Pressemitteilung Aktuell Syrien 29. August 2025

Syrien: Regierung muss zehntausende Fälle von Verschwindenlassen umgehend aufarbeiten

Menschen mit Protestplakaten

In der syrischen Hauptstadt Damaskus fordern Angehörige Aufklärung über ihre Familienmitglieder, die unter dem ehemaligen Machthaber Baschar al-Assad getötet wurden oder dem Verschwindenlassen zum Opfer fielen (27. Dezember 2024).

Amnesty International fordert die neue syrische Regierung auf, die systematische Aufklärung und Wiedergutmachung von Verschwundenen-Fällen zur Priorität zu machen. Ein neuer Amnesty-Bericht dokumentiert die Vernichtung von Beweisen sowie die Retraumatisierung vieler Angehöriger seit dem Sturz von Baschar al-Assad.

Anlässlich des Internationalen Tags der Verschwundenen am 30. August fordert Amnesty International von der neuen syrischen Regierung ein uneingeschränktes Bekenntnis zu Gerechtigkeit und Entschädigung für die zehntausenden unter der Assad-Regierung verschwundenen Menschen. Die Regierung muss umgehend unabhängige, transparente Ermittlungen zu allen Verbrechen nach internationalem Recht einleiten. Geberländer wie Deutschland müssen Opferinitiativen umfassend dabei unterstützen, ihre Rechte einzufordern. 

Katja Müller-Fahlbusch, Expertin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International in Deutschland, sagt: "Die Familien von Verschwundenen in Syrien ertragen seit mehr als einem Jahrzehnt ein unvorstellbares Maß an Leid und Unsicherheit. Der Sturz der Vorgängerregierung war ein Hoffnungsschimmer. Doch die Befürchtung, dass die Verantwortlichen straffrei bleiben könnten und die Suche nach den Vermissten möglicherweise nicht umfassend genug erfolgt, hat viele Angehörige retraumatisiert.

Die syrische Regierung muss sicherstellen, dass die neu eingerichtete 'Nationale Kommission für Vermisste und Opfer des Verschwindenlassens' (NCM) unabhängig ist und mit angemessenen Ressourcen ausgestattet wird. Der angekündigte Aufbau einer nationalen Vermisstendatenbank, die Sammlung von DNA-Proben und die Stärkung forensischer Kapazitäten sind wichtige Schritte hin zu Wahrheit und Gerechtigkeit. Dieser Ankündigung müssen nun konkrete Schritte folgen."

Zudem muss das Mandat der "Nationalen Kommission für Übergangsjustiz" (NCTJ) erweitert werden: Nicht nur die schweren Menschenrechtsverletzungen des Assad-Regimes, sondern auch durch bewaffnete Gruppen begangene Verbrechen nach internationalem Recht, müssen aufgearbeitet werden.

Für den Bericht Truth Still Buried: The struggle for justice of disappeared people’s families in Syria sprach Amnesty International mit Angehörigen von Verschwundenen sowie mit Überlebenden und Vertreter*innen von Opferverbänden. Amnesty dokumentiert u.a., wie wichtige Beweise nach dem Regierungswechsel verloren gingen oder zerstört wurden und wie Angehörige mit Truth Tents ('Wahrheits-Zelten') im ganzen Land öffentliche Räume schaffen, um Gerechtigkeit einzufordern.

Zwischen 2011 und 2024 fielen in Syrien schätzungsweise mehr als 100.000 Menschen dem Verschwindenlassen zum Opfer, die meisten von ihnen unter der Assad-Regierung, wo sie in dem berüchtigten Netz aus Haftanstalten "verschwanden". Bewaffnete Oppositionsgruppen waren für das Verschwindenlassen Tausender weiterer Personen verantwortlich. 

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