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Giftiges Gold
Monatelang vor der Polizei versteckt. Gregoria Crisanta Pérez (Mitte).
© Foto: James Rodríguez
Die Marlin-Goldmine in Guatemala ist die größte Tagebaumine Mittelamerikas.
Angesichts des stark gestiegenen Goldpreises boomt der Bergbau in der Region.
Ein Drittel der Fläche Guatemalas ist bereits von Minenunternehmen konzessioniert. Rund eine Million Menschen haben sich gegen den Bergbau ausgesprochen – und
der Widerstand wächst.
Von Kathrin Zeiske
Pinienbewaldete Bergketten erstrecken sich bis zum Horizont. Die Sonne steht hoch am Himmel. Doch hier, am höchsten Punkt der Landstraße nach San Miguel Ixtahuacán, zerrt ein eisiger Wind am buntgewebten Rock von Reina Jerónimo. Sie zieht sich ihre dunkle Wolljacke fest um die Schultern, während sie in die Tiefe zu ihren Füßen starrt. Für die Marlin-Mine wurde ein gesamter Berg abgetragen und ausgehöhlt. Die Lastwagen, die auf einer Schotterpiste an den steilen grauen Hängen entlang zum Grund hinunterfahren, scheinen klein wie Miniaturautos.
"Früher kamen unsere Großeltern hierher, um für Regen zu beten", sagt die Frau mit den roten Wangen und dem welligen schwarzen Haar. Sie schüttelt den Kopf: "Wir hatten ja keine Ahnung, was auf uns zukommt. Was eine Mine ist, wussten wir damals nicht. Jetzt allerdings können wir voller Überzeugung sagen, dass wir sie hier nicht haben wollen."
"Lass uns gehen, Schwester", sagt schließlich ihr Begleiter Augustín Bamaca, Aktivist der indigenen Basisbewegung gegen die Mine in San Miguel Ixtahuácan (FREDEMI).
Jeronimo und Bamaca sind nicht verwandt, doch sie vereint der jahrelange Kampf gegen ein Monster. Das kanadische Unternehmen Goldcorp zählt zu den weltweit größten Minenunternehmen. 2006 kaufte es die Konkurrenzfirma Glamis Gold auf und übernahm damit auch die ein Jahr zuvor eröffnete Marlin-Mine im Südwesten Guatemalas.
Heute betreibt die guatemaltekische Tochtergesellschaft von Goldcorps, Montana Exploradora, den Tagebau und spült mit hochgiftiger Zyanidlösung Gold aus dem Erdreich. "In Kanada ist der Abbau mit Zyanid verboten", erklärt Bamaca. "Hier haben wir alltäglich mit den Folgen zu kämpfen."
Doch die Marlin-Mine entlässt nicht nur Giftstoffe ungesichert in die Umwelt, sie verbraucht auch 18 Liter Wasser pro Sekunde. Ein Rohstoff, der vormals im Bezirk San Marcos reichlich vorhanden war, wird jetzt zum knappen Gut. "Die Quellen versiegen, Felder verdorren, die Bäume tragen kaum noch Früchte", berichtet Reina Jerónimo. "Und das wenige, was wir ernten, kauft uns niemand mehr ab. Wenn die Leute hören, wo meine Pfirsiche und Avocados herkommen, sagen sie: Da, wo die Mine ist, ist doch alles verseucht."
Untersuchungen der Pastoralen Kommission für Frieden und Ökologie (COPAE) haben in den vergangenen Jahren eine hohe Konzentration an Schwermetallen und Giftstoffen in den umliegenden Flüssen festgestellt. Eine Studie der Universität Michigan von 2010 hat die Kontaminierung von Trinkwasserbrunnen nachgewiesen: Im Blut und im Urin der Anwohner der Marlin-Mine wurden Blei, Quecksilber und Arsen gefunden, die das Gehirn, das Nervensystem und andere Organe schwer schädigen können.
Ein Zeichen für die Verseuchung mit Giftstoffen ist der Ausschlag, den mittlerweile ganze Dorfgemeinschaften auf der Haut tragen. Auch der Körper der kleinen Gregoria ist mit juckenden roten Pusteln bedeckt. Kein Arzt weiß, wie man das quirlige Mädchen behandeln kann. "Immer weiter weg von der Mine werden die Leute jetzt krank", erzählt ihre Mutter Gregoria Crisanta Pérez. Sie sitzt in einem Lichtkegel, der durch das Wellblechdach ihres Lehmhauses fällt. Hühner und ein schmaler Hund inspizieren abwechselnd die Küche, in der das Mittagessen über dem offenen Feuer kocht. An der Wand hängt ein Plakat der indigenen Friedensnobelpreisträgerin und Präsidentschaftskandidatin Rigoberta Menchu neben Schulurkunden der Kinder und Auszeichnungen der Mutter durch Umweltorganisationen.
Als Aktivistin gegen die Marlin-Mine hat Gregoria Pérez einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht. Überhaupt sind es vielfach indigene Frauen, die – meist ohne Schulbildung und finanzielle Mittel – um ihr Land kämpfen. "Wenn meine Kinder keine Möglichkeit mehr haben, Mais und Bohnen anzubauen, dann bleibt ihnen nur die Abwanderung in die Städte, wo Kriminalität und Armut herrschen – oder aber in die USA."
Die friedlichen Proteste gegen das Minenunternehmen wurden in der Vergangenheit jedoch mit unverhältnismäßiger Gewalt beantwortet. Aktivistinnen und Aktivisten wurden kriminalisiert, mit dem Tode bedroht und mit Schusswaffen attackiert. Im Jahr 2006 musste sich Gregoria Pérez monatelang vor der Polizei verstecken. Zwei Jahre später wurde sie gemeinsam mit sieben weiteren Mitgliedern des "Frauenkomitees zur Verteidigung der Mutter Erde" angeklagt, die Stromzufuhr zur Mine sabotiert zu haben. Die Anklagen wurden im Mai 2012 endlich zurückgezogen.
"Eigentlich müsste ich die Mine auf Schadenersatz verklagen, bei all dem Leid, das sie mir zugefügt haben." Gregoria streicht sich müde eine Strähne aus der Stirn. Manchmal denkt sie daran, aufzugeben und wegzuziehen. Den Scheck anzunehmen, der ihr schon mehrfach angeboten wurde, um sie zum Schweigen zu bringen. "Goldcorp hat nicht nur die Erde mit Gift getränkt, sondern auch die Herzen der Menschen, die hier wohnen."
Dies bestätigt auch Stephanie Boyd, eine kanadische Filmemacherin und langjährige Aktivistin gegen den Bergbau, die Workshops im guatemaltekischen Hochland anbietet. "Minenkonzerne scheinen in ganz Lateinamerika einem perfiden Leitfaden zu folgen", stellt sie fest. "Da sie angesichts der ökologischen Zerstörung durch den Goldabbau mit dem Widerstand der Anwohner rechnen müssen, versuchen sie, die indigenen Gemeinschaften zu spalten." Sie schließen Verträge mit korrupten Gemeindevorständen und versprechen der Bevölkerung den Bau von Schulen und Straßen. "Wer sich gegen die Mine stellt, wird ausgegrenzt und bedroht."
Doch die Machenschaften der Unternehmen bleiben nicht unbemerkt. "Goldcorp genießt mittlerweile einen sehr schlechten Ruf in Kanada", sagt Stephanie Boyd. Auf Druck von Amnesty International und kritischen Aktionären veranschlagt das Unternehmen nun 26,7 Millionen US-Dollar zur Behebung von Umweltschäden nach der geplanten Schließung der Marlin-Mine im Jahr 2018. Ursprünglich war dafür gerade mal eine Million US-Dollar vorgesehen. "Dieser Erfolg könnte zu einer stärkeren Anerkennung der Rechte der betroffenen Gemeinden in Guatemala führen." Unabhängige Experten schätzen die tatsächlichen Kosten für eine langfristige Wasseraufbereitung rund um die Mine jedoch auf mindestens 49 Millionen US-Dollar.
"Noch ist Marlin eine tickende Zeitbombe", sagt Álvaro Pérez, Mitglied des Gemeinderats von San Miguel Ixtahuacán. Auf der Fahrt in die Nachbargemeinde Sipakapa macht er an einer staubigen Straßenkreuzung halt. Zwischen den Pinien schimmert das unwirkliche Türkis des riesigen Stausees unterhalb der Minenanlage. "In diesen See werden toxische Abwässer geleitet. Er stellt ein hohes Sicherheitsrisiko für die gesamte Gegend dar. Was wird mit ihm geschehen, wenn die Mine geschlossen wird? Das haben wir auch den kanadischen Botschafter gefragt, aber keine Antwort erhalten."
Guatemala ist immerhin ein Land mit aktiven Vulkanen und hoher seismischer Aktivität. Abgesehen davon wird die Umgebung der Mine zweimal am Tag von Detonationen erschüttert. Mittlerweile ist der Widerstand in der Bevölkerung so stark, dass die Mine nur noch unterirdisch erweitert wird. Wo genau die Tunnelanlagen verlaufen, weiß jedoch niemand. "Ein Riss in der Staumauer könnte eine Katastrophe auslösen", sagt Pérez. Ein Riss, wie ihn viele Häuser der umliegenden Gemeinden aufgrund der permanenten Erschütterungen in Fundament und Mauern aufweisen.
Bereits im Mai 2010 hatte die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH) den vorübergehenden Stopp des Bergbaus in der Marlin-Mine gefordert. Das empfahl auch der UNO-Sonderberichterstatter über die Situation der Menschenrechte und Grundfreiheiten der Angehörigen indigener Bevölkerungsgruppen, James Anaya, nachdem er das Gebiet besucht hatte.
Im Dezember 2011 zog die CIDH ihre Empfehlung zwar teilweise zurück. Maßgeblich bleibt jedoch, dass die lokale Bevölkerung keine freiwillige, vorab und in Kenntnis der Sachlage erfolgte Zustimmung zu den Bergbauaktivitäten gegeben hat. Die von Guatemala 1996 ratifizierte ILO-Konvention 169 verlangt, dass indigene Gemeinschaften bei Angelegenheiten, die sie betreffen, konsultiert und einbezogen werden. Auch die Erklärung der UNO über die Rechte indigener Völker (UNDRIP 2007) fordert dies ein. "Das Minenunternehmen hat uns nie um Erlaubnis gebeten", erklärt Carmen Mejía von der Vereinigung für eine integrale Entwicklung in San Miguel Ixtahuacán (ADISMI).
"Weil wir Indigene sind, behandeln sie uns wie Menschen zweiter Klasse. Doch wir kennen unsere Rechte."
Carmen Mejía war eine der ersten, die sich gegen die Marlin-Mine erhob. Die Jurastudentin zeigte in der Kirche von San Miguel Ixtahuacán Dokumentarfilme über die fatalen Folgen des Bergbaus in Peru, bis die Gemeindemitglieder sich zu organisieren begannen. Vor zwei Jahren erhielt sie immer wieder Morddrohungen und entkam nur knapp einem Entführungsversuch. Wenig später wurde die Aktivistin Deodora Hernández angeschossen; sie überlebte schwer verletzt. "Heute scheint es ruhiger um die Mine geworden zu sein. Wir kämpfen jedoch auf juristischer Ebene weiter um Schadenersatz für die Gemeinden."
Mit schnellen Schritten überquert die junge Frau den Hof der Kirche von San Miguel Ixtahuacán, in dem sich Bürger aus 18 Dörfern an langen Holztischen versammelt haben. Üppige Kletterpflanzen mit rosafarbenen Blüten wachsen an aufgehängter Wäsche entlang in Richtung Morgenhimmel. Frauen kochen für die Angereisten, Männer schneiden Gemüse und stapeln Feuerholz. Versammlungen wie diese tagen mittlerweile in ganz Guatemala. Der Widerstand gegen die Marlin-Mine hat landesweit eine ganze Bewegung gegen Bergbau angestoßen.
Aldo Tobar Gramajo, Agrarökonom an der Universität San Carlos, glaubt, dass diese Bewegung ein hohes politisches Potenzial hat: "Noch sind es vor allem die Menschen auf dem Land, die von Minenprojekten betroffen sind und sich dagegen auflehnen. Doch die Bewegung wächst stark an." In einem polarisierten Land wie Guatemala habe sie darüber hinaus eine integrative Funktion. "Es herrscht eine tiefe Kluft zwischen Familien, die einst die Guerilla oder aber die paramilitärischen Milizen unterstützten. Eine weitere Spaltung verläuft zwischen Katholiken und Mitgliedern charismatischer Sekten. Ebenso zwischen den Kleinbauern im Hochgebirge, die für den Eigenbedarf produzieren, und den reichen Gemüsehändlern im Tiefland." Letzlich seien jedoch alle vom Bergbau und seinen enormen ökologischen Schäden betroffen.
Guatemala werde damit allein gelassen, kritisiert auch Bischof Álvaro Ramazzini, der prominenteste Bergbaugegner des Landes. "Die ausländischen Unternehmen hinterlassen außer einer zerstörten Umwelt nur ein paar Brotkrumen." Pläne der Regierung, die vorsahen, statt freiwilliger Lizenzgebühren zwischen ein und fünf Prozent in Zukunft 40 Prozent Gewinnabgaben einzufordern, wurden im Juli auf Druck der Konzerne fallengelassen. Und in der aktuellen Gesetzesreform zum Bergbau sind keine Volksbefragungen indigener Gemeinschaften vorgesehen. Diese haben sich in mehr als über 60 Referenden nahezu einstimmig gegen den Bergbau ausgesprochen.
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Mittelamerika.