Artikel 10. Dezember 2018

Ostasien: Verhaltener Optimismus

Eine Frau mit einem Kinderwagen mit zwei Kindern geht im Straßenlaternenlicht an einer Polizistin vorbei, die einen Leitkegel in der Hand hält

Eine Mutter passiert mit ihren Kindern eine Polizeikontrolle zu einem nächtlichen Lebensmittelmarkt in der Nähe der Id-Kah- Moschee in Kashgar Uigurische Autonome Region Xinjiang, China, 25. Juni 2017

Repressive Maßnahmen prägten 2018 die Situation der Menschenrechte in Ostasien: Regierungen schränkten die Handlungsspielräume der Zivilgesellschaft ein, gingen hart gegen Anwält_innen und Menschenrechtsverteidiger_innen vor und wendeten wieder zunehmend die Todesstrafe an. Dennoch gibt es Gründe, dem Jahr 2019 mit verhaltenem Optimismus entgegenzusehen: Aktivist_innen haben sich gegen sexuelle Belästigung und Nötigung stark gemacht, und der Kampf um die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Beziehungen hat sich positiv entwickelt. 

Zu den beunruhigendsten Entwicklungen des Jahres gehören die Masseninhaftierungen in der Autonomen Region Xinjiang der Volksrepublik China. Davon betroffen sind uigurische und kasachische ethnische Minderheiten und andere Angehörige vornehmlich muslimischer Gruppen. Bis zu 1 Million Menschen befinden sich zur politischen "Umerziehung" in Haft.

Masseninhaftierungen

Diese Umerziehungshaft erfolgt ohne Gerichtsverfahren, ist zeitlich nicht befristet, und die Gefangenen haben weder Zugang zu einem Rechtsbeistand noch können sie ihre Inhaftierung anfechten. Im Rahmen ihrer "Anti-Extremismus"-Kampagne hat die chinesische Regierung Menschen in extremem Ausmaß überwacht, willkürlich inhaftiert und ideologisch indoktriniert.

Wer als "nicht vertrauenswürdig" gilt, gerät ins Visier der Behörden. Dabei genügt es schon, ins Ausland gereist zu sein, Kontakte ins Ausland zu haben oder religiöse oder kulturelle Überzeugungen zu zeigen. Die Familien erfahren nichts über das Schicksal ihrer Angehörigen; sie suchen verzweifelt nach Informationen, haben aber Angst, selbst zu Opfern zu werden, wenn sie sich öffentlich äußern.

Der UN-Ausschuss für die Beseitigung von rassistischer Diskriminierung nahm die eskalierende Unterdrückung ethnischer Minderheiten durch die chinesischen Behörden auf seine Agenda. Nach einer Überprüfung der Situation in China im August stellte der Ausschuss fest, dass Sprachen und Kulturen ethnischer Minderheiten im Land marginalisiert werden.

Er betonte zudem, dass breit und vage gefasste Definitionen von "Terrorismus", "Extremismus" und "Separatismus" dazu genutzt würden, friedliche Aktionen uigurischer, tibetischer und anderer Gruppen zu unterdrücken.

Ein Beispiel dafür ist der Fall des Aktivisten Tashi Wangchuk, der sich friedlich für den Erhalt der tibetischen Sprache, Kultur und Identität einsetzt: Er wurde im Mai 2018 wegen "Anstiftung zum Separatismus" zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.

Friedensgespräche

Eine wichtige Entwicklung in der Region sind die fortgesetzten Friedensgespräche zwischen Nord- und Südkorea, deren Ergebnis sich entscheidend auf die Menschenrechtslage auf der koreanischen Halbinsel auswirken könnte. Über Jahrzehnte haben die Machthabenden auf beiden Seiten die nationale Sicherheit als Rechtfertigung genutzt, um die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Gedanken- und Bewegungsfreiheit willkürlich einzuschränken.

Die Deeskalation des Konflikts zwischen beiden koreanischen Staaten könnte regelmäßigere Kontakte zwischen Familien ermöglichen, die seit Jahrzehnten getrennt leben, und dazu beitragen, den in Nordkorea stark eingeschränkten Zugang zu Informationen und Kommunikationswegen wieder zu öffnen.

Obwohl sich Südkoreas Präsident Moon Jae-in und Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un um ein ­entspannteres Verhältnis bemühen, ist es kritisch zu bewerten, dass Menschenrechte bei den Gesprächen nicht auf der Tagesordnung stehen.

Auch wenn die Gespräche fortgesetzt werden, müssen Kim Jong-un und andere führende Politiker_innen Nordkoreas für die katastrophale Menschenrechtslage zur Verantwortung gezogen werden. Einige dieser Menschenrechtsverletzungen könnten laut einem UN-Bericht des Jahres 2014 Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen.

Menschenrechte unter Druck in China

In China wurden Menschenrechtsverteidiger_innen 2018 unverändert unterdrückt. Vor drei Jahren begannen die Behörden hart gegen Menschenrechtsanwält_innen und andere Aktivist_innen durchzugreifen, und noch immer ist das Schicksal der Anwälte Wang Quanzhang, Yu Wensheng und Gao Zhisheng ungeklärt.

Grund zur Sorge besteht auch um den inhaftierten Anwalt Jiang Tianyong und den Aktivisten Dong Guangping sowie um die beiden Menschenrechtsverteidiger Huang Qi und Zhen Jianghua, die lange ­Haftstrafen zu befürchten haben. Ihnen allen drohen Folter und andere grausame, unmenschliche oder ­erniedrigende Behandlung oder Strafe.

Aktivismus gegen ­sexuelle Übergriffe

Obwohl der Handlungsspielraum für die Zivilgesellschaft in China immer stärker eingeschränkt wird, gibt es einzelne Zeichen der Hoffnung. Sowohl an chinesischen Hochschulen als auch online hat beispielsweise die Bewegung #MeToo große Unterstützung gefunden.

Eine der führenden Unterstützerinnen der #MeToo-Bewegung in China, Yue Xin, hat außerdem eine Kampagne von Studierenden angeführt, die streikende Fabrikarbeiter_innen dabei unterstützen wollten, eine Gewerkschaft zu gründen. Während die Regierung versucht, die Aktivist_innen zum Schweigen zu bringen oder zu bestrafen, wehren sich diese immer wieder mit mutigen Online-Aktionen.

Auch in der Sonderverwaltungszone Hongkong spürt die Zivilgesellschaft, dass sich ihr Handlungsspielraum immer weiter verkleinert. Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit werden weiter eingeschränkt.

Die Regierung setzt vage formulierte Anklagen ein, um Mitglieder der 2014 formierten "Regenschirm-Bewegung" politisch zu verfolgen. Darüber hinaus geht sie immer wieder mit Verweis auf die "nationale Sicherheit" gegen Menschen vor, die die Unabhängigkeit Hongkongs befürworten, wie das Verbot einer entsprechenden Partei vor Kurzem zeigte.

Viele Menschen leben in ständiger Angst

In der Region Ostasien ist keine Abschaffung der Todesstrafe absehbar. China veröffentlicht nach wie vor keine Informationen über die Anwendung der Todesstrafe und bezeichnet die Zahlen als "Staatsgeheimnis". In der Mongolei will der Präsident die Todesstrafe wieder einführen – sie war erst 2017 per Parlamentsbeschluss aufgehoben worden.

Im Juli kam es in Japan zu einer beispiellosen Hinrichtungswelle: 13 Menschen wurden wegen ihrer Beteiligung an dem 1995 verübten Giftgasanschlag in der Tokioter U-Bahn und anderer Straftaten gehängt. Einige der zum Tode Verurteilten sollen ein Wiederaufnahmeverfahren beantragt haben, über das bei ihrer Hinrichtung noch nicht entschieden worden war, was einen Verstoß gegen ihr Recht auf ein faires Gerichtsverfahren darstellt.

Im August wurde in Taiwan zum ersten Mal seit 2016 wieder ein Todesurteil vollstreckt, obwohl Präsidentin Tsai Ing-wen bei ihrem Amtsantritt unmissverständlich erklärt hatte, ihre Regierung werde die ­Todesstrafe abschaffen. 

Ebenfalls in Angst leben Hunderte Männer, Frauen und Kinder, die vor dem Kriege und der ­humanitären Krise im Jemen auf die südkoreanische Insel Jeju geflohen sind, wo für Staatsangehörige der meisten Länder keine Visumspflicht besteht. Viele Menschen in Südkorea reagierten feindselig auf die Ankunft der Geflüchteten.

Rassistische Rhetorik und gewalttätige Übergriffe verdeutlichten, dass einige Bewohner_innen die kulturellen Unterschiede und wirtschaftliche Auswirkungen fürchteten. Im Unterschied zu anderen Asylsuchenden, die in anderen Teilen des Landes eintrafen, durften die jemenitischen Geflüchteten die Insel monatelang nicht verlassen, während ihre Asylanträge geprüft wurden.

Sie hatten dadurch keine Chance, sich ein neues Leben aufzubauen. Bis Oktober war etwa 300 jemenitischen Staatsangehörigen "humanitärer Schutz" gewährt worden, so dass sie in andere Regionen Südkoreas reisen können, aber das Land wieder verlassen müssen, wenn der Krieg zu Ende ist. 

Zeichen der Hoffnung

Gleichgeschlechtliche Paare in Ostasien sind der Anerkennung ihrer Rechte einen großen Schritt näher gekommen. Der Oberste Gerichtshof Hongkongs bestätigte im Juli 2018 in einem wegweisenden Urteil, dass es eine Diskriminierung darstellen kann, wenn gleichgeschlechtlichen Paaren Rechte bezüglich ihrer Partnerschaft verweigert werden. Dennoch wird die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare nach wie vor nicht anerkannt.

In Japan haben weitere Verwaltungsbezirke schriftliche Dokumente für die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare eingeführt. Zudem gewähren immer mehr japanische Unternehmen ihre Zusatzleistungen auch gleichgeschlechtlichen Paaren. Es muss noch viel getan werden, bis Schwule, Lesben, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche die gleichen Rechte haben und nicht mehr diskriminiert oder stigmatisiert werden.

Doch in der Gesellschaft ist eine wachsende Akzeptanz für die Rechte der Betroffenen erkennbar und eine ablehnende Haltung gegen alle, die diese Fortschritte in Frage stellen und Intoleranz schüren. In Taiwan soll die Bevölkerung Ende 2018 in zwei Referenden entscheiden, ob die Regierung nur eine abgeschwächte Form des rechtlichen Schutzes für gleichgeschlechtliche Paare bietet oder Taiwan das erste Land in Asien wird, das die Ehe für alle anerkennt. 

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