Amnesty Report Usbekistan 23. Mai 2018

Usbekistan 2017/18

Report Cover 17/18

Die Behörden lockerten einige unverhältnismäßige Einschränkungen bezüglich der Medien und des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Mehrere gewaltlose politische Gefangene sowie andere Inhaftierte, die aufgrund politisch motivierter Anklagen lange Haftstrafen verbüßten, kamen frei; ihr Recht auf Freizügigkeit blieb jedoch eingeschränkt. Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes (SNB) nahmen einen unabhängigen Journalisten willkürlich fest und zwangen ihn unter Folter, staatsfeindliche Straftaten zu "gestehen". Die Behörden bemühten sich weiterhin um die Rückführung usbekischer Staatsangehöriger aus dem Ausland, die sie als Gefahr für die nationale Sicherheit einstuften. Lokale Behörden zwangen nach wie vor medizinisches Personal und Lehrkräfte zu Tausenden zur Arbeit auf den Baumwollfeldern. Einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen Männern blieben weiterhin strafbar.

Hintergrund

Staatspräsident Shavkat Mirziyoyev legte weitere Vorschläge für umfassende politische und wirtschaftliche Reformen vor, die die isolationistische und repressive Politik der Vergangenheit beenden sollten. Im Februar 2017 wurde eine Strategie für eine Justizreform verabschiedet, die mehrere Prioritäten definierte. So soll u. a. echte richterliche Unabhängigkeit gewährleistet, die Effizienz und Autorität der Justiz erhöht und ein stabiler Schutzmechanismus für die Rechte und Freiheiten der Bürger eingeführt werden.

Nach einer Gesetzesänderung müssen Inhaftierte jetzt spätestens nach 48 Stunden einem Richter vorgeführt werden; zuvor waren es 72 Stunden. 

Im Mai 2017 konnte erstmals ein UN-Hochkommissar für Menschenrechte das Land besuchen. Er forderte den Präsidenten auf, seine Reformversprechen in die Tat umzusetzen, um die Menschenrechte wirksam zu schützen. 

Im November 2017 erließ der Präsident ein Dekret, das den Einsatz von Folter zur Erlangung von "Geständnissen" und die Zulassung solcher "Geständnisse" als Beweismittel vor Gericht ausdrücklich verbietet.

Meinungsfreiheit – Menschenrechtsverteidiger und Journalisten

Die Behörden lockerten 2017 einige unverhältnismäßige Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Sie erlaubten ein gewisses Maß an Kritik in den Medien und ließen mehrere Inhaftierte frei, die aufgrund politisch motivierter Anklagen verurteilt worden waren. Die Regierung übte allerdings nach wie vor strenge Kontrolle über den Zugang zu Informationen aus. Unabhängige und internationale Medienplattformen, die als regierungskritisch galten, blieben weiterhin unzugänglich. 

Im Februar 2017 ließen die Behörden den Journalisten Muhammad Bekzhanov frei, der aufgrund politisch motivierter Vorwürfe 17 Jahre lang inhaftiert gewesen war. Er stand jedoch weiterhin unter Hausarrest und strenger polizeilicher Überwachung. Im Juli kam Erkin Musaev, ein ehemaliger Militärangehöriger und Mitarbeiter des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen, vorzeitig frei. Er war 2006 aufgrund konstruierter Spionagevorwürfe zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Die gewaltlosen politischen Gefangenen Azam Farmonov und Salidzhon Abdurakhmonov, der Menschenrechtsanwalt Agzam Turgunov und zwei weitere Menschenrechtsverteidiger kamen im Oktober frei. Sie alle waren in Haft gefoltert worden. Der gewaltlose politische Gefangene Isroil Kholdorov blieb weiter in Haft.

Im Juli 2017 lud der Außenminister während eines Treffens mit EU-Vertretern in Brüssel internationale NGOs und internationalen Medien ein, Usbekistan zu besuchen. Die Behörden gewährten einigen Vertretern internationaler NGOs und Medien begrenzten Zugang. 

Trotz dieser positiven Entwicklungen gab es im nationalen Fernsehen, in Zeitungen und im Internet weiterhin Verleumdungskampagnen gegen Menschenrechtsverteidiger und unabhängige Journalisten sowie deren Familienangehörige, die im Land oder im Exil lebten. 

Das repressive Klima, in dem Menschenrechtsverteidiger, Journalisten und andere Personen arbeiten mussten, wurde durch Überwachungsmaßnahmen der Behörden im In- und Ausland noch verstärkt. Die technischen Systeme und die rechtlichen Grundlagen erlaubten eine rechtswidrige Überwachung, ohne dass effektive Kontrollen und Rechtsmittel gegen einen Missbrauch zur Verfügung gestanden hätten.

Am 27. September 2017 nahmen Angehörige des Geheimdienstes SNB den Journalisten Bobomurod Abdullayev fest, als er seine Wohnung in der Hauptstadt Taschkent verließ. Man hielt ihn zwei Wochen lang ohne Kontakt zur Außenwelt in einer Untersuchungshafteinrichtung des SNB fest, die für den Einsatz von Folter bekannt ist. Der SNB warf ihm vor, ein Pseudonym verwendet zu haben, um im Internet Artikel zu veröffentlichen, die den Sturz der Regierung forderten und Unruhe im Land schürten, was mit bis zu 20 Jahren Haft bestraft werden kann. Der SNB setzte die Angehörigen von Bobomurod Abdullayev unter Druck, sich nicht an Menschenrechtsorganisationen oder Medien zu wenden, und gewährte ihm erst zehn Wochen nach seiner Festnahme begrenzten und überwachten Zugang zu einem Rechtsbeistand seiner Wahl. Im November 2017 verlängerten die Behörden die Untersuchungshaft um weitere drei Monate. Am 26. Dezember warf der SNB dem Rechtsbeistand vor, er habe den Fall in der Öffentlichkeit falsch dargestellt, und zwang Bobomurod Abdullayev, seinem Rechtsbeistand das Mandat zu entziehen und sich von einem staatlichen Pflichtverteidiger vertreten zu lassen.

Recht auf Freizügigkeit

Im August 2017 kündigte der Präsident an, die gesetzliche Vorschrift, wonach usbekische Staatsangehörige das Land nur mit offizieller Erlaubnis verlassen dürfen, werde 2019 abgeschafft. Die Behörden verhängten jedoch nach wie vor Reiseverbote gegen entlassene Häftlinge, die aufgrund politisch motivierter Anklagen verurteilt worden waren. Einigen ehemaligen Häftlingen wurde weiterhin verboten, zu dringenden medizinischen Behandlungen ins Ausland zu reisen. 

Die Menschenrechtsanwältin Polina Braunerg, die auf einen Rollstuhl angewiesen war, starb im Mai 2017 an einem Schlaganfall, nachdem man ihr mehrfach die Erlaubnis verweigert hatte, sich im Ausland medizinisch behandeln zu lassen. 

Der ehemalige Parlamentsabgeordnete Murad Dzhuraev, der 20 Jahre lang aus politischen Gründen inhaftiert und im November 2015 freigelassen worden war, erhielt im Oktober 2017 nach zunehmendem internationalen Druck endlich die Erlaubnis, zu einer dringenden medizinischen Behandlung nach Deutschland auszureisen. Am 4. Dezember starb er plötzlich, noch ehe er das Land hatte verlassen können. 

Am 22. Februar 2017 kam der Journalist Muhammad Bekzhanov nach 17 Jahren Haft frei. Seine Strafe war nach einem unfairen Gerichtsverfahren und Folter verhängt und willkürlich verlängert worden. Ende 2017 war ihm noch nicht erlaubt worden, ein Ausreisevisum zu beantragen, um zu seiner Familie ins Ausland zu reisen. Er durfte auch nicht nach Taschkent fahren, um eine dringende medizinische Behandlung vornehmen zu lassen, die aufgrund der erlittenen Folter und anderweitiger Misshandlungen erforderlich war.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen

Die Behörden erklärten wiederholt, dass sie nicht die Absicht hätten, einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen Männern straffrei zu stellen. Diese galten nach wie vor als Straftat und wurden mit Haftstrafen von bis zu drei Jahren belegt.

Einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen blieben stark stigmatisiert, und Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche wurden regelmäßig Opfer von Gewalt, willkürlicher Festnahme, Inhaftierung und Diskriminierung durch staatliche und nichtstaatliche Akteure.

Zwangsarbeit und Sklaverei

Im August 2017 erließ der Präsident ein Dekret, das die zwangsweise Rekrutierung von Minderjährigen, Studierenden, medizinischem Personal und Lehrkräften zur Arbeit auf den Baumwollfeldern offiziell verbot. In einer Rede vor der UN-Generalversammlung im September räumte Präsident Mirziyoyev ein, dass es in der usbekischen Baumwollindustrie Zwangsarbeit gebe, und versprach, diese Praxis zu beenden.

Menschenrechtsverteidiger und unabhängige Beobachter dokumentierten jedoch Hunderte Fälle, in denen medizinisches Personal und Lehrkräfte gezwungen worden waren, unter äußerst schwierigen Bedingungen auf den Baumwollfeldern zu arbeiten. Aus der Dokumentation ging auch hervor, dass in manchen Regionen nach wie vor Minderjährige die Baumwolle ernteten, trotz des im August ergangenen Verbots. Die Behörden drohten Personen, die die Arbeit auf den Baumwollfeldern verweigerten, mit hohen Geldbußen, Entlassung und dem Verlust von Sozialleistungen. 

Die Polizei und lokale Behörden versuchten, Menschenrechtsaktivisten daran zu hindern, die Arbeit auf den Baumwollfeldern zu beobachten. In einigen Fällen griffen sie dabei auf Einschüchterung, Gewalt und willkürliche Festnahmen zurück. 

Im März 2017 nahm die Polizei die Menschenrechtsverteidigerin Elena Urlaeva fest und wies sie zwangsweise in eine psychiatrische Klinik ein, in der sie einen Monat lang bleiben musste. Die Behörden wollten damit verhindern, dass sie an einem geplanten Treffen mit Delegationen der Weltbank und der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization – ILO) teilnehmen konnte, die Taschkent besuchten, um mit ihr über ihre Erkenntnisse in Bezug auf die verbreitete Praxis der Zwangsarbeit in der Baumwollindustrie zu sprechen. Zwischen August und November 2017 nahm die Polizei Elena Urlaeva immer wieder für kurze Zeiträume in Haft, um sie daran zu hindern, mit medizinischem Personal und Lehrkräften auf den Baumwollfeldern zu sprechen. 

Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit

Im August 2017 forderte der Präsident öffentlich, die Anklagen gegen Personen, die verdächtigt wurden, verbotenes religiöses oder "extremistisches" Material zu besitzen, müssten überprüft werden. Er forderte außerdem, dass Personen "rehabilitiert" werden sollten, die es bereuten, sich nicht genehmigten islamischen Bewegungen angeschlossen zu haben. Außerdem erklärten die Behörden, dass sie mehr als 15000 Namen von einer "schwarzen Liste" gestrichen hätten, die ursprünglich bis zu 18000 Personen umfasste, die im Verdacht standen, Mitglied einer verbotenen oder nicht zugelassenen religiösen Bewegung oder Gruppe zu sein. 

Die Sicherheitskräfte nahmen jedoch nach wie vor zahlreiche Personen unter dem Vorwurf fest, Mitglied einer verbotenen "extremistischen" Gruppe zu sein, darunter auch Arbeitsmigranten, die aus dem Ausland zurückkehrten. Angehörige und Menschrechtsaktivisten gaben an, dass Polizei und Geheimdienst viele Personen, denen Mitgliedschaft in einer verbotenen Gruppe zur Last gelegt wurde, folterten, damit sie konstruierte Anschuldigungen "gestanden". Sie berichteten außerdem, dass Richter glaubhafte Foltervorwürfe weiterhin ignorierten und die erzwungenen "Geständnisse" als Beweismittel zuließen, selbst wenn sie im Gerichtssaal mit körperlichen Spuren der Folter konfrontiert waren. 

Im Oktober 2017 besuchte der UN-Sonderberichterstatter über Religions- und Weltanschauungsfreiheit auf Einladung der Regierung das Land. Er war der erste Mandatsträger der besonderen Verfahren der UN, dem seit 2002 Zugang in das Land gewährt wurde. In seinem vorläufigen Ergebnisbericht stellte er fest, dass die Religionsausübung "übertriebenen Vorschriften unterliegt, die der Sicherheit Vorrang gegenüber der Freiheit einräumen".

Antiterrormaßnahmen und Sicherheit

Die Behörden sorgten 2017 nach wie vor durch Auslieferungsverfahren oder in anderer Form für Rückführungen usbekischer Staatsangehöriger aus dem Ausland, die sie als Bedrohung der "verfassungsmäßigen Ordnung" oder der nationalen Sicherheit einstuften. 

SNB-Mitarbeiter nahmen weiterhin geheime rechtswidrige Überstellungen aus dem Ausland vor und entführten gesuchte Personen. 

Die entführten oder in anderer Weise rückgeführten Personen wurden oft in geheimen Einrichtungen ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten und gefoltert oder anderweitig misshandelt, um "Geständnisse" oder belastende Aussagen über andere Personen zu erzwingen. In vielen Fällen setzten die Sicherheitskräfte die Angehörigen der Inhaftierten unter Druck, sich nicht an Menschenrechtsorganisationen zu wenden und keine Anzeige wegen mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen zu erstatten.

Bericht von Amnesty International

"We will find you, anywhere": The global shadow of Uzbekistani surveillance .

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