Pressemitteilung Aktuell 30. Oktober 2025

Europa: Menschenrechtsverteidiger*innen fordern Ende von Diskriminierung bei der Vergabe von Schengen-Visa

Makroaufnahme eines Visums, zu sehen sind der Schriftzug "Visum", die EU-Flagge und der Schriftzug Deutschland

Von Diskriminierung bei der Visumsvergabe sind vor allem rassifizierte Gruppen wie Schwarze, Asiat*innen und Muslime betroffen. Hierzu zählen insbesondere auch Frauen, junge Aktivist*innen und Menschen mit Behinderung.

Menschenrechtsverteidiger*innen aus 104 Ländern im Globalen Süden fordern ein Ende von Rassismus, der Einschränkung ihrer Arbeit und fehlendem Schutz durch die systematisch restriktive Vergabe von Visa für den Schengen-Raum. Ein neuer Bericht von Amnesty International dokumentiert die Probleme der gängigen Vergabepraxis und ruft die Schengen-Staaten dazu auf, das Recht auf Nichtdiskriminierung zu achten sowie strukturelle Barrieren endlich abzubauen. Bestehende gesetzliche Möglichkeiten zum besseren Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen müssen unverzüglich angewandt werden. 

Schengen-Visa erlauben 90 Tage Aufenthalt und grenzüberschreitendes Reisen in den 29 Unterzeichnerstaaten des Schengener Abkommens. Fast alle Unterzeichnerstaaten sind auch Mitglieder der Europäischen Union. Für Menschenrechtsverteidiger*innen aus aller Welt bieten die Visa die Möglichkeit, Austausch- und Weiterbildungsangeboten in den Unterzeichnerstaaten wahrzunehmen und temporären Schutz vor Risiken und persönlichen Gefahren im Heimatland zu finden, um in Sicherheit die eigene Menschenrechtsarbeit voranzutreiben.

Systemischer Rassismus prägt die Visapolitik der Schengen-Staaten. Der neue Bericht deckt auf, wie koloniale Hierarchien bis heute fortbestehen und Menschenrechtsverteidiger*innen aufgrund ihrer Herkunft marginalisieren.

Elisabeth
Kaneza
Expertin für Antirassismus, Intersektionalität und Geschlechtergerechtigkeit bei Amnesty International

In der Praxis der Visa-Vergabe werden aber nicht alle Menschenrechtsverteidiger*innen gleich behandelt: Für 104 Länder zumeist aus Afrika, Asien und dem Nahen Osten gelten Restriktionen bei der Visavergabe, überproportional betroffen sind rassifizierte Gruppen wie Schwarze, Asiat*innen und Muslim*innen. Darunter fallen insbesondere auch Frauen, junge Aktivist*innen und Menschen mit Behinderung. Zu den Restriktionen bei der Vergabe gehören:

  • dass nicht jeder Schengen-Staat eine diplomatische Vertretung in den betroffenen Ländern hat, so dass Menschen teilweise weite und gefährliche Reisen auf sich nehmen müssen, um ein Visum zu beantragen,
  • lange Wartezeiten bei der Terminvergabe und bis zur Entscheidungsverkündung, 
    extra kurze Aufenthaltserlaubnisse,
  • hohe bürokratische Auflagen, etwa die Forderung, umfassende Nachweise über Einkommen, Besitz, Anstellung und die eigene Familienherkunft erbringen zu können und
  • die Ablehnung von Visaanträgen. 

"Systemischer Rassismus prägt die Visapolitik der Schengen-Staaten. Der neue Bericht deckt auf, wie koloniale Hierarchien bis heute fortbestehen und Menschenrechtsverteidiger*innen aufgrund ihrer Herkunft marginalisieren", kritisiert Elisabeth Kaneza, Expertin für Antirassismus, Intersektionalität und Geschlechtergerechtigkeit bei Amnesty International in Deutschland die aktuelle Vergabepraxis.

Auch Deutschland ist kein sicherer Hafen

Erfahrungsberichte von Menschenrechtsverteidiger*innen belegen außerdem, dass auch die Visa-Vergabe durch deutsche Stellen mit unangemessenen Hürden verbunden ist. Wiederholt waren in der Vergangenheit Termine mit zu langen Wartezeiten verbunden, Visa-Anträge wurden zu langsam oder nur auf Druck durch zivilgesellschaftliche Initiativen hin bearbeitet. 

"Deutschland verletzt als Mitgliedsstaat des Schengen-Raums einerseits den EU-Visakodex, aber auch das Recht auf Nicht-Diskriminierung, das in den Menschenrechten und im Unionsrecht klar verankert ist. Menschen dürfen nicht aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, Rassifizierung oder Religion diskriminiert werden", ergänzt Elisabeth Kaneza. 

Unterzeichnerstaaten müssen EU-Vorgaben erfüllen

Die Europäische Kommission hat das Problem offenbar erkannt: Bereits im Juni 2024 veröffentlichte sie ein aktualisiertes Visahandbuch, dass Leitlinien und Empfehlungen bereithält, wie Visumsanträge von Menschenrechtsverteidiger*innen erleichtert werden können. 

Amnesty International fordert die Länder des Schengen-Raums dazu auf, die Empfehlungen des Handbuchs unverzüglich umzusetzen und Sorge dafür zu tragen, dass Visabeamt*innen und externe Dienstleister Menschenrechtsverteidiger*innen besser schützen. Dazu gehört auch ein vereinfachtes Visumverfahren, die beschleunigte Bearbeitung von Anträgen und die Ausstellung von Langzeitvisa für mehrfache Einreisen.

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