Pressemitteilung Aktuell Kultur Deutschland 22. Februar 2025

Berlinale: Amnesty-Filmpreis 2025 geht an "Die Möllner Briefe"

Die drei Amnesty-Jury-Mitglieder stehen neben Martina Priessner auf einer Bühne und lächeln in die Kamera. Martina Priessner hält eine Urkune in der Hand.

Regisseurin Martina Priessner (2. v.l.) wurde auf der Berlinale 2025 für ihren Film "Die Möllner Briefe" von den Amnesty-Jury-Mitgliedern Soleen Yusef, Florence Kasumba und Myriam Vitovec mit dem Amnesty-Filmpreis ausgezeichnet (22. Februar 2025).  

Der Film "Die Möllner Briefe" von Martina Priessner überzeugte die Jury um Schauspielerin Florence Kasumba und Regisseurin Soleen Yusef.

Der deutsche Film "Die Möllner Briefe" von Martina Priessner aus der Sektion "Panorama Dokumente" gewinnt den mit 5.000 Euro dotierten Amnesty-Filmpreis der Berlinale. Die Jury um Schauspielerin Florence Kasumba und Regisseurin Soleen Yusef sprach zudem eine lobende Erwähnung aus für den sudanesischen Film "Khartoum" von Anas Saeed, Rawia Alhag, Ibrahim Snoopy, Timeea M Ahmed und Phil Cox, der ebenfalls in der Sektion "Panorama Dokumente" lief.

Die Amnesty-Jury begründet ihre Entscheidung für den Gewinner-Film wie folgt:

Der Film "Die Möllner Briefe" erzählt vom Schicksal İbrahim Arslans und seiner Familie, die bei den rassistischen Brandanschlägen in Mölln 1992 drei Angehörige verloren haben. Im Zentrum stehen hunderte Briefe, die Menschen aus ganz Deutschland den Betroffenen als Zeichen der Solidarität geschrieben haben, die diese aber nie erreichten. Es war ein Zufall, dass eine Studentin sie in den Archiven der Stadt entdeckt hat.

Mit den klassischen Mitteln des Dokumentarfilms entfaltet der Film über diese besondere Geschichte eine enorme Wirkung. Die künstlerische Entscheidung, die Briefe einzublenden und teils von den Briefeschreiber*innen vorlesen zu lassen, setzt eine große erzählerische Kraft frei: selbstgemalte Bilder von Kindern, Gedichte und der Satz "Ich schäme mich, eine Deutsche zu sein" – all das berührt. Die empathische Sprache der Briefe im Kontrast zu den gewaltvollen Anschlägen fällt auf, wenn von "Mitmenschen" oder "Mitbürgern", von "Miteinander" geschrieben wird, statt von "Migranten".

Der Film zeigt aber auch in radikaler Härte die familiäre Last, das transgenerationelle Trauma der betroffenen Familien. Er zeigt auf, was der Anschlag der Familie über Generationen angetan hat. Die vorenthaltenen Briefe wirken wie eine zweite Tat. Es hätte das Leid der Familie gelindert, wenn sie von der Solidarität gewusst hätte.

Der Film zeigt wie als kaltes Spiegelbild die Empathielosigkeit der Politiker*innen und Angestellten der Stadt Mölln, die der Familie die Briefe nicht weitergeleitet und ihnen so die Anteilnahme verwehrt haben. Das wirkt sich fort bis zum heutigen Tag: So sehen wir den heute politisch Verantwortlichen dabei zu, wie sie mit ihrer von Floskeln geprägten Sprache die Verantwortung weiter von sich weisen. Sie bleiben den Betroffenen bis heute eine Antwort auf das "Warum" schuldig.

Der Film gewinnt den Amnesty-Filmpreis, weil er zeigt, was Menschlichkeit in dunklen Zeiten bewirken kann. In der heutigen Welt, in der sich Viele so hilflos fühlen, zeigt er auf, wie eine ganz kleine Geste – das Briefeschreiben – bei den Betroffenen Großes bewirken kann.

