Aktuell Polen 18. November 2021

Polen/Belarus: Menschenrechte gelten überall – auch an den Außengrenzen der EU

Das Bild zeigt Kinder, die an einem Zaun mit Stacheldraht stehen

Schutzsuchende an der polnisch-belarussischen Grenze am 17. November 2021

Die Situation für Schutzsuchende an der polnisch-belarussischen Grenze spitzt sich immer weiter zu. Die Europäische Union muss sich endlich auf ein menschenrechtskonformes Asyl- und Migrationssystem einigen. Nur so kann sie einer Instrumentalisierung von Menschenleben für politische Zwecke, wie es der belarussische Machthaber Lukaschenko gerade praktiziert, zuvorkommen.

Für die frierenden Menschen, Familien und Kinder an der Grenze zwischen Belarus und Polen spitzt sich die ohnehin dramatische humanitäre Lage derzeit zu. Medienberichten zufolge sind hier bereits zwölf Menschen zu Tode gekommen, darunter auch Minderjährige. Zahlreiche Personen sind Opfer sogenannter Pushbacks der polnischen Behörden geworden. Ihr Recht auf ein faires Asylverfahren ist damit verletzt worden. Der belarussische Machthaber Lukaschenko instrumentalisiert Menschen und ihr Leben für politische Zwecke. Das ist zynisch und menschenverachtend. Gleichzeitig will er damit die EU und ihre Mitgliedstaaten bloßstellen – leider gelingt ihm das.

Langfristig muss die EU endlich ein gemeinsames Asylsystem schaffen, das auf den Menschenrechten aufbaut.

Auch die EU (und damit auch Deutschland) verletzt die Menschenrechte. Die Methode Lukaschenkos erinnert an das Vorgehen des türkischen Präsidenten Erdogan an der türkisch-griechischen Grenze 2020 und an die marokkanische Regierung, die im Mai Tausende Migrant_innen nach Ceuta passieren ließ, damit Europa die marokkanische Souveränität über die Westsahara anerkennt. Dieser Erpressbarkeit könnte die EU nur entgehen, wenn sie ihr Asyl- und Migrationssystem endlich menschenrechtskonform gestalten würde. Wie das ginge?

Kurzfristig sollte Polen sofort den ausgerufenen Ausnahmezustand in der Grenzregion aufheben und den Zugang von Nichtregierungsorganisationen, Anwält_innen, Journalist_innen und Aktivist_innen erlauben. Das Land muss unverzüglich gewährleisten, dass Ärzte ohne Grenzen und die Internationale Organisation für Migration zu den Menschen gelangen können. Dazu hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof die polnische Regierung bereits im August verpflichtet. Die EU muss die Situation im Grenzgebiet beobachten, damit Menschenrechtsverletzungen unterbunden werden, zum Beispiel durch die Europäische Grundrechteagentur oder das UN Flüchtlingshilfswerk (UNHCR).

In dieser angespannten Lage ist entscheidend, dass die EU den Menschen im Grenzgebiet eine angemessene Unterkunft zur Verfügung stellt, sowie Nahrung, Wasser und medizinische Versorgung. Statt in den Ausbau eines Grenzzauns zu investieren, ist es jetzt vielmehr dringend geboten, den Schutz der bis zu 4.000 Menschen zu gewährleisten, die vornehmlich aus Kriegs- und Krisengebieten wie Syrien, Afghanistan oder dem Irak kommen.

Tweet von Franziska Vilmar, Asylrechts-Expertin bei Amnesty in Deutschland:

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Polen muss die Pushbacks stoppen, die erfolgen, ohne dass ein Asylantrag geprüft wird, und ohne dass die Menschen sich in einem fairen Verfahren dagegen wehren können. Gerade diese völkerrechtswidrigen Pushbacks scheinen aber derzeit die Regel zu sein. Amnesty International hat im August dokumentiert, dass polnische Behörden afghanische Schutzsuchende durch Pushbacks abgeschoben haben.

Auch weiterhin scheinen polnische Grenzbeamte Schutzsuchende gewalttätig und ohne Prüfung des Einzelfalls an der Grenze zu Belarus gesammelt abzuschieben. Solche Pushbacks verstoßen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und auch gegen EU Recht. Polen hat versucht, über eine nationale Rechtsänderung die Praxis zu legalisieren. Die internationalen Verpflichtungen kann dies aber nicht aushebeln. 

Langfristig muss die EU endlich ein gemeinsames Asylsystem schaffen, das auf den Menschenrechten aufbaut. Das bedeutet auch: Mehr Solidarität der Mitgliedstaaten untereinander bei der Aufnahme von Schutzsuchenden und mehr legale und sichere Zugangswege für Flüchtlinge. Auch Deutschland muss sich – anders als der geschäftsführende Außenminister Heiko Maas (SPD) dies gerade zum Ausdruck gebracht hat – zur Aufnahme von Schutzsuchenden an der polnisch-belarussischen Grenze bereit erklären. 



Dieser Text erschien zuerst am 18. November 2021 als Gastkommentar in der Print-Ausgabe der Fuldaer Zeitung.

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