Blut ist nicht gleich Blut, die Periode unterscheidet sich in Farbgebung und Konsistenz von Mensch zu Mensch, von Zyklus zu Zyklus. Von karminrot bis braunviolett, von flüssig zu klumpig. Eine andere Grafik zeigt den Weg des Eis, das vom Eierstock über den Eilleiter in die Gebärmutter wandert, dort abgestoßen wird und dann als Periodenblut über den Muttermund in die Vagina zur Öffnung gelangt.

Noch immer ein Tabu

Die Schaubilder sind eindeutig, und die Lehrpläne an deutschen Schulen sehen eine Vermittlung dieses Wissens ­bereits in den Grundschulen vor. Doch wissen erstaunlicherweise immer noch viel zu wenig Frauen wie Männer darüber Bescheid, und die Regel ist immer noch ein Tabu, obwohl eine Frau bis zu 38 Jahre in ihrem Leben menstruiert.

Ein Zeitstrahl an der Wand zeigt, dass die Geschichte der Menstruationsprodukte erst vor 140 Jahren begann. Zwar wurden seit jeher Stofflappen und andere Materialien zum Auffangen verwendet, doch erst um die Wende zum 20. Jahrhundert kommen Binden, Höschen oder Menstruationstassen auf, die die Last des Blutens erleichtern wollen. Die meisten Produkte wurden von Frauen wie Jennie Bornstein aus Ohio entworfen und zunächst in Fachzeitschriften vorgestellt. Ihre technische Zeichnung einer Menstruationshose von 1895 zeigt zwei Beinröhren, die in der Taille gebunden werden und im Schritt offen sind. Frau kann hier frei bluten oder eine Binde aus Moos oder Baumwolle anknöpfen. Dutzende dieser Modelle hängen bis hoch unter die Decke. In einer offenen Umkleidekabine sind die Ausstellungsgäste eingeladen, die historische Wäsche anzuprobieren und in einem Fotostudio ein Bild davon zu machen. Es ist fast unmöglich, die Wickelhose, deren Latz durch den Schritt nach vorne gezogen wird, allein anzuziehen. Andere Frauen, die aus Selbsthilfe unternehmerisch tätig wurden, waren Leona Chalmers, die 1937 das Patent für die erste Menstruationstasse aus Hartgummi anmeldete und die Afroamerikanerin Mary Kenner, die 1954 eine optimierte Version des Bindegürtels erfand, allerdings aufgrund der US-Rassenpolitik nie ein Vertragsangebot bekam. Weil Kenner aus finanziellen Gründen das Patent nicht verlängern ließ, wurde der Gürtel nach Ablauf gemeinfrei und von mehreren Herstellern gleichzeitig auf den Markt gebracht. Wie sehr die Geschichte der Menstruationsprodukte also auch eine politische ist, das umreißt die Ausstellung intensiv und einfühlsam.

Neugier und soziale Ausgrenzung

Während im Mittelalter Frauen, die Aufklärung zum Zyklus leisteten und so auch Schwangerschaften beeinflussen konnten, von der Kirche als Hexen diffamiert und ermordet wurden, ist man heute glücklich über einen Austausch auf Augenhöhe. Frauen posten ihre Erfahrungen in den Online-Netzwerken unter Hashtags wie #periodpositivity und #menstruationmatters. Sie veröffentlichen Perioden-Manifeste, engagieren sich global gegen Unterversorgung und kritisieren strenge religiöse Verhaltensregeln als soziale Ausgrenzung. So ist es etwa Musliminnen verboten, während der Regel zu beten, zu fasten oder Sex zu haben. In einem der Interviews, die an den Mitmachstationen der Ausstellung abrufbar sind, erzählt eine orthodoxe Jüdin, dass sie während der Menstruation ihrem Ehemann nicht einmal eine Tasse reichen darf, weil sie sonst ihre "Unreinheit" auf ihn übertragen könnte. Erst sieben Tage nach dem letzten Tag der Periode darf sie wieder mit ihrem Mann in einem Bett schlafen. Von ihrer großen Neugier auf die Binden im Badezimmer berichtet eine Palästinenserin, die in Deutschland aufgewachsen ist, in einem anderen Interview. Als die Mutter, die die Tochter nie aufklärte, eines dieser "Riesenschiffe" zwischen den Beinen der Tochter erblickte, wurde sie ernst: "Ab heute bist du eine Frau. Alles, was du tust, wird ab jetzt belohnt oder bestraft."

