Aktuell Russische Föderation 04. März 2025

Verschleppt und gefoltert: Ukrainische Gefangene in russischer Haft

Eine Wand mit vielen Fotos

Fotos von Personen, die seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges vermisst werden in der Ukraine (Aufnahme vom Mai 2024 im Zimmer einer Hilfsorganisation in der Stadt Pokrowsk).

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die gesamte Ukraine im Februar 2022 werden tausende Ukrainer*innen in russischer Gefangenschaft festgehalten – oftmals ohne Kontakt zur Außenwelt. Darunter sind sowohl Angehörige der ukrainischen Armee als auch Zivilpersonen. Ein neuer Bericht von Amnesty legt offen, wie ukrainische Gefangene in russischer Haft gefoltert, misshandelt und Opfer von Verschwindenlassen werden. Amnesty fordert Russland auf, die systematischen Menschenrechtsverletzungen an ukrainischen Gefangenen sofort zu beenden. 

Die Ungewissheit quält Olena Kolesnyk schon lange. Seit Juli 2024 hat sie nichts mehr von ihrem Mann Serhii gehört, der von russischen Soldaten in Kriegsgefangenschaft genommen wurde. Sie hat keine offiziell bestätigten Informationen, wo er ist, geschweige denn, wie es ihm geht. "Diese Dunkelheit des Nichtwissens bringt mich um", sagt sie.  

Der russische Angriffskrieg gegen die gesamte Ukraine hat bislang tausende Tote unter der ukrainischen Zivilbevölkerung gefordert und Millionen von Menschen in die Flucht getrieben. Zu den Opfern von Menschenrechtsverletzungen und möglichen Kriegsverbrechen zählen auch die tausenden ukrainischen Kriegsgefangenen und Zivilpersonen, die seit Februar 2022 von Russland gefangen gehalten werden – abgeschnitten von der Außenwelt, oft über Jahre hinweg. Wie der Ehemann von Olena Kolesnyk.

Mehrere Menschen mit Protestschildern

"Wir warten zuhause auf euch": Familien von Menschen, die in Mariupol in russische Kriegsgefangenschaft gerieten, demonstrieren in der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw für die Freilassung ihrer Angehörigen (undatiertes Foto).

Ukrainische Kriegsgefangene und Zivilpersonen   

In den meisten Fällen gibt es keine Informationen über das Schicksal oder den Verbleib der Vermissten. Viele der Kriegsgefangenen und Zivilpersonen befinden sich wahrscheinlich in russischer Haft, andere wurden möglicherweise getötet. "Russlands systematische Inhaftierung von ukrainischen Kriegsgefangenen und Zivilist*innen ohne Kontakt zur Außenwelt zielt darauf ab, sie zu entmenschlichen und zum Schweigen zu bringen", sagt Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International. "Diese Politik lässt die Familien in einem Zustand der Angst zurück, während sie auf Nachrichten über ihre Angehörigen warten".  

In dem neuen Bericht "A Deafening Silence: Ukrainians held incommunicado, forcibly disappeared and tortured in Russian captivity" dokumentiert Amnesty International die Menschenrechtsverletzungen und Verletzungen des humanitären Völkerrechts an Ukrainer*innen in russischer Gefangenschaft. Dafür hat Amnesty Interviews mit 104 Personen in der Ukraine im Zeitraum zwischen Januar und November 2024 geführt. Die meisten Befragungen fanden in der Region Kyjiw statt, aber auch in den Regionen Lwiw, Tschernihiw und Donezk. 

Das Bild zeigt das Porträtbild eine Mannes

Der Ukrainer Dmytro Kyhym war in russischer Kriegsgefangenschaft. Er berichtete Amnesty International, dass die Gefangenen, darunter auch Zivilpersonen, regelmäßig geschlagen wurden, in einem Fall bis zum Tode.

Folter und Tote in russischer Kriegsgefangenschaft 

Volodymyr Shevchenko ist ein ehemaliger Kriegsgefangener, der mehr als zwei Jahre in russischer Gefangenschaft verbracht hat. Wie viele andere berichtet er von Folter und Misshandlungen. "Sie haben sofort angefangen, mich zu foltern. Sie haben mich mit Elektroschockern geschlagen, mit diesen speziellen Stöcken, das war sehr schmerzhaft", erinnert er sich. Andere Gefangene hätten die Folter und die Gewalt nicht überlebt. 

Russland verstößt mit diesem Vorgehen systematisch gegen humanitäres Völkerrecht und die dritte Genfer Konvention, die den Schutz von Kriegsgefangenen vorsieht. Die Konvention garantiert Kriegsgefangenen das Recht auf regelmäßige Korrespondenz, Zugang zu medizinischer Versorgung und auch auf Besuche unabhängiger internationaler Hilfsorganisationen. Zwar hat Russland in einigen Fällen die Gefangenschaft einzelner Kriegsgefangener anerkannt und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) informiert. Das gilt jedoch bei weitem nicht für alle Kriegsgefangenen.  

Eine Person mit einem Protestschild

"Halte durch, meine Liebe!": Alina Potapova hält bei einer Demonstration in der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw ein Plakat hoch in Gedenken an ihren Verlobten, der sich seit Juli 2023 in russischer Kriegsgefangenschaft befindet (undatiertes Foto).

Familien wissen nicht, wo ihre Angehörigen sind  

Dramatisch ist die Situation auch für viele Familien, die nicht wissen, wo sich ihre Angehörigen befinden. Wie im Fall von Polina*. Sie verließ die von Russland besetzten Gebiete der Ukraine im August 2022. Ihren Mann, der zurückblieb, um seinen älteren Vater zu pflegen, hat sie seitdem nicht mehr gesehen. Wie Polina später erfuhr, wurde er offenbar in einer inoffiziellen russischen Hafteinrichtung festgehalten. Zwischen März und Juli 2023 erhielt sie noch Nachrichten, seitdem fehlt von ihm jede Spur. Die Behörden in den russisch besetzten Gebieten geben ihr keine Auskunft.  

"Die internationale Gemeinschaft muss ihren Einfluss gegen Russland einsetzen, um diesen abscheulichen Völkerrechtsverbrechen ein Ende zu setzen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen", sagte Agnès Callamard. "Ohne Gerechtigkeit wird das Leid der ukrainischen Kriegsgefangenen, der Zivilist*innen und ihrer Familien nur noch größer werden." 

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine vor mehr als einem Jahrzehnt hat das Vorgehen Russlands nun schon zehntausende Familien auseinandergerissen. Diejenigen, die in diesem Krieg getötet, inhaftiert, verschwunden oder gefoltert wurden, haben zweifellos am meisten gelitten. Doch auch ihre Eltern, Kinder, Geschwister, Freund*innen und Kolleg*innen in der ganzen Ukraine spüren die Konsequenzen dieser grausamen Verbrechen – und sie haben ein Recht auf Wahrheit und Gerechtigkeit.  

*Name geändert 

Amnesty-Posting auf X (ehemals Twitter):

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