Der Film Khartoum erhält eine lobende Erwähnung, weil er unter den schwierigsten Bedingungen von einem von der Welt vergessenen Konflikt erzählt: dem Krieg im Sudan. Dies zeigen die Regisseur*innen auf eine filmisch experimentelle Art und Weise: Die Arbeit am Film und die Realität - das Schicksal der Filmemacher*innen und Protagonist*innen - laufen ineinander über. Vom Krieg in die Flucht geschlagen, werden die Inszenierungen ihrer Erlebnisse vor Greenscreens zum Zeichen ihrer Gemeinsamkeit. Trotz der Schwere von Krieg und Vertreibung ist der Film hoffnungsvoll, poetisch und verspielt. Er findet zu einer neuen erzählerischen Form der Erinnerung und Verarbeitung von Traumata. So kommen die Protagonist*innen zusammen, nicht nur, um die Geschichte des Konflikts anzuprangern. Sie geben Hoffnung, auch in der Sprache: "Nightmares always end – Alpträume sind immer irgendwann zu Ende."

Der mit 5.000 Euro dotierte Preis wurde dieses Jahr zum 20. Mal verliehen. Auf der sich als politisches Filmfestival verstehenden Berlinale will er Filmschaffende würdigen, die ihre Arbeit den Menschenrechten widmen.

Die Jury

Florence Kasumba studierte Schauspiel, Gesang und Tanz an der Fontys Hogschool voor de Kunsten in den Niederlanden. Im Bereich Musical folgten zahlreiche Engagements. So spielte sie unter anderem in "Der König der Löwen", "Aida", "Cats", "Jesus Christ Superstar", "Die Schöne und das Biest", "West Side Story" und zuletzt im Hit-Musical "Mamma Mia" in Hamburg. Erfolgreich ist Florence Kasumba nicht nur auf der Bühne, sondern auch in Film und Fernsehen. So übernahm sie 2018 die Rolle der Kommissarin Anais Schmitz im "Tatort" Göttingen an der Seite von Maria Furtwängler. Florence Kasumba drehte auch internationale Produktionen wie "Wonder Woman" und Disneys "The Lion King". Seit 2015 spielt sie im Marvel Cinematic Universe u.a. in "Captain America – Civil War", "Black Panther" und "Avengers Infinity War" die Dora Milaje Kriegerin Ayo.

Soleen Yusef ist 1987 in Duhok, in der kurdischen Region im Irak, geboren. Als Kind flüchtete sie mit ihrer Familie nach Berlin. Sie machte Ausbildungen im Bereich Mode, Gesang und Schauspiel. Parallel assistierte sie bei mîtosfilm in der Produktion, Regie und im Vertrieb. Ab 2008 studierte sie szenische Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg. Ihr Drittjahresfilm "Trattoria" feierte 2012 seine Premiere auf der Berlinale. Seit ihrem Debütfilm "Haus ohne Dach", mit dem sie u.a. den First Steps Award gewann, ist sie für internationale Produktionen von Netflix, Amazon Prime und Disney+ tätig. Ihr Film "Sieger sein" feierte 2024 bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin seine Premiere und wurde beim Deutschen Filmpreis 2024 als bester Kinderfilm ausgezeichnet.

Myriam Vitovec ist 1982 geboren und arbeitet seit 2024 im Kampagnen- und Kommunikationsteam von Amnesty International in Deutschland. Hier verantwortet sie u.a. Kooperationen und Veranstaltungen im Bereich Kunst und Kultur. Zuvor hat sie bei anderen gemeinnützigen Organisationen gearbeitet und lange in Spanien und Peru gelebt.

Bisherige Preisträger des Amnesty-Filmpreises der Berlinale (Auswahl):

"The Strangers’ Case" von Brandt Anderson (2024)

"Al Murhaqoon" von Amr Gamal (2023)

"Myanmar Diaries" von The Myanmar Film Collective (2022)

"Welcome to Chechnya" von David France (2020)

Weitere Artikel