Diesem Tag im Leben eines Mädchens, an dem sich alles ändert, widmet sich die Popkultur und hält so auch dem Westen den Spiegel vor: Von "Carrie" über "My Girl" bis zu "Die Jahrhundertfrauen" – erst in den vergangenen 30 Jahren ist ein Bewusstsein dafür entstanden, dass Bluten nichts Satanisches, Krankhaftes oder Dreckiges ist, sondern ein natürlicher Vorgang.

Noch immer sind nicht alle körperlichen Vorgänge rund um die Menstruation und Periodenarmut hinreichend erforscht, bleibt zu vielen Menschen ein würdevoller Umgang mit ihrer Menstruation unmöglich.

Jana
Wittenzellner
stellvertretende Direktorin des Museums Europäischer Kulturen

"Noch immer sind nicht alle körperlichen Vorgänge rund um die Menstruation und Periodenarmut hinreichend erforscht, bleibt zu vielen Menschen ein würdevoller Umgang mit ihrer Menstruation unmöglich", sagt die Kuratorin und stellvertretende Direktorin des Museums Europäischer Kulturen, Jana Wittenzellner. Sie habe mit Erstaunen feststellen müssen, dass ihre Ausstellung europaweit erst die vierte zu diesem Thema sei. 

"Ich menstruiere aufs Patriarchat"

Und so fragt die Ausstellung provokativ: Was wäre, wenn Männer menstruierten? Inszenierte Videos werfen die Idee einer utopischen Warenwelt auf, die sich auf diese Kunden konzentriert: Tampons aus Stahlwolle und Autos mit integriertem Wärmflaschenhalter oder gar das Angebot, gegen Vorlage des Tampons einen Kinogutschein zu erhalten. Als ironischer Kommentar prangt neben einer Mülltüte voller Hygieneartikel auf einem Pappkarton der pinke Schriftzug: "Ich menstruiere aufs Patriarchat."

Die Geschichte der Menstruation ist eng verbunden mit dem Recht der Frau auf Selbstbestimmung – und stillen Sehnsüchten danach. In einem Video wird eine Transfrau gezeigt, die ihre Regel vortäuscht, um eine "echte" Frau zu sein. Ein Transmann erzählt von der irritierenden Tatsache, weiterhin zu bluten. Nach wie vor scheint es eine klare Normvorstellung davon zu geben, wie viel wer mindestens zu bluten hat. Dutzende Periodenkalender aus verschiedenen Kulturen und Religionen, die an einer Wand hängen, demonstrieren, dass der Zyklus ein komplexes System ist. Wer einen Blick auf die Unmengen von Daten wirft, versteht schnell: Abweichung ist in der Regel die Norm. Bluten kann eine Belastung sein – etwa wenn Frauen von Armut betroffen sind. Hygieneartikel, abschließbare Toiletten und Zugang zu sauberem Wasser sind Privilegien eines Lebens in Sicherheit.

Stress wiederum bedingt, dass die ­Periode ausbleibt, der Körper schneller krank wird. Mit Fotos von Toilettencon­tainern auf Wüstensand wirft die Aus­stellung einen leider viel zu kurzen Blick auf die 32 Millionen Frauen und Mädchen, die weltweit auf der Flucht sind. Als Menstruierende sind sie doppelt verwundbar.

Lena Reich ist freie Journalistin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

Noch bis zum 6. Oktober 2024 im Museum Europäischer Kulturen, Berlin: www.smb.museum

Weitere Artikel