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Neu denken
Die Schwarze Akademie will die Expertise nicht-weißer Menschen sichtbar machen. Dem Netzwerk haben sich seit 2022 bereits zahlreiche internationale Wissenschaftler*innen und Expert*innen angeschlossen.
Von Elisabeth Wellershaus (Text) und Anne Ackermann (Foto)
Bereits kurz nach ihrer Ankunft in Deutschland veränderte sich etwas. In Benin hatte Nicole Amoussou Soziologie studiert und zum Thema Dezentralisierung gearbeitet. Als Tochter einer politisch engagierten Mutter hatte sie sich über ihre Arbeit und Expertise definiert. Doch in Deutschland, wo sie ein weiteres Studium absolvieren wollte, schien sie zunächst vor allem aufzufallen: als Schwarze Frau. "Nach der ersten Euphorie stellte ich fest, dass hier nicht alles so rosig war, wie ich es mir erhofft hatte", erzählt Amoussou. Anders als in Benin, wo sie die ersten 28 Jahre ihres Lebens verbracht hatte, stand sie den Zuschreibungen der Europäer*innen nun ungeschützt und unmittelbar gegenüber.
Im Gespräch merkt man ihr kaum an, wie sehr die Ausgrenzung sie belastet hat. Amoussou beschreibt die 14 Jahre, die sie in Deutschland lebt, vor allem als ereignisreich: ein Master in internationalem Management, eine Spezialisierung auf Datenanalyse, ein kurzer Abstecher in die Automobilindustrie, wachsendes Engagement als Bildungsreferentin. Doch das Gefühl, nach Jahren immer noch nicht ganz in der deutschen Gesellschaft angekommen zu sein, treibt sie bis heute um. Bereits vor Jahren begann sie, sich mit anderen Schwarzen Menschen auszutauschen, die "spät" in diese Gesellschaft gelangt waren. Die sich ihren Weg durch ungewohnte Strukturen bahnen und rassistische Erfahrungen erleiden mussten, die um Aufenthaltstitel kämpften oder sich dafür rechtfertigen mussten, dass sie überhaupt hier waren. Durch den Austausch mit ihnen lernte Amoussou nicht nur, Erfahrungen von Diskriminierung und Ausgrenzung zu teilen. Er bestätigte auch ihre Erkenntnis, dass ihre intellektuellen Ressourcen hier vielfach übersehen wurden.
Dekoloniale Expertise
Zusammen mit Mitstreiter*innen gründete sie den Verein "Meine Welt", der sich schon bald zu einem weitreichenden Netzwerk entwickelte. Zunächst kamen vor allem Migrant*innen aus afrikanischen Ländern zusammen, später stießen auch Interessierte aus Lateinamerika dazu. Im nächsten Schritt ging Amoussou auf Menschen zu, die in Afrika lebten. Es entstand die Initiative "A Place für Africa", und innerhalb weniger Jahre erstreckte sich die Vernetzung bis auf den afrikanischen Kontinent. Damit war der Grundstein für eine internationale Plattform gelegt, die im vergangenen Jahr in die Eröffnung der Schwarzen Akademie in Mannheim mündete.
"Es geht in unserer Arbeit nicht allein um die Auseinandersetzung mit Schwarzsein", erzählt Amoussou, doch sei dies eine zentrale Erfahrung. Die Mitglieder der Schwarzen Akademie versuchen, Schnittstellen zwischen ihren unterschiedlichen Erlebnissen und Expertisen – auf dem Kontinent und in der Diaspora – aufzuzeigen, Verbindungen herzustellen. Im Mittelpunkt steht dabei das Thema gesellschaftliche Teilhabe, um Menschen in Deutschland zu vergegenwärtigen, dass die Akademie etwas anzubieten hat, das hier vielerorts noch fehlt: eine dekoloniale Expertise, die in den etablierten Wissensarchiven der Mehrheitsgesellschaft bislang kaum präsent ist.
