Amnesty Report Belgien 15. Mai 2017

Belgien 2017

Amnesty Report 2016 / 2017

Nach den Terroranschlägen in der Hauptstadt Brüssel im März 2016 wurden eine Reihe neuer Gesetze und Richtlinien erlassen. Zivilgesellschaftliche Organisationen erhielten weiterhin Berichte darüber, dass die Polizei Persönlichkeitsprofile nach ethnischen Kriterien erstellte. Die Bedingungen in belgischen Gefängnissen waren nach wie vor schlecht, und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kritisierte den Umgang mit psychisch kranken Straftätern.

ANTITERRORMAßNAHMEN UND SICHERHEIT

Am 22. März 2016 wurden in Brüssel 32 Menschen getötet und Hunderte verletzt, als drei Selbstmordattentäter zwei koordinierte Anschläge durchführten. Danach verstärkten die Behörden die Umsetzung der zahlreichen Sicherheitsmaßnahmen, welche die Regierung nach den Terroranschlägen von Paris im November 2015 angekündigt hatte.

Die Behörden weiteten den Anwendungsbereich der gesetzlichen Bestimmungen zu terrorismusbezogenen Straftaten aus, lockerten die Verfahrensgarantien und erließen neue Richtlinien zur Verhinderung von "Radikalisierung". Einige der Maßnahmen gaben Anlass zu Bedenken hinsichtlich der Einhaltung des Legalitätsprinzips, einschließlich der Rechtssicherheit, und der Rechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit.

Im Februar 2016 kündigte die belgische Regierung den Plan Canal zur Bekämpfung der Radikalisierung in einigen Stadtteilen von Brüssel an, der u. a. eine Verstärkung der Polizeipräsenz und eine Verschärfung der administrativen Kontrolle bestimmter Vereinigungen vorsieht.

Im April 2016 stimmte die Regierung für die Einrichtung einer Datenbank zur Erleichterung des behördenübergreifenden Austauschs von Informationen zu Personen, die verdächtigt werden, ins Ausland gereist zu sein, um terroris-musbezogene Straftaten zu begehen. Im Juli kündigte die Regierung die Erstellung einer weiteren Datenbank zur Registrierung von "Hasspredigern" an. Im Dezember verabschiedete das Parlament eine Gesetzesvorlage zur Ausweitung der Überwachungsbefugnisse der Polizei.

Gleichfalls im Juli erweiterte das Parlament die gesetzlichen Bestimmungen zum Tatbestand der Anstiftung zu terrorismusbezogenen Straftaten und lockerte die Voraussetzungen für die Anordnung von Untersuchungshaft gegen Personen, denen terrorismusbezogene Straftaten vorgeworfen werden. Im Dezember 2016 verabschiedete das Parlament Gesetzesvorlagen, die vorbereitende Handlungen zur Begehung terrorismusbezogener Straftaten unter Strafe stellen und die Aufbewahrungsdauer von Passagierlisten regeln.

Obwohl die Regierung im Mai 2016 im Rahmen der Allgemeinen Regelmäßigen Überprüfung durch den UN-Menschenrechtsrat zusagte sicherzustellen, dass neue Antiterrormaßnahmen den Menschenrechten nicht zuwiderlaufen würden, unternahm sie kaum etwas, um die Auswirkungen der ergriffenen Maßnahmen auf die Menschenrechte zu prüfen.

HAFTBEDINGUNGEN

Die Haftbedingungen blieben aufgrund von Überbelegung, baufälligen Einrichtungen und ungenügendem Zugang zu grundlegenden Versorgungsleistungen, einschließlich medizinischer Betreuung, unzureichend. Im April 2016 traten die belgischen Justizvollzugsbediensteten in einen dreimonatigen Streik, wodurch sich die Haftbedingungen und der Zugang zu Gesundheitsleistungen noch weiter verschlechterten.

Trotz einiger positiver Gesetzesänderungen im Oktober 2016 waren viele Häftlinge mit psychischen Erkrankungen auch weiterhin in normalen Gefängnissen ohne ausreichende Betreuung und Behandlung inhaftiert. Im September stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall W. D. gegen Belgien fest, dass die Inhaftierung von Straftätern mit psychischen Erkrankungen ohne hinreichende Versorgung weiter ein strukturelles Problem darstelle. Der Gerichtshof wies die Regierung an, innerhalb von zwei Jahren strukturelle Refor-men durchzuführen.

DISKRIMINIERUNG

Im April 2016 vermeldete das Interföderale Zentrum für Chancengleichheit UNIA nach den Terroranschlägen von Brüssel eine Zunahme der Diskriminierung von Menschen muslimischen Glaubens, insbesondere am Arbeitsplatz. Einzelne Bürger und zivilgesellschaftliche Organisationen berichteten Fälle von ethnischem und religiösem Profiling durch die Polizei.

Am 9. Dezember 2016 verständigte sich die Regierung auf einen Gesetzentwurf über die Änderung des Gesetzes über die Anerkennung des amtlichen Geschlechts. Falls die Gesetzesänderung verabschiedet wird, können transgeschlechtliche Personen ihr Geschlecht auf der Grundlage ihrer informierten Zustimmung und ohne die Erfüllung medizinischer Vorgaben amtlich eintragen lassen.

WAFFENHANDEL

Auch 2016 erteilten die Regionalregierungen Genehmigungen für Waffenlieferungen an Akteure, die in den Konflikt im Jemen involviert waren, insbesondere an Saudi-Arabien. Saudi-Arabien war Berichten zufolge in den Jahren 2014 und 2015 für die Region Wallonien mit Abstand der wichtigste Handelspartner für Waffen.

GEWALT GEGEN FRAUEN UND MÄDCHEN

Im März 2016 ratifizierte Belgien das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention). Im Juni verabschiedete die Regierung einen verbindlichen politischen Rahmen, in dem der Bekämpfung von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt mithilfe der Polizei und der Strafverfolgungsbehörden Priorität eingeräumt wurde.

Im Mai 2016 erklärte das Nationale Institut für Kriminalistik und Kriminologie, dass 70 % der gemeldeten Fälle von häuslicher Gewalt keine strafrechtliche Verfolgung nach sich zögen und dass es nicht gelungen sei, die Zahl der Wiederholungsfälle von häuslicher Gewalt durch die bestehenden Maßnahmen zur Strafverfolgung zu reduzieren.

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