Eine Misere für die Bildung - syrische Flüchtlinge in Bulgarien

Syrische Flüchtlinge in Bulgarien
© NIKOLAY DOYCHINOV/AFP/Getty Images
08. Januar 2014 - Mehr als 10.000 Menschen sind im letzten Jahr nach Bulgarien eingereist. Darunter auch eine Vielzahl von Syrer. Aber die Situation für Asylsuchende in Bulgarien ist erschreckend. Es fehlt an allen Ecken und Enden. Es mangelt an ausreichenden Lebensmitteln, Sanitäranlagen und medizinischer Versorgung. In einem der größten "Aufnahmeeinrichtungen" für Flüchtlinge in Harmanli stehen gerade einmal acht Duschen für 1000 Menschen zur Verfügung. Hinzukommt, dass die Flüchtlinge häufig lang andauernden Asylverfahren ausgesetzt sind und darüber hinaus scheinbar willkürliche Festnahmen stattfinden.
Amnesty International fordert gemeinsam mit dem UNHCR, dass aus den EU-Mitgliedstaaten vorerst keine Asylsuchende mehr nach Bulgarien zurücküberstellt werden.
"Ich bin jetzt mit dem Englischunterricht dran", erzählt mir Mohammad Hussain an einem kalten Januarabend im Flüchtlingscamp Harmanli in Bulgarien. Wir machen uns auf den kurzen Weg zum Behelfsklassenraum nebenan.
Mohammad achtet darauf, dass er seine wärmste Kleidung und eine Mütze trägt, wenn er unterrichtet. Auch die Kinder sitzen von Kopf bis Fuß dick eingepackt auf dem blanken Zementboden, wo sie sich aneinander kuscheln. Alte Matratzen dienen als Tische. Eine Schule in der Nähe hat versprochen, bald ihre alten Möbel zu spenden. Eine Karte mit der Tierwelt der bulgarischen Berge hängt an der eilig geweißten Wand.
"Ich habe keine Bücher, die ich benutzen kann, doch es ist besser irgendetwas zu tun als nur dazusitzen und zu warten", sagt er lächelnd. Der Unterricht ist reine Improvisation. Einige Dutzend Kinder hören an diesem Abend zu, was Mohammad ihnen erzählt.
Der 23-jährige aus Qamishli, im Nordosten Syriens, gehört zu einem informellen Bildungskollektiv aus syrischen Studenten und Nachwuchskräften. Mit Hilfe bulgarischer Freiwilliger und einem von der Regierung gestellten Raum haben sie die informelle Schule auf Grundlage der Methoden des gemeinschaftlichen Lernens im Camp gegründet. Über 250 Kinder aller Altersgruppen eignen sich hier Wissen in Mathematik, Biologie und Englisch sowie Computerkenntnisse an.
"Wir waren immer nur draußen und hatten nichts zu tun", sagt ein kleines Mädchen namens Maha. Sie freut sich über die Möglichkeit, etwas lernen zu können. "Jetzt, wo es die Schule gibt, ist es interessanter."
Für die Erwachsenen ist es ein Problem nicht arbeiten zu können. Da Harmanli ein geschlossenes Lager ist, dürfen sie es nicht verlassen um einer Arbeit nachzugehen. Einer der Gründe, aus denen Mohammad mit dem Unterrichten begonnen hat, ist, dass so die Zeit schneller vergeht. "Ich will hier nicht versauern. Alles, was ich in den letzten zwei Monaten gemacht habe, war morgens aufzuwachen, zu essen und nichts weiter zu tun. Ich will rauskommen und Menschen sehen!"
Andere haben damit angefangen, Sport oder Musik zu machen. Jemand hat Bälle und Trikots gespendet und damit wurde sofort ein Fußballturnier organisiert, an dem mehr als 10 Mannschaften teilnahmen. Die "Falken von Qamishli" setzten sich letztendlich gegen den hartnäckigen Widerstand des "Vereinten Afrikas" durch. Bei der anschließenden Feier wurde traditionelle Folkloremusik gespielt und dazu getanzt.
Mehr als 1600 Menschen leben mittlerweile in den ehemaligen Militärkasernen in Harmanli. Es ist das größte Flüchtlingslager in Bulgarien. Die Regierung plant eine Erweiterung auf 4000 Bewohner, da in diesem Jahr die Ankunft weiterer Menschen erwartet wird.
Die meisten der Asylsuchenden sind Syrer. Außerdem gibt es eine kleine Gruppe von Afrikanern und Afghanen. Das Lager ist weit abgelegen und die bulgarische Polizei bewacht es rund um die Uhr.
Bis vor kurzem durfte niemand das Lager ohne die entsprechenden Dokumente verlassen. Diese Papiere erhielten die Betroffenen nach dem Beginn des Asylverfahrens. Dafür fehlte es in Harmanli aber monatelang an Personal und technischen Ressourcen. Dieser Umstand führte zu Korruptionsvorwürfen, die die bulgarischen Behörden entschieden zurückwiesen. Auch ich fand keine Beweise für die Anschuldigungen.
Eines der Hauptgesprächsthemen ist die so genannte "kart akhdar". So nennen die Lagerbewohner ein grünes Stück Papier, welches ihnen in Bulgarien eine Identität verleiht und ihnen erlaubt, das Campgelände tagsüber zu verlassen. Dies ist der erste Schritt, um den Flüchtlingsstatus zu erhalten.
Was viele der Flüchtlinge nicht wissen, ist, dass sie mit dem Erhalt der endgültigen Dokumente keinen Anspruch mehr auf Unterbringung im Lager haben und sich eine andere Unterkunft suchen müssen.
Das ist eine Schwierigkeit, der alle Flüchtlinge bald gegenüber stehen. Einige von ihnen haben aber schlichtweg nicht die finanziellen Mittel sich selbst zu versorgen. Zwar bietet der Staat im Rahmen des nationalen Integrationsprogramms materielle Hilfe. Das Programm ist aber auf 60 Personen beschränkt. Allein 2013 sind mehr als 10000 Asylsuchende in Bulgarien angekommen, doch ein neues Hilfsprogramm ist noch nicht in Sicht.
Diejenigen, die keine finanziellen Sorgen haben, sehen sich anderen Schwierigkeiten ausgesetzt: Bulgarische Vermieter verlangen exorbitante Preise oder vermieten grundsätzlich nicht an die Flüchtlinge. "Die Leute haben Angst, dass die Fremden ihr Eigentum zerstören und sich aus dem Staub machen, ohne jemals die Miete bezahlt zu haben", so ein Beamter aus Harmanli, der ungenannt bleiben möchte.
Je mehr Menschen Asyl zugesprochen wird, desto größer wird auch das Wohnungsproblem. Und es werden noch mehr Flüchtlinge erwartet. Zwar haben die bulgarischen Behörden keine genauen Zahlen. Doch sie gestehen ein, dass es wahrscheinlich nicht weniger als im Jahr 2013 sein werden. Das bedeutet, dass in diesem Jahr voraussichtlich weitere 10000 Menschen Schutz in Bulgarien suchen werden.
Mohammad, dem Lehrer, tut es Leid, dass er Syrien verlassen hat. "Meine Freundin ist noch immer dort. Ich mache mir sehr große Sorgen." Er erwähnt sie jedes Mal, wenn wir über seine Heimat sprechen. Für ihn haben sich Bulgarien und die EU als Albtraum herausgestellt. "Das hier ist kein gutes Leben. Ich will zurück."
Von Krassimir Yankov, Journalist und Forscher aus Bulgarien