Ein weiteres wichtiges Thema ist Bildung. "Fast alle, die an der Schwarzen Akademie beteiligt sind, haben einen akademischen Hintergrund", erzählt Amoussou. "Und uns ist sehr bewusst, dass das unsere Perspektiven durchaus einschränkt." Die Akademie arbeitet deshalb auch mit Akteur*innen zusammen, die andere Bildungserfahrungen haben. So steht Amoussou zum Beispiel in Kontakt mit einem König in Benin, der über tradiertes Wissen über die religiöse Bedeutung von Objekten verfügt, die sich aktuell in deutschen Museen befinden. Unter anderem informierte er dazu Kurator*innen aus Benin. Die Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim unterstützten das Projekt. In solchen Fällen leistet die Schwarze Akademie Übersetzungsarbeit im Wortsinn, da ihre Mitglieder sowohl koloniale als auch traditionelle Sprachen beherrschen.
Intersektionalen Diskurs stärken
Die Aktivitäten der Akademie sind vielfältig, und die Vermittlung findet in ganz unterschiedlicher Form statt. Sie veranstaltet Workshops, die sich mit den Lebensbedingungen von Frauen in allen 54 Ländern des afrikanischen Kontinents beschäftigen, beteiligt sich an den internationalen Wochen gegen Rassismus oder organisiert Veranstaltungen zum sensiblen Umgang mit Bildern und Sprache. Ziel ist dabei stets, neue Erzählweisen und Darstellungsformen afrikanischen und diasporischen Lebens anzubieten.
Teil der Auseinandersetzungen um Identität ist der intersektionale Diskurs. So sei zum Beispiel das Gespräch mit queeren Communities in migrantischen Netzwerken und Herkunftsländern extrem wichtig, sagt Amoussou. "Wir wollen auch zu diesem Thema sensibilisieren, weil der Kolonialismus die Auseinandersetzung mit dem Thema Gender regelrecht zerstört hat." Durch die Übernahme christlicher Tabus seien etwa nicht-heterosexuelle Praktiken unterdrückt worden. Viele afrikanische Gesellschaften hätten heute starke Vorbehalte gegen Queerness, was zu deren Kriminalisierung führe.
Der Schwarzen Akademie geht es auch darum, spezifisches vorkoloniales Wissen zu bündeln und zur Lösung aktueller Probleme heranzuziehen. In Westafrika etwa haben Menschen bereits vor Hunderten von Jahren Strategien entwickelt, um ihre Wälder zu schützen. Unter kolonialer Besatzung wurden diese jedoch abgeholzt – unter anderem, um Straßen zu bauen, die das Hinterland mit Häfen verbanden, von denen aus koloniale Waren nach Europa exportiert wurden.
Das Sichtbarmachen der Auswirkungen kolonialer Vergangenheiten ruft nicht nur positive Reaktionen hervor. Immer wieder sind die Mitglieder der Schwarzen Akademie Anfeindungen in Online-Netzwerken ausgesetzt. Die Verbundenheit der Mitglieder helfe jedoch, sich gegen solche Angriffe zu wappnen, sagt Amoussou.
In Kürze sollen die Namen aller Expert*innen auf der Webseite der Akademie einzusehen sein, auf einer sogenannten Black List. Dieser Name sei bewusst gewählt, erklärt Amoussou, um auf die vielen Negativzuschreibungen hinzuweisen, die noch immer mit dem Begriff Schwarz und den Vorstellungen von Schwarzsein verbunden sind. "Es geht um mehr, als um das Teilen von gegenwärtigen Ausgrenzungserfahrungen. Es geht darum, dass wir Hunderte von Jahren an komplexer und schwerer Erfahrung hinter uns und einiges nachzuholen haben." Es sei an der Zeit, die Vielfalt dieser Erfahrungen zu vermitteln.
Elisabeth Wellershaus ist Autorin, Übersetzerin und freie Journalistin. Sie lebt in Berlin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.
Mehr Infos zur www.black-academy.org.