Aktuell Amnesty Journal Griechenland 10. September 2019

Die vergessenen Flüchtlinge von Symi

Erwachsene und Kinder befinden sich in einer provisorischen Unterkunft, dessen Dach aus Tüchern besteht. Auf dem Boden sind Kleidungsstücke verteilt.

Flüchtlinge auf Symi im August 2019

Auf der griechischen Insel Symi leben Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten ohne ausreichende Versorgung und ohne sanitäre Einrichtungen. Rachel Weston berichtet von der Situation der Menschen vor Ort.

Rachel ist als internationale Beraterin im Bereich Democratic Governance tätig und verbrachte im August ihre Sommerferien auf Symi.

Die griechische Insel Symi, wenige Kilometer vor der türkischen Küste gelegen, erlebt seit einigen Tagen einen dramatischen Anstieg der Zahl der Flüchtlinge, Migranten und Migrantinnen, die von der Türkei aus übers Meer kommend auf der Insel eintreffen. 

Symi ist eine winzige Insel mit einer Bevölkerung von etwa 2500 Personen. In den Sommermonaten schwillt die Bevölkerung stark an. Seit einigen Tagen mischen sich unter die Tagestouristinnen und -touristen aus Rhodos, Yachtbesitzerinnen und -besitzer aus der Türkei, sowie Urlauberinnen und Urlauber aus Athen und Italien auf der Hafenpromenade auch wieder viele Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten. Die meisten stammen aus Syrien.  

Allerdings könnten deren Aufenthaltsbedingungen unterschiedlicher kaum sein. Ich selbst machte im August mit meiner Familie auf Symi Urlaub, und wurde durch eine Familie aus Syrien, die unter einem Busch neben der örtlichen Polizeistation vor der brutalen Mittagshitze Schutz suchte, auf die dramatische Situation aufmerksam. Die Polizeistation ist eine von zwei Unterkünften, die die lokalen Behörden benutzen, um die Flüchtlinge zu registrieren und bis zu ihrer Weiterfahrt zu einer der größeren Inseln festzuhalten. Die Polizeistation ist direkt am Hafen gelegen, mit Blick auf die vielen teuren Superyachten, die dort vor Anker liegen. Sie ist völlig überfüllt: Flüchtlinge kampieren auf der Veranda, in den Grünanlagen vor dem Gebäude, und im Schatten des alten Uhrturmes, eines der Wahrzeichen Symis. Täglich kommen derzeit Dutzende Flüchtlinge in Symi an; insgesamt drängen sich circa 200 Menschen – mehrheitlich Familien – auf engstem Raum.

Die Mutter der Familie, mit der ich zuerst spreche, sagt mir, dass sie kaum etwas zu essen bekommen. Nach mehreren Gesprächen mit Flüchtlingen und Hilfeleistenden vor Ort wird schnell klar, wie sehr die lokalen Kapazitäten mit dem plötzlichen Anstieg an Flüchtlingen überfordert sind. Zwar gab es 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, ein recht gut funktionierendes Hilfssystem, als sogar internationale Hilfsorganisationen vor Ort waren und die lokale Bevölkerung mit Spenden und Freiwilligenarbeit für das Notwendigste sorgte. Aber wegen einer Reihe von Umständen sind diese Strukturen nicht so leicht reaktivierbar.

Im Moment bekommen die Flüchtlinge von den griechischen Behörden eine Mahlzeit pro Tag: Nudeln oder Reis. Sie müssen sich eine Toilette teilen, ansonsten gibt es keine sanitären Einrichtungen wie etwa Duschen. Es gibt keine Windeln oder Babynahrung. Ich habe mehrere Kleinkinder ohne Schuhe und in uringetränkter Kleidung gesehen.

Seit einigen Tagen bringe ich zweimal am Tag große Mengen an Lebensmitteln und anderen Gegenständen des täglichen Bedarfs zu den Flüchtlingen, finanziert durch über Facebook gesammelte Spenden von Freunden und Bekannten und in Zusammenarbeit mit dem örtlichen Supermarkt. Die Spendenbereitschaft scheint groß, und hinter den Kulissen arbeiten einige der Akteure von 2015 an nachhaltigeren Strukturen unter Einbeziehung der örtlichen Behörden.

Solche Strukturen sind dringend nötig, denn es ist unwahrscheinlich, dass der Flüchtlingsstrom bald abreißen wird. Die meisten Flüchtlinge haben längere Zeit in der Türkei Zuflucht gefunden, manche über mehrere Jahre ein neues Leben aufgebaut. Ein junges Mädchen besuchte schon die vierte Klasse in einer türkischen Schule und spricht fließend Türkisch. Die Menschen, mit denen ich spreche, geben die jüngsten Bestrebungen der türkischen Regierung, Flüchtlinge zurück nach Syrien zu schicken, als Grund für ihre erneute Flucht an. Ein junger Mann erzählt mir von einem Freund, der vor kurzem nach Syrien gebracht und dort nach seiner Ankunft getötet wurde.

Es ist die Furcht vor Deportation in ein von Krieg zerrissenes Land, die jetzt wieder so viele Menschen nach Symi und auf die anderen griechischen Inseln bringt. Sie verdienen einen menschenwürdigen Empfang in der European Union.

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