Amnesty Journal Ägypten 22. September 2017

Im Sumpf

Szene aus "Die Nile Hilton Affäre" von Tarik Saleh.

Verstrickt. Der korrupte Polizist Noredin (Fares Fares) soll einen Mord aufklären.

"Die Nile Hilton Affäre" ist ein Musterkinostück über Polizeikorruption.

Von Jürgen Kiontke

"Vergiss Gerechtigkeit" – ist einer der ersten Sätze in ­Tarik Salehs sehenswertem Thriller "Die Nile ­Hilton Affäre". Und er ist bezeichnend für diese Geschichte, die ­einen wahren Fall zum Aufhänger nimmt: 2008 wurde die Sängerin Suzanne Tamim in Dubai ermordet. Die Spuren führten damals zu einem der einflussreichsten Männer Ägyptens, einem Bauunternehmer mit besten Verbindungen in die Politik.

Der Fall sorgte in den arabischen Ländern für viel Aufsehen. Ging es doch um persönliche Abhängigkeiten, Erpressung und Korruption. Regisseur Saleh hat aus diesem Gebräu einen spannenden Film gemacht und die Handlung ins Kairo der "Arabellion", ins Jahr 2011, verlegt.

An den Hauswänden wird noch für den Aufbau des Landes unter Präsident Mubarak geworben – und noch viel mehr für die neuen Eigentumswohnungen, die Hatem Shafiq errichten ließ. Der Bauunternehmer genießt aufgrund seiner politischen Aktivitäten Immunität, gerät aber bald unter Verdacht, die Sängerin Lalena umgebracht zu haben. Sie wurde blutüberströmt in einem Hotelzimmer aufgefunden und war die zentrale Figur eines Verbrechersyndikats, das Prominente erpresst.

Der ägyptische Polizist Noredin (Fares Fares) soll den Mord aufklären. Damit ist er ein bisschen überfordert: Denn normalerweise beschäftigt er sich damit, Schutzgeld von Straßenhändlern und Kleinkriminellen zu erpressen. Die Polizei erscheint im Film als Geldeinzugszentrale und Familienbetrieb – Noredins Onkel deckt als Chef der Polizeiwache nicht nur die krummen Geschäfte, sondern fordert von seinen Beamten sogar noch mehr Umsatz.

Das Kapitalverbrechen gerät streckenweise in den Hintergrund, während die Machenschaften der Beamten erzählt ­werden. Am Tatort bestellen sich die Ermittler erst einmal ein Mittagessen auf Rechnung der Toten – der sie umgehend das Bargeld aus der Handtasche klauen. Die Polizeieinheiten verschiedener Bezirke erpressen sich gegenseitig, wichtige Zeugen sterben in der Untersuchungshaft im Beisein eines gesamten Polizeireviers. Ermittlungsergebnis: Selbstmord.

Und dann gibt es noch die junge Putzfrau Salwa. Die wich­tigste Zeugin des Verbrechens hält sich illegal in Ägypten auf – viel größer kann die soziale Distanz zwischen den Milieus eigentlich nicht sein. Während Bauunternehmer Shafiq im Luxus schwelgt, werden Salwa und ihre Mitbewohner unter Druck ­gesetzt, indem man ihnen die Pässe abnimmt, sie zusammenschlägt oder sogar tötet. Mit Salwas Hilfe will Noredin das Verbrechen aufklären – in dem er selbst bis zum Hals drinsteckt, ohne es zu wissen.

"Die Nile Hilton Affäre" ist ein Polizeifilm der komplett anderen Art: Er zeigt ein korruptes Behördensystem, dessen Auswirkungen – Missachtung der Gesetze und Vorteilsnahme – bei den Protesten auf dem Kairoer Tahrir-Platz öffentlich angeprangert wurden. Einer der Auslöser der "ägyptischen Revolution" war der Tod des Bloggers Khaled Said. Der junge Mann war von zwei korrupten Polizisten zu Tode geprügelt worden. Der Mord werfe ein "Schlaglicht auf die von ägyptischen Sicherheitskräften Tag für Tag ausgeübte brutale Gewalt" stellte Amnesty International damals fest. Mit einigen Jahren Abstand zeigt der Film nun die gleiche Problematik.

 

"Die Nile Hilton Affäre." D, DK, SWE 2017. Regie:

Tarik Saleh, Darsteller: Fares Fares, Mari Malek.

Kinostart: 5. Oktober 2017

 

Weitere Filmtipps:

Rappende Selbstbehauptung

"Wenn Gott so mächtig ist, warum habt ihr dann solche Zweifel?" Diese Frage stellt der Musiker Shahin Najafi, der aus dem Iran flüchten musste, seinen konservativen Verfolgern. Er selbst hält sich für einen Atheisten, und so klingen auch seine Texte. Im Jahr 2012 veröffentlichte er einen satirischen Rap, der iranische Religionsführer dazu veranlasste, ihn mit einer Todes-Fatwa zu belegen. Wer Najafi umbringt, kann mit 100.000 Dollar Belohnung rechnen. Seit seiner Flucht lebt Najafi in Deutschland im Exil. Seine Musik ist ein Statement des Lebens, eine Selbstbehauptung. Till Schauders Dokumentation "When God Sleeps" über Najafi zeigt Internet-Tutorials, die demonstrieren, wie man Sprengstoff mischt, um den Musiker von der Bühne zu bomben. Die deutsche Polizei nennt das bei der Sicherheitsberatung des Musikers eine "abstrakte Bedrohung". Es kommen Künstlerkollegen zu Wort, die gemeinsame Konzerte mit Najafi aus Angst absagten, und Günter Wallraff, der den Musiker einige Monate beherbergt hat. Der Film zeigt Prügelvideos aus dem Iran, aber auch beiläufig-ironische Alltagsszenen des Musikerlebens, etwa wenn der Sänger ein Riesenpeniskostüm für einen Auftritt erwirbt. Seine Freundin ist die Enkelin eines ehemaligen iranischen Premierministers. Najafis Musik zählt nicht zu dessen Vorlieben, er ist in seinen Augen ein "Anarchist". Najafis Fazit: "Frauen sind stärker als Männer." Ein beeindruckendes filmisches Porträt.

"When God Sleeps". D/US 2017. Regie: Till Schauder. Kinostart: 12. Oktober 2017

 

Die Nazis und der Swing

Eine Künstlerbiografie der besonderen Sorte ist "Django", das filmische Porträt des genialen Gitarristen Django Reinhardt, der 1953 starb. Der Film, der 2017 die Berlinale eröffnete, thematisiert nicht zuletzt das ambivalente Verhältnis von Kunst und Diktatur. Die Nationalsozialisten wollten für ihre Tanzveranstaltungen ausgerechnet den Sinto Reinhardt einspannen, der durch einen Unfall zwei Finger der linken Hand verlor, deshalb eine besondere Spielweise entwickelte und damit in den vierziger Jahren zum König des "Gipsy Swing" aufstieg. Seine Musik sollte gegen die amerikanische "Negermusik" anklingen. Reinhardt wird in diesem Film als ein in politischen Dingen unentschiedener Charakter geschildert, der dieses Angebot nicht ablehnt. Er steckt sich eine Zigarette an und beginnt zu spielen. Und während andere Sinti und Roma schon in Konzentrationslager transportiert werden, ist Reinhardt aufgrund seiner Prominenz noch recht sicher. Doch als ihn Hitlers Kulturpolitiker auf Deutschland-Tour schicken wollen, ergreift er die Flucht – die Nazis immer dicht auf den Fersen. Regisseur Etienne Comar porträtiert ­einen Künstler und Freigeist, mit dem das Leben so beiläufig spielt wie er selbst seine Musik. "Django" ist ein mitreißender Film, vor allem in den musikalischen Sequenzen. Die ­Verfolgung dieser Musik zeigt am besten, was ­faschistische Politik bedeutet: Nicht einmal die eigenen Ohren sind frei.

"Django". F 2017. Regie: Etienne Comar. Darsteller: Reda Kateb, Cécile de France. Kinostart: 26. Oktober 2017

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