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Frankreich 2017
Als Reaktion auf mehrere gewaltsame Anschläge wurde der Ausnahmezustand in Frankreich im Laufe des Jahres 2016 viermal verlängert. Die dadurch möglichen Maßnahmen führten zu einer unangemessenen Einschränkung der Menschenrechte. Im Oktober 2016 räumten die Behörden eine informelle Siedlung in Calais, in der mehr als 6500 Migranten und Asylsuchende lebten.
ANTITERRORMASSNAHMEN UND SICHERHEIT
2016 kam es zu mehreren bewaffneten Anschlägen. Am 13. Juni wurden in der Region Paris ein Polizist und seine Frau in ihrer Wohnung getötet. Am 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, starben in Nizza 86 Menschen, als ein Mann einen Lastwagen absichtlich in eine feiernde Menge lenkte. Am 26. Juli wurde in der Nähe von Rouen in Nordwestfrankreich ein Priester in seiner Kirche getötet.
Eine Woche nach dem Anschlag in Nizza beschloss das Parlament, den Ausnahmezustand, der nach den koordinierten Terroranschlägen in Paris im November 2015 verhängt worden war, bis zum 26. Januar 2017 zu verlängern. Am 15. Dezember 2016 stimmten die Abgeordneten einer weiteren Verlängerung bis zum 15. Juli 2017 zu.
Im Rahmen des Ausnahmezustands hatten das Innenministerium und die Polizei Sondervollmachten. So konnten die Behörden z. B. Hausdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluss vornehmen oder aufgrund vager Verdachtsmomente, die für Strafverfolgungsmaßnahmen nicht ausreichten, die Bewegungsfreiheit von Personen einschränken.
Auf der Grundlage dieser Sonderbefugnisse gab es 2016 mehr als 4000 Hausdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluss, mehr als 400 Personen wurden unter Hausarrest gestellt. Am 22. November befanden sich noch 95 Personen unter Hausarrest. Die Maßnahmen schränkten die Bewegungsfreiheit der Betroffenen und ihr Recht auf Achtung des Privatlebens unverhältnismäßig stark ein.
Am 10. Juni 2016 äußerte sich der UN-Ausschuss gegen Folter besorgt über Vorwürfe, wonach die Polizei bei Hausdurchsuchungen mit exzessiver Gewalt vorgegangen sei, und forderte eine Untersuchung des Sachverhalts.
Das Parlament stärkte mit neuen Rechtsvorschriften die Befugnisse von Verwaltung und Justiz bei der Terrorbekämpfung. Ein am 3. Juni 2016 veröffentlichtes Gesetz ermöglichte es dem Innenminister, Überwachungsmaßnahmen gegen Personen zu verhängen, von denen vermutet wurde, dass sie aus einem Konfliktgebiet zurückgekehrt waren und eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellten. Die Justizbehörden erhielten die Befugnis für die Genehmigung von Hausdurchsuchungen zu jeder Tages- und Nachtzeit, wenn es um die Ermittlung von terroristischen Straftaten ging.
Außerdem stellte das Gesetz den regelmäßigen Besuch von Internetseiten, die zum Terrorismus aufrufen oder diesen verherrlichen, unter Strafe, es sei denn, er erfolgte in gutem Glauben, zu Forschungszwecken oder aus anderen beruflichen Gründen mit dem Ziel, die Öffentlichkeit zu informieren. Durch die vage Definition der Straftat bestand die Gefahr, dass auch Personen strafrechtlich verfolgt werden könnten, deren Verhalten sich im Rahmen der legitimen Wahrnehmung ihres Rechts auf Meinungs- und Informationsfreiheit bewegt.
RECHTE VON FLÜCHTLINGEN UND MIGRANTEN
Am 24. Oktober 2016 begannen die Behörden, eine informelle Siedlung in Calais zu räumen, die unter der Bezeichnung "Dschungel von Calais" bekannt war und in der mehr als 6500 Migranten und Asylsuchende lebten. Die Räumung der Siedlung dauerte mehrere Tage. Man brachte die Bewohner in Erstaufnahmelager in ganz Frankreich und stellte ihnen Informationen über das Asylverfahren zur Verfügung. Die Räumung erfolgte, ohne dass die Migranten und Asylsuchenden zuvor konsultiert oder angemessen informiert worden waren.
Zivilgesellschaftliche Organisationen äußerten sich besorgt über die Situation der etwa 1600 unbegleiteten Minderjährigen in dem Lager. Im Interesse der Betroffenen und mit Blick auf eine mögliche Familienzusammenführung in Großbritannien sollte deren Lage von französischen und britischen Behörden gemeinsam geprüft werden. Die personellen Kapazitäten reichten jedoch nicht aus, um alle Minderjährigen zu registrieren. Berichten zufolge wurden einige von ihnen mit der Begründung abgelehnt, sie seien bereits volljährig, ohne dass ihr Fall gründlich untersucht wurde. Am 2. November 2016 zeigte sich der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes besorgt über die Lage von Minderjährigen, die während der Räumung keine Unterkunft, Nahrungsmittel und medizinische Versorgung erhalten hatten. Bis Mitte November 2016 waren etwa 330 Minderjährige nach Großbritannien gebracht worden.
Da die Aufnahmekapazitäten und finanziellen Mitteln für die Registrierung der Asylsuchenden im Großraum Paris nicht ausreichten, mussten mehr als 3800 Asylsuchende im 19. Arrondissement der französischen Hauptstadt unter entwürdigenden Bedingungen monatelang im Freien übernachten, ehe sie am 3. November 2016 in Aufnahmezentren gebracht wurden.
Am 29. November 2016 lehnten die Behörden den Asylantrag eines Sudanesen aus dem kriegsgeschüttelten Bundesstaat Südkordofan ab und schoben ihn in den Sudan ab, obwohl ihm dort Verfolgung drohte. Am 20. November wurde ein Sudanese aus der Provinz Darfur, der in Calais festgenommen worden war, aus dem Gewahrsam entlassen. Ihm drohte nicht mehr die Abschiebung.
Die Regierung verpflichtete sich, 6000 Flüchtlinge im Rahmen der Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei zu übernehmen und 3000 Flüchtlinge aus dem Libanon in Frankreich anzusiedeln.
Am 9. Dezember 2016 verwarf das Oberste Verwaltungsgericht eine Anordnung des Premierministers vom September 2015, den kasachischen Staatsbürger Moukhtar Abliazov wegen Finanzstraftaten an Russland auszuliefern, weil das Auslieferungsersuchen der russischen Behörden politisch motiviert war.
RECHT AUF VERSAMMLUNGSFREIHEIT
Von März bis September 2016 gab es wiederholt Protestdemonstrationen gegen die von der Regierung unterstützte Reform des Arbeitsrechts, die im Juli verabschiedet wurde. Dabei kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen einer Minderheit der Demonstrierenden und der Polizei.
Seit der vierten Verlängerung des Ausnahmezustands im Juli 2016 war es den Behörden ausdrücklich erlaubt, öffentliche Kundgebungen mit der Begründung zu verbieten, dass sie nicht in der Lage seien, die öffentliche Ordnung zu gewährleisten. Dutzende von Demonstrationen wurden untersagt, und gegen Hunderte Personen wurden Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit verfügt, um sie von der Teilnahme an Demonstrationen abzuhalten.
In mehreren Fällen ging die Polizei mit exzessiver Gewalt gegen Protestierende vor. Der Einsatz von Tränengas, Gummigeschossen und Schockgranaten führte zu Hunderten von Verletzten.
DISKRIMINIERUNG
Roma, die in informellen Siedlungen lebten, wurden 2016 weiterhin Opfer rechtswidriger Zwangsräumungen, ohne dass man sie im Vorfeld ernsthaft konsultierte und ihnen Ersatzunterkünfte anbot. Nach Angaben zivilgesellschaftlicher Organisationen waren im ersten Halbjahr 4615 Personen betroffen. Am 13. Juli 2016 forderte der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte die französischen Behörden auf, die von Zwangsräumungen Betroffenen rechtzeitig in Kenntnis zu setzen, sie angemessen zu informieren und ihnen Ersatzunterkünfte anzubieten.
Im Oktober 2016 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das es transgeschlechtlichen Personen ermöglicht, ihr Geschlecht offiziell ändern zu lassen, ohne irgendeine medizinische Anforderung erfüllen zu müssen. Allerdings verlangte das Gesetz von Transgeschlechtlichen weiterhin, dass ihr Name und ihr Aussehen zu dem geänderten Geschlecht passen müssen.
In mehreren Städten verboten Bürgermeister Badekleidung, die als unvereinbar mit Hygieneanforderungen, dem Grundsatz des Säkularismus und der Wahrung der öffentlichen Ordnung betrachtet wurde. Die Maßnahme richtete sich vor allem gegen Ganzkörperbadeanzüge ("Burkinis"). Am 26. August 2016 hob das Oberste Verwaltungsgericht ein entsprechendes Verbot der südfranzösischen Gemeinde Villeneuve-Loubet auf, weil es zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung nicht erforderlich sei.
UNTERNEHMENSVERANTWORTUNG
Am 29. November 2016 verabschiedete die Nationalversammlung ein Gesetz, das bestimmte französische Großunternehmen zur Erstellung eines "Sorgfaltsplans" verpflichtet, um sicherzustellen, dass ihre geschäftlichen Aktivitäten und die ihrer Tochtergesellschaften sowie ihre Geschäftsbeziehungen zu anderen Unternehmen keine schweren Menschenrechtsverstöße und ökologischen Schäden verursachen. Bei Nichteinhaltung der Bestimmung drohen ihnen Geldbußen. Wenn unzureichende Pläne Menschenrechtsverstöße zur Folge haben, können die Opfer das Unternehmen vor einem französischen Gericht auf Schadenersatz verklagen. Ende 2016 war der Gesetzentwurf noch im Senat anhängig.
WAFFENHANDEL
Im Juni 2016 verklagte eine palästinensische Familie das französische Unternehmen Exxelia Technologies wegen Beteiligung an Totschlag und Kriegsverbrechen im Gazastreifen. Drei Söhne der Familie waren 2014 von einer Rakete getötet worden, die die israelischen Streitkräfte auf ihr Haus in Gaza-Stadt abgefeuert hatten. Die Ermittlungen ergaben, dass ein Bauteil der Rakete von Exxelia Technologies hergestellt worden war. Frankreich blieb 2016 der viertgrößte Waffenexporteur weltweit und belieferte auch Länder wie Saudi-Arabien und Ägypten.