Artikel 10. Dezember 2018

Südasien im Fokus

Schwarz-Weiß-Porträtfoto einer Frau mit kinnlangen offenen Haaren

Asma Jahangir (1952–2018) bei ihrem Besuch bei Amnesty International in den Niederlanden im Jahr 1998

Das Jahr 2018 begann mit dem Tod einer der bekanntesten Menschenrechtsaktivistinnen der Region: der pakistanischen Anwältin Asma Jahangir. Jahrzehntelang stand sie beispielhaft für die Kämpfe von Millionen Menschen in Südasien. Sie ging gegen die politische Unterdrückung auf die Straße. Sie forderte ein Ende des Verschwindenlassens und außergerichtlicher Hinrichtungen. Sie wurde verprügelt und eingesperrt, weil sie sich für Frauenrechte einsetzte. Im Gerichtssaal wurde sie wegen ihrer Arbeit als Anwältin bedroht. Dort vertrat sie Frauen, die ihren gewalttätigen Ehemännern entkommen wollten, in Schuldknechtschaft arbeitende Menschen, die sich von ihren unterdrückerischen "Besitzer_innen" befreien wollten, oder Angehörige religiöser Minderheiten, die Schutz benötigten, nachdem sie von einem fanatischen Mob angegriffen worden waren. Zeitlebens kämpfte Asma Jahangir gegen Ungerechtigkeit. Am 11. Februar 2018 erlag sie einem Schlaganfall.

Für die Menschenrechtsverteidiger_innen in Pakistan war der Verlust von Asma Jahangir deutlich spürbar. Zahlreiche Personen wurden willkürlich festgenommen oder überwacht, wurden Opfer des Verschwindenlassens, eingeschüchtert und verfolgt.

Menschenrechts­verteidiger_innen

Grundlage waren neue drakonische Gesetze, die die Meinungs­freiheit – sowohl offline als auch online – massiv einschränken. Aktivist_innen waren Cyber-­Attacken ausgesetzt, z. B. indem ihre elektronischen Geräte über geschickt gefälschte Online-Profile heimlich mit Malware infiziert wurden.

Mitglieder der friedlichen Menschenrechtsbewegung Pashtun Tahaffuz Movement (PTM) wurden wegen Online-Kommentaren festgenommen und unter dem Vorwurf der Volksverhetzung angeklagt. Sie setzen sich für den Schutz der paschtunischen Bevölkerung ein sowie gegen das Verschwindenlassen und außergerichtliche Hinrichtungen.

Auch auf der anderen Seite der Grenze, in Indien, wurden Menschenrechtsverteidiger_innen systematisch dämonisiert und kriminalisiert. Mit Hilfe der strikten Antiterrorgesetze wurden im Dorf Bhima Koregaon, im Bundesstaat Maharashtra, zehn bekannte Aktivist_innen festgenommen, unter ihnen Sudha Bharadwaj, Shoma Sen und Arun Ferreira. Der Dalit-Aktivist Chandrashekhar Azad "Ravan" wurde zehn Monate lang ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in Verwaltungshaft gehalten.

In Indien waren Menschenrechtsverteidigerinnen in diesem Jahr nicht nur Repression und geschlechtsspezifischer Diskriminierung ausgesetzt, sondern sahen sich darüber hinaus mit einer Welle von Gewalt und Missbrauch im Internet konfrontiert. So wurde der Journalistin Rana Ayyub und der Aktivistin Gurmehar Kaur sexualisierte Gewalt angedroht, weil sie von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hatten.

Auch offline wurde der Handlungsspielraum für die indische Zivilgesellschaft weiter eingeschränkt. Die Zentralregierung nutzte das FCRA-Gesetz (Foreign Contribution Regulation Act) als politisches Mittel gegen regierungskritische Organisationen. Das umstrittene Gesetz soll ausländische Finanzzuflüsse an indische NGOs regeln und wurde 2010 verschärft.

In Bangladesch wurden unter dem berüchtigten Gesetz für Informations- und Kommunikationstechnologie (Information and Communications Technology Act – ICT) bereits Hunderte angeklagt und strafrechtlich verfolgt, weil sie etwas Kritisches gesagt oder ­geschrieben hatten. Trotz des Versprechens der Regierung, das Gesetz abzuschaffen, wurde es weiterhin dazu genutzt, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen.

Nachdem er in einem Interview und auf ­Facebook über Proteste von Schüler_innen in Bangladesch berichtet hatte, wurde der bekannte Fotograf Shahidul Alam wegen des Verstoßes gegen Paragraf 57 des ICT angeklagt. Nach seiner Festnahme verbreitete sich Angst im gesamten Land, da Schüler_innen und andere Aktivist_innen online überwacht wurden.

Im September wurde – ergänzend zum ICT – das Gesetz zur digitalen Sicherheit (Digital ­Security Act) verabschiedet. Die im ICT enthaltenen strengen Bestimmungen wurden beibehalten. 

Doch es gibt auch gute Nachrichten: In Pakistan wurden die beiden Aktivisten Raza Khan und Sagheer Baloch freigelassen, nachdem sie neun Monate lang "verschwunden" waren. Im September folgte dann ein PTM-Mitglied: Der wegen kritischen Kommentaren in den sozialen Medien festgenommene Hayat Khan Preghal kam gegen Kaution frei.

Keine Perspektive

Auch im vergangenen Jahr saßen fast 1 Million Rohingya in völlig überfüllten Unterkünften in Bangladesch fest. Sie waren aufgrund massiver Menschenrechtsverletzungen zur Flucht aus Myanmar in das benachbarte Bangladesch gezwungen gewesen. Eine sichere Rückkehr unter menschenwürdigen Bedingungen schien in weiter Ferne, und die internationale Unterstützung ließ nach.

Deswegen hat die Regierung Bangladeschs angekündigt, etwa 100.000 geflohene Rohingya auf eine abgelegene, sumpfige Insel vor der Küste umsiedeln zu wollen, die laut Expert_innen eine hohe Überschwemmungs- und Wirbelsturmgefahr aufweist.

Doch so hart die Lage in Bangladesch ist, auch in Europa war der Umgang mit Geflüchteten von herzloser Gleichgültigkeit bestimmt. So wurden im Jahr 2018 weiterhin Tausende Asylsuchende aus ganz Europa nach Afghanistan abgeschoben, obwohl dort die Zahl der zivilen Opfer einen neuen Höchststand erreichte.

Anschläge in ­Afghanistan

Wie gefährlich die Lage in Afghanistan bleibt, zeigten mehrere Anschläge von bewaffneten Gruppen, bei denen Kinder, Ersthelfer_innen, Angehörige religiöser Minderheiten, Journalist_innen und viele andere getötet wurden.

Im August starben mindestens 34 Menschen, darunter zahlreiche Kinder, als in der Hauptstadt Kabul ein schiitisches Viertel angegriffen wurde. Am 10. April wurden zehn Journalist_innen getötet, als an einem Anschlagsort eine zweite Bombe explodierte.

Im September kamen zwei weitere Journa­list_in­nen unter ähnlichen Umständen ums Leben. 2018 war das für Journalist_innen tödlichste Jahr in Afghanistan seit Beginn des Konflikts im Jahr 2001. Amnesty International hat im September im Zentrum von Kabul ein Mauerbild zu ihrem Gedenken enthüllt.

Rechtsentwicklungen

Pakistans Parlament hat im Mai eines der fortschrittlichsten Transgender-Gesetze weltweit verabschiedet. Es ist damit das erste Land in Asien, das Menschen erlaubt, ihr eigenes Geschlecht zu wählen.

In Indien hat der Oberste Gerichtshof eine klare Richtung eingeschlagen, indem er mehrere Paragrafen aus dem Strafgesetzbuch gestrichen hat: den Paragrafen 377, unter dem einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen strafbar waren, den Paragrafen 497, der "Ehebruch" unter Strafe stellte, und eine Bestimmung, die Frauen "im Menstruationsalter" den Zugang zum Sabarimala-Tempel in Kerala verwehrte.

In Sri Lanka verurteilte ein Gericht einen militanten buddhistischen Mönch zu sechs Monaten Gefängnis, weil er die bekannte Menschenrechtsaktivistin Sandhya Eknaligoda bedroht hatte. Sandhya Eknaligoda setzt sich für die Angehörigen von "Verschwundenen" ein und war jahrelang massiven Bedrohungen und Schmierkampagnen in den sozialen Medien ausgesetzt.

Dieses Urteil ist ein wichtiger Sieg im Gerichtssaal. Im September befahl Präsident Maithripala Sirisena die Festnahme eines Armeeangehörigen im Zusammenhang mit dem Verschwindenlassen von Sandhya Eknaligodas Ehemann, Prageeth Eknaligoda. Der Journalist und Karikaturist "verschwand" 2010 im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen.

Auch die längst überfällige Eröffnung des Büros für vermisste Personen (Office of Missing Persons) gehört zu den positiven Entwicklungen im Land. Darüber hinaus wurde ein Gesetz zur Einrichtung eines Entschädigungsbüros (Office of Reparations) verabschiedet. Und im Norden des Landes wurden einige private Ländereien zurückgegeben, die durch das ­Militär beschlagnahmt worden waren.

In Sri Lanka und Nepal sind die Regierungen ihren Verpflichtungen nur sehr zögerlich nachgekommen, wenn es darum ging, den Opfern vergangener Menschenrechtsverletzungen ihr Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zu gewähren. Beide Regierungen haben außerdem versucht, die ­Arbeit von NGOs durch neue Auflagen zu behindern – angesichts des Widerstands zivilgesellschaftlicher Gruppen machten sie jedoch einen Rückzieher.

In Nepal verabschiedete das Parlament eilig zahlreiche neue Menschenrechtsgesetze. Opfergruppen waren allerdings nicht in die Ausarbeitung der Gesetze mit einbezogen worden.

Die Situation in Sri Lanka ließ die Hoffnungen auf eine Verbesserung der Menschenrechtslage schwinden. Die unerwartete Ernennung von Mahinda Rajapakse zum Premierminister im Oktober zog eine Verfassungskrise und Proteste nach sich.

Nach den Parlamentswahlen im Juli 2018 wurde die ehemalige Cricket-Legende Imran Khan Pakistans neuer Ministerpräsident. Die neue Regierung gab eine Reihe ermutigender Versprechen in Sachen Menschenrechte. So bot sie beispielsweise afghanischen und bengalischen Flüchtlingen die Staatsbürgerschaft an.

Doch angesichts des Widerstands einflussreicher Religionsgelehrter ruderte sie schnell wieder zurück und kapitulierte. Auch die Ernennung des renommierten Ökonomen Atif Mian zum Wirtschaftsberater nahm sie zurück – Atif Mian gehört der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya an, die in Pakistan seit Langem verfolgt wird.

Der religiöse Fanatismus zeigte auch in Sri Lanka seine hässliche Fratze. Im März riefen radikale buddhistische Mönche in der Stadt Kandy, im zentralen Hochland des Inselstaates, und im östlich gelegenen Ampara zu Gewalt gegen Muslim_innen auf. Die Regierung verhängte den Ausnahmezustand und ließ die sozialen Medien blockieren, über die die Angreifer mobilisiert hatten.

Im Juli gab Präsident Maithripala Sirisena bekannt, dass er – mehr als vier Jahrzehnte nach der letzten Hinrichtung in Sri Lanka – die Todesstrafe wieder einführen wolle, um Drogendealer zu bestrafen.

In Bangladesch kam es im Rahmen einer Anti-Drogen-Kampagne zu einer Welle außergerichtlicher Hinrichtungen: Über 200 Menschen, die als Drogendealer eingestuft worden waren, wurden von paramilitärischen Sicherheitskräften erschossen. 

Neue Hoffnung auf den Malediven

Zum Jahresende gibt es auf den Malediven Anlass zur Hoffnung: Im September endete die langjährige repressive Herrschaft von Abdulla Yameen mit dem deutlichen Wahlsieg der Opposition. Zu Jahresanfang hatte Präsident Abdulla Yameen noch versucht, seine Machtposition zu festigen, indem er den Ausnahmezustand ausrief sowie den Obersten Richter und einen weiteren Richter des Obersten Gerichtshofes, einen ehemaligen Präsidenten und mehr als 200 Demonstrierende festnehmen ließ.

Nur wenige Tage nach der Wahl wurde der gewaltlose politische Gefangene Ahmed Mahlouf, dem wegen haltloser Anklagepunkte eine bis zu 20-jährige Gefängnisstrafe drohte, aus der Haft entlassen.

Der neue Präsident Ibrahim Solih versprach, die Angriffe auf die Menschenrechte durch seinen Vorgänger wieder rückgängig zu machen – somit kann man erwarten, dass noch weitere Gefangene Ahmed Mahlouf in die Freiheit folgen werden. 

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