Informieren Deutschland 19. November 2020

Rassistische Strukturen zu Fall bringen

Rassismus im Alltag protokolliert
Porträtfoto eines Mannes im Anzug vor einer grünen Büropflanze

Der Anwalt Blaise Francis El Mourabit betreut ehrenamtlich Menschen, die juristisch gegen Rassismus vorgehen. Hier berichtet er über seine Erfahrungen – insbesondere mit rassistischem Fehlverhalten bei der deutschen Polizei.



Es melden sich bei mir vor allem Menschen mit dunkler Hautfarbe und afrikanischen Wurzeln, sowie viele Personen mit arabischen und türkischen Bezügen, Sinti und Roma und jüdische Menschen aus ganz Deutschland. Sie wollen juristisch gegen rassistische Vorfälle vorgehen. Ich vertrete sie als Anwalt kostenfrei in meiner Freizeit.

Ich biete diese gemeinnützige rechtliche Beratung schon länger an. Nach dem Mord an George Floyd im Juni 2020 in den USA habe ich öffentlichkeitswirksam dazu aufgerufen, sich auch rechtlich gegen Rassismus zu wehren. Seitdem bin ich in mehr als 350 Fällen tätig geworden.

Rund ein Viertel meiner Fälle betrifft die Polizei: Das Spektrum reicht von anlasslosen Kontrollen, dem sogenannten Racial Profiling, über offene rassistische Beleidigungen – etwa auch mit dem N-Wort – , bis hin zu massiver, rechtswidriger Polizeigewalt. 

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Um zwei Beispiele zu nennen: Ein Mandant aus Essen wurde von einem Polizisten vor den Augen seiner Familie zu Boden geworfen, gewürgt und geschlagen. Wie er in Übereinstimmung mit Zeugenaussagen beteuert, ist er selbst nicht gewalttätig gewesen. Ein anderer Mandant wurde in Frankfurt von drei Polizisten auf offener Straße zusammengeschlagen, als er bereits wehrlos am Boden lag.

Hier zeigt sich, dass die Polizei ein Problem mit Rassismus hat. Dazu zählt einerseits klar rassistisch intendiertes Handeln, andererseits unterbewusstes Verhalten. Letzteres ist dadurch mitverursacht sind, dass wir alle in Deutschland rassistisch sozialisiert sind.

Auch ich selbst mache immer wieder negative Erfahrungen mit der Polizei – die wohl schlimmste im Alter von 19 Jahren: Als ich mit meinem ersten Auto durch Wuppertal fuhr, richtete ein Zivilpolizist aus dem fahrenden Nebenwagen unangekündigt eine Waffe auf mich, um mich zum Anhalten zu bewegen.

Er und sein Kollege gingen davon aus, dass ich mein teuer aussehendes Auto gestohlen hätte. Es ging laut, rabiat und mit gezückter Waffe weiter. Ich hatte Todesangst und habe geweint. Das Trauma blieb. Ich vorverurteile nicht alle Polizistinnen und Polizisten. Aber jedes Mal, wenn ich seitdem Polizei sehe, habe ich Angst. 

Polizisten sollten jedes rassistische Fehlverhalten aufgezeigt bekommen: durch Beschwerden, Anzeigen, Verfahren. In einer Demokratie ist es wichtig, die Polizei zu kontrollieren. Da das Gewaltmonopol zurecht beim Staat liegt und die Polizei weitreichende Befugnisse hat, in Grundrechte einzugreifen, braucht es als Gegenstück dazu Kontrolle. 

Hier ist die Politik in der Pflicht. Statt rassistische Vorfälle mit Verweis auf sogenannte Einzelfälle zu relativieren, muss sie Betroffene besser vor Rassismus bei der Polizei schützen.

Blaise Francis
El Mourabit
Rechtsanwalt

Und hier ist die Politik in der Pflicht. Statt rassistische Vorfälle mit Verweis auf sogenannte Einzelfälle zu relativieren, muss sie Betroffene besser vor Rassismus bei der Polizei schützen: durch eine bundesweite Kennzeichnungspflicht für alle Polizistinnen und Polizisten und eine Pflicht zum Einschalten von Bodycams, sobald in Grundreche eingegriffen wird.

Darüber hinaus fordere ich ein Landes-Antidiskriminierungsgesetz für alle Bundesländer. Bisher gibt es das nur in Berlin. Dieses Gesetz setzt die EU-Antirassismusrichtlinie um, die Deutschland in den anderen Bundesländern nicht vollständig umgesetzt hat.

Solche Antidiskriminierungsgesetze würden alle Behörden mehr in die Pflicht nehmen und gerade Betroffenen und Antidiskriminierungsstellen mehr Handhabe bieten – etwa durch ein Verbandsklagerecht.  

Wer solche Maßnahmen pauschal ablehnt, lässt viele Menschen im Stich, die erwarten, von der Polizei rechtmäßig behandelt zu werden und sich nach rassistischen Vorfällen auch angemessen wehren zu können. Deshalb fordere ich grundlegende Veränderungen und setze mich zugleich weiterhin gegen Rassismus ein.

Protokoll: Andreas Koob

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