Amnesty Journal Ägypten 07. November 2022

"Internationaler Druck wirkt"

Ein schwarzhaariger Mann mit hoher Stirn und Schnurbart trägt ein Jacket, darunter ein Hemd mit Kragen.

Hussein Baoumi arbeitet zur Menschenrechtslage in Ägypten und Libyen.

Todesstrafe, Folter, Zensur – Ägyptens Menschenrechtsbilanz sieht düster aus. Der Amnesty-Experte Hussein Baoumi berichtet über die aktuelle Lage im Land.

Interview: Lena Khalifa

Derzeit findet im ägyptischen Sharm el-Sheikh der Weltklimagipfel statt. Wie wirkt sich dies auf die Menschenrechtslage aus?

Ägypten möchte seine Rolle als Gastgeber nutzen, um sich in ein gutes Licht zu rücken. Deswegen findet der Klimagipfel auch in einem Resort mitten in der Wüste statt, wo die meisten Ägypter*innen nicht hinkommen. Die Überwachung dort ist dystopisch, und die ägyptischen Behörden sind stolz darauf, dass sie alles unter Kontrolle haben. Der Staat weiß, dass er jetzt im Rampenlicht steht. Das hat einerseits zur Freilassung politischer Gefangener geführt. Außerdem wurden keine Personen festgenommen, die große internationale Aufmerksamkeit erregen würden. Die Sicherheitskräfte müssen sich zurückhalten, weil die Welt zuschaut. Andererseits wird die Repression gegen die breite Masse der Ägypter*innen immer schlimmer: Die Behörden haben zahlreiche Checkpoints an öffentlichen Plätzen eingerichtet. Sie halten willkürlich Passant*innen an, durchsuchen ihre Handys und nehmen Menschen fest.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Ägypten ganz unten. Hunderte Internetseiten sind gesperrt. Unter welchen Bedingungen arbeiten Journalist*innen?

Es gibt in Ägypten kaum noch freie Medien. Die wenigen Internetmedien, die unabhängig arbeiten, sind im Land gesperrt und somit für die Mehrheit der Menschen nicht zugänglich. Ihre Redaktionen werden regelmäßig schikaniert, so zum Beispiel Mada Masr. Deren Mitarbeiterinnen wurden kürzlich vorgeladen, nachdem sie über Korruption in der Regierungspartei berichtet hatten. Derzeit sind mehr als 20 Journalist*innen wegen ihrer Arbeit inhaftiert. Allerdings legt die Regierung unter Abdel Fattah al-Sisi sehr viel Wert auf ihr internationales Image. Eine komplette Schließung aller unabhängigen Medien wäre zu aufwändig. Deshalb ist internationaler Druck im Fall von Ägypten äußerst wichtig. Man sieht immer wieder, dass sich dadurch Kleinigkeiten verbessern.

Immer wieder teilen Angeklagte den Richter*innen mit, dass sie unter Folter gestanden hätten, doch die erzwungenen Geständnisse werden trotzdem als Beweise genutzt.

In den vergangenen zwei Jahren gehörte das Land zu den aktivsten Vollstreckern der Todesstrafe weltweit. Wie ist die Lage derzeit?

Jedes Jahr werden in Ägypten Hunderte Menschen zum Tode verurteilt, teilweise durch Militärgerichte. In zahlreichen Fällen basieren die Urteile auf unfairen Verfahren, die keinerlei rechtsstaatliche Standards erfüllen. Immer wieder teilen Angeklagte den Richter*innen mit, dass sie unter Folter gestanden hätten, doch die erzwungenen Geständnisse werden trotzdem als Beweise genutzt. Viele Urteile beruhen allein auf solchen Geständnissen. Folter wird systematisch angewendet und ist weitverbreitet.

Unter den politischen Gefangenen sind zahlreiche Anhänger*innen der Muslimbruderschaft, die 2013 gegen die Absetzung des demokratisch gewählten Präsidenten Mohammed Mursi protestiert haben. Was geschah damals?

Sicherheitskräfte lösten die Protestcamps auf und töteten dabei mehr als 900 Menschen. Bis heute wurde dafür kein einziges Mitglied der Sicherheitskräfte vor Gericht gestellt, sondern 700 Protestierende. Alle wurden verurteilt, 75 zum Tode, wobei am Ende nur zwölf Urteile aufrechterhalten wurden. Grundlage für diese Massenurteile war ein Gesetz aus der britischen Kolonialzeit, wonach alle Teilnehmenden einer Demonstration bestraft werden, wenn nur eine Person bei einem Protest eine Straftat begeht.

In den vergangenen Monaten wurden einige langjährige politische Gefangene freigelassen. Macht Ihnen das ein wenig Hoffnung?

In den vergangen zwei Jahren gab es massive internationale Kritik an Ägyptens Menschenrechtslage, unter anderem vom UNO-Menschenrechtsrat und dem Europäischen Parlament. Die USA haben teilweise Militärhilfe zurückgehalten. Die ägyptische Regierung war daher gezwungen, etwas zu ändern. Sie hob den Ausnahmezustand auf – wobei sie viele der damit verbundenen Maßnahmen einfach gesetzlich verankerte. Sie veröffentlichte eine nationale Menschenrechtsstrategie, die aber vor allem die Verantwortung der Regierung auf die Bevölkerung abwälzt. Allerdings enthält sie auch sinnvolle Vorhaben wie die Regulierung der Untersuchungshaft oder ein Gesetz gegen sexualisierte Gewalt. Im April verkündete der Präsident, dass das Komitee für die Begnadigung politischer Gefangener seine Arbeit wieder aufnehmen werde. Und tatsächlich sind etwa 800 Personen freigelassen worden. Das zeigt, dass Druck von außen durchaus etwas bewirken kann. Zehntausende sitzen jedoch nach wie vor im Gefängnis.

Hussein Baoumi arbeitet für Amnesty International seit Jahren zur Menschenrechtslage in Ägypten und Libyen